Die Cousine meiner Mutter, Ursula, schieb ihr 1955 ins Album. Da war meine Mutter 13, Ursula war meines Wissens nach sogar noch etwas jünger.
Eigentlich ist der wichtigere Satz in diesem Spruch wohl die Aufforderung „Sei deiner Eltern Freude…“. Das steht so ähnlich auch in meinem Album, nur dass es da anders weiter geht:
„Sei deiner Eltern Freude,
beglücke sie durch Fleiß,
dann erntest du im Leben
dafür den höchsten Preis.“
Um ehrlich zu sein, gefällt mir diese Variante deutlich besser. Denn den Eltern Stab und Stütze im Alter zu sein, finde ich gut und wichtig, das häufige Besuchen des Grabes nützt meines Erachtens jedoch niemandem.
Ich erinnere mich noch gut, dass ich früher oft mit meiner Großmutter auf dem Friedhof war, wo sie für eine entfernt wohnende Bekannte ein Grab pflegte. Ich war immer gerne dort: Die vielen Blumen gefielen mir, ich durfte die Gießkanne holen, ausgerupfte Blumen zum Kompost tragen und mit einer winzigen Harke ein Muster in den sandigen Weg malen. Es machte mir außerdem Freude, die Grabsteine zu lesen, anhand der Geburtsdaten das Alter der Verstorbenen auszurechnen und mir auszumalen, wann und wie die Leute gelebt haben mochten. Da ich selber keine Verwandten auf dem Friedhof hatte, hatte der Ort für mich überhaupt nichts Bedrückendes.
Oft traf meine Oma auf dem Friedhof Bekannte. Dann wurde geschwatzt, und früher oder später zerriss man sich auch das Maul über andere, die vielleicht die Gräber nicht so sorgfältig pflegten, wie es bei uns im Dorf üblich war, oder über jemanden, der nicht oft genug das Grab besuchte. Das fand ich als Kind schon merkwürdig, denn in häufigen Grabbesuchen sah ich als Kind keinen Sinn. Daran hat sich bis heute nichts geändert – ohne dass ich häufige Grabbesuche negativ bewerten möchte.
Natürlich weiß ich, dass es vielen Leuten Halt gibt, wenn sie regelmäßig zum Friedhof gehen, mit den Verstorbenen reden oder Rituale für die Grabpflege entwickeln. Das ist auch völlig in Ordnung, jeder hat seine eigene Art zu trauern. Auch ich besuche ab und zu das Grab meiner Eltern, lege Blumen ab und achte darauf, einen Strauß zu kaufen, der den beiden gefallen hätte. Aber wann und wie oft ich das mache, geht niemanden etwas an.
Öffentliche Trauer finde ich persönlich schwierig. In einem Forum, dass ich öfters besuche, ist es gang und gäbe, in einem bestimmten Forenbereich (dem Kerzenzimmer) zu bestimmten Gelegenheiten Trauerthreads zu eröffnen. Da wird dann Beileid gewünscht, virtuell das Mitleid ausgedrückt oder es werden Bilder mit Kerzen gepostet. Für mich in Ordnung, aber nicht mein Ding – ich habe dort nie einen Thread eröffnet und beeteilige mich auch nicht daran.
Gänzlich befremdet bin ich allerdings vom demonstrativen Trauer-Aufschrei der so genannten Netzgemeinde, wenn ein Promi stirbt oder es ein Unglück gibt – wie zuletzt beim Flugzeugabsturz in Frankreich. Ich verstehe nicht, dass so viele Leute unbedingt betonen müssen, wie schrecklich sie das finden. Ich finde sowas auch zumeist schrecklich, wenngleich ich um einen 80jährigen, mir persönlich unbekannten Sänger jetzt nicht in persönliche Trauer verfallen muss oder möchte. Ich denke auch nicht, dass ich jedes Mal meine Empfindungen zu diesen Todesfällen veröffentlichen muss.
Ich habe den Eindruck, dass es vielen Menschen Erleichterung verschafft, wenn sie sich im Internet mit fremden Menschen über ihre Trauer unterhalten können. Nur so lässt sich auch der Zulauf zum virtuellen Friedhof „Straße der Besten“ erklären. Vielleicht ist es so, dass Menschen unter bestimmten Umständen nicht wissen, wohin mit ihrer Traurigkeit. Wenn ihnen eine solche Plattform hilft, finde ich das gut, auch wenn es für mich nicht so recht was ist.
Ich bleibe also bei meiner Bevorzugung der Fleiß-Variante des Poesiealbum-Spruches, auch wenn ich hoffe, dass mir das mit dem Stab im Alter auch einigermaßen gelungen ist.
Immer wieder verwunderlich, die Sturzbetroffenheit der Unbetroffenen. Und morgen ist dann wieder alles vergessen, was heute noch interessant war, einen Tod oder ein Ereignis zu betrauern – und sich selbst dazu.
Dieses Benehmen ordne ich auf der Stufe des „Fremdschämens“ ein. Als ein paar Weltmeister im letzten Jahr diese nette Performance, von vielen als unpassend bezeichnete, „Die Gauchos gehen so…“ gebracht haben, mußte sich eine Freundin „fremdschämen“. Hätte sie gesagt, dieser Scherz der großen Jungen halte sie für misslungen, das wäre OK gewesen. Aber sich „fremdschämen“, geht das denn?
LikeGefällt 1 Person
„Sturzbetroffenheit der Unbetroffenen“ gefällt mir gut, genau das habe ich gemeint.
Das Fremdschämen kenne ich aber auch: Das ist, wenn Leute in meiner Nähe sich so daneben benehmen, dass ich nicht mehr weiß, wo ich hingucken soll. Was irgendwelche Fußballer machen, ist mir aber egal, die strahlen nicht auf mich ab.
LikeLike
Nun habe ich gerade einmal das Wort „fremdschämen“ nachgegooglet. Das gibt tatsächlich eine Menge her, daraus kann was werden. Danke für die Inspiration, Philipp.
LikeLike
Ach Meike, jetzt habe ich’s oben nicht gesagt: Version 2 gefällt mir auch besser, obwohl beide „nur“ Poesiealbumsprüche sind.
LikeGefällt 1 Person