Lieblingsgedicht

Vor einigen Tagen wurde darüber berichtet, dass sich der Vorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, in einem Interview mit einem Kinder-Reporter der Kindernachrichtensendung „Logo“ nicht mit Ruhm bekleckert habe. Er erklärte dem Jungen, dass in den Schulken wieder mehr über deutsches Kulturgut, insbesondere auch Volkslieder und Gedichte gelehrt werden solle. Als der aufgeweckte Junge dann nach seinem Lieblingsgedicht fragte, fiel ihm keines ein. Also gar keines. Immerhin benannte er als Lieblingsdichter dann Heinrich Heine, was ebenfalls zu Erheiterung in den sozialen Netzwerken führte. Ich habe mich zwar mit Heine noch nicht sooo sehr beschäftigt, weiß über ihn aber genug, um einem Politiker dieser grässlichen Partei gerade diese Neigung nicht so recht abzunehmen.

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Aber darum soll es hier eigentlich gar nicht gehen. Diese Debatte brachte mich selber dazu, darüber nachzudenken, welches Gedicht und welchen Dichter ich eigentlich gesagt hätte. So einfach finde ich das gar nicht. Ohne dass ich diesen Politiker verteidigen möchte, wäre mir zuerst wahrscheinlich auch nichts Gescheites eingefallen, außer vielleicht die fade Made von Heinz Erhard oder „Ein kleiner Hund mit Namen Fips“ von Christian Morgenstern. Das war das erste Gedicht, das wir in der Schule gelesen haben, in der 2. Klasse. Damit hätte ich mich in der Öffentlichkeit sicherlich zum Affen gemacht.

Nach einigen Sekunden des Nachdenkens wäre bei mir aber wohl ein bisschen was gekommen. Mein liebster Dichter ist Rilke, und als erstes Gedicht von ihm fiel mir spontan „Der Panther“ ein. Das haben wir früh in der Schule gelesen und schon damals fand ich, dass da viel drinsteckt. Als ich heute jedoch in meinem Rilke herumwühlte, fand ich eines, dass mir eigentlich schon immer besonders gut gefallen hat – dieses hier:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Das Gedicht ist inzwischen rund 120 Jahre alt, die Zeiten und die relevanten Diskussionen haben sich natürlich geändert. Doch derzeit entbrennen täglich viele tausend Diskussionen um Sprache und darum, was die Sprache bewirkt. Mir begegnen zunehmend Personen, die meinen, alles zu wissen, und sich anderen gegenüber als Sprachpolizei aufführen. Ich gebe mich da ja immer recht hartleibig, weil ich der Einschätzung Einzelner, die zu wissen glauben, wie alle anderen empfinden (müssen), nicht so recht traue. Rilkes altes Gedicht scheint mir nach wie vor aktuell zu sein, wenngleich es inzwischen vielleicht weniger um die Entzauberung der Dinge als um die Definition von Zuständen geht.

Dieses Gedicht wurde übrigens auch im von mir so geliebten „Rilke-Projekt“ der Musiker Richard Schönherz und Angelica Fleer interpretiert. Das macht ausgerechnet der unselige Xavier Naidoo. Nun, noch kann ich Kunst vom Künstler trennen und finde, das ist wirklich gut gemacht.

Zu spät entdeckt: Estas Tonne

Beim Arbeiten höre ich sehr gerne Musik, denn ich sitze in einem Großraumbüro und muss das Gewusel um mich herum manchmal ausblenden. Dann stülpe ich mir die Kopfhörer meines Headsets auf und suche mir etwas auf YouTube aus. Ich habe meine Favoritenliste, so dass ich nicht lange suchen muss, sondern einfach nur draufklicken kann.

Kürzlich passierte es mir jedoch, dass ich ganz vertieft eine lange Zeit vor mich hin arbeitete und das von mir ausgewählte Musikstück zuende ging. YouTube beglückte mich also mit einem weiteren Stück seiner Wahl und ich ließ es dudeln – bis ich nach einigen Minuten aufmerksam wurde. Das, was ich da hörte, gefiel mir so über alle Maßen, dass ich erst mal gucken musste, was das ist. Ich fand Estas Tonne. Nie gehört, den Namen …

Auch die deutsche Wikipedia gibt nicht besonders viel her. Ein ukrainischer Gitarrist, 1975 geboren, oft auf Festivals unterwegs. Besonders gut gefiel mir der Satz:

„Oft arbeitet Tonne auch mit anderen Musikern mit kompatiblem Anspruch zusammen, wobei der Charakter der Darbietungen zwischen artistisch und meditativ oszilliert.“

Mehr findet man tatsächlich auf YouTube, denn anderen Leuten ist dieser Künstler durchaus bekannt.  Ich habe mich inzwischen durchgerbeitet und gräme mich ein wenig darüber, dass ich diesen Künstler erst mit über vierzig Jahren gefunden habe – hoffentlich habe ich da nichts verpasst! Ich fand unter anderem ein Video von einem Straßenauftritt, das nicht ganz so lang ist und auch schon ein paar Mal angeklickt wurde – nicht nur von mir. Viel Spaß damit.

Ein schillerndes Musikerlebnis: Schiller in der Jahrhunderthalle

Elektronische Musik ist nicht immer meine Sache. Anders ist es mit der Musik von Schiller, die ich schon lange als sehr stimmig empfinde und die ich besonders gerne beim Arbeiten höre. Es war allerdings die Idee meines Schwagers, einmal zu einem Schiller-Konzert zu gehen. Und so bekamen wir beide eine Karte zu Weihnachten und am Freitag war es soweit.

Die Frankfurter Jahrhunderthalle war dem Anschein nach gut ausverkauft. Wir hatten einen Sitzplatz im Balkon – mit erstklassiger Sicht 🙂 Der Tourname „Es werde Licht“ wies schon darauf hin: Die Lichteffekte hatten eine große Bedeutung für dieses Konzert. In den ersten Minuten dachte ich, ich werde blind – zum Glück kamen diese grellen weißen Scheinwerfer später nicht mehr zum Einsatz.

Konzert von Schiller in der Jahrhunderthalle

Die zweieinviertel Stunden Musik und Licht konnte man rundum genießen. Neben Instrumentaltitel gab es auch allerei Gesungenes. Besonders beeindruckt hat mich der temperamentvolle Herr an der Percussion – er hatte einen eigenen Helfer, der ihm immer mal wieder einen neuen Trommel- oder Paukenstock in die Hand drückte, wenn das zuvor benutzte Gerät kaputtgegangen oder weggeflogen war. Trotz dieser kleinen Missgeschicke fand ich die Percussion außergewöhnlich gut.

Ebenfalls auffällig fand ich den guten Sound: Vorbei sind die Zeiten, in denen man nach Rock- oder Popkonzerten fast taub war, weil aus den neben der Bühne aufgetürmten schwarzen Boxen ein enormes Getöse auf die Ohren einprügelte. Am Freitag gab es feinsten Dolby-Surround-Sound, man konnte die Töne von einer Ecke des Saales zur anderen verfolgen.

Laser und Kunstnebel

Und ja, das Licht: Früher wurde in den Konzerthallen ja munter geraucht, sodass sich die Lichtstralen in den Rauchschwaden fingen. Zum Glück sind diese Zeiten inzwischen vorbei. Statt dessen wird kräftig genebenlt – und gelasert. Ich könnte mir stundenlang diese Wellentäler und Muster aus Licht angucken. Dafür hatten wir auch wirklich einen sehr guten Platz.

Und aus guter Tradition gibt es auch dieses Mal ein Video zum Reinhören:

Lebendiger denn je

SBühne, Instrumente, Harfechon wieder war ich auf einem Konzert – dieses Mal zusammen mit meinem guten Freund Harry. Es ging nach Köln in die Philharmonie, und dort in ein Konzert des ewig jungen Sängers, Tänzers, Clowns und Philosophen Herman van Veen. Der ist inzwischen 74 und lebendiger denn je. Schon zum vierten Mal besuchte ich ein Konzert von ihm und immer war es überraschend, bunt, kurzweilig und musikalisch hochkarätig.

Natürlich wurden wir auch am Samstag nicht enttäuscht. Es gab neben dem großen Meister eine vierköpftige Band und weit mehr Instrumente. Alle Musiker spielten verschiedene Instrumente. Jeder hatte mindestens ein Solo. Der junge Mann an den Bässen musste als Tollpatsch vom Dienst herhalten, eine Rolle, die er offensichtlich mit großem Spaß übernahm. Und mich beeindruckt es ja immer, wenn jemand einer riesigen Harfe wohlklingende Töne entlocken kann – das stelle ich mir schwierig vor.

Das Schöne an den Konzerten von Herman van Veen ist immer die Vielfalt: Tolle Instrumentalmusik, volltönender Gesang, erstaunlich geschmeidiger Tanz (so beweglich wie dieser alte Mann war ich mit 30 nicht), heitere Geschichten und auch allerhand besinnliche Gedanken – man nimmt viel mit aus so einem Abend. Auch Skurriles ist übrigens dabei – die Ein-Mann-Oper ist sicher eine ganz besondere Kunstform 🙂 Ein Mann mit Humor und Verstand: Das ist eine gute Grundlage für einen gelungenen Abend.

Ich war nicht die Einzige, der diese wilde Mischung, die doch erstaunlich stimmig war, gut gefallen hat: Das Publikum in der Philharmonie bedankte sich mit stehenden Ovationen und wurde dafür durch allerhand Zugaben belohnt. „Es hat mir Spaß gemacht heute Abend“, sagte Herman van Veen zum Schluss, und genau das hat man gemerkt.

Wie nach den letzten Konzertgängen auch möchte ich auch heute ein Video einbinden, doch die Auswahl fällt mir dieses Mal ausgesprochen schwer. Also habe ich mich für eines meiner langjährigen Lieblingslieder entschieden, auch wenn es uralt ist und auf diesem Konzert gar nicht drankam:

Rockin the Blues!

Rockin the Blues, Batschkapp

Gestern war ein besonderer Abend: Die ewige Antje und ich waren auf einem Bluesfestival in der Batschkapp. Drei Musiker nebst Bands und Gast gaben sich die Ehre und ich muss sagen, ich habe schon lange, vielleicht sogar noch nie, ein Konzert mit derart viel „Bumms“ erlebt.

Den Anfang machte Gary Hoey mit Band. Vom ersten Ton an ging es zur Sache – unglaublich, wie drei kleine Musiker eine doch recht große Halle ausfüllen können. Virtuoses Gitarrenspiel, Gesang und eine gesunde Portion Humor machten Spaß und Lust auf mehr.

Der zweite auf der Bühne war der junge Quinn Sullivan, der ganz gewiss ein Ausnahmetalent ist. Er kam poppiger daher als sein Vorgänger, aber nicht weniger kunstfertig.

Quinn Sullivan

Und als dritter kam Eric Gales an die Reihe, ein echter Gitarrenkünstler, der es leider nicht lassen konnte, die werte Gemeinde über sein schweres Leben und so aufzuklären. Doch die Musik war klasse – wieder ganz anders als bei den beiden zuvor.

Als Gast kam Lance Lopez auf die Bühne, der mit der Band von Eric Gales spielte. Das Finale wurde nahtlos, ohne weitere Umbaupause, eingeläutet und ehe man sich versah, waren alle vier Gitarristen gemeinsam auf der Bühne. So viel Rhythmus, so viel Power – man wurde ganz besoffen davon. So bekam das Konzert seinen würdigen Abschluss. Das unten eingebundene YouTube-Video stammt von einem Auftritt aus Dortmund.

Gary Hoey

Abgesehen von der fantastischen Musik gab es natürlich auch sonst noch allerhand zu beobachten: Eine gute Akustik in einer Halle, die sich nicht sofort überheizte – prima. Trotz der Lautstärke hatte man also nicht das Gefühl, dass einem das Trommelfell platzt. Ausreichend Getränkestände und moderate Apfelweinpreise – auch gut. Und ein begeistertes Publikum mit der überwiegenden Haarfarbe Grau. Mir ist bewusst, dass Blueshörer oftmals schon etwas ältere Semester sind, aber hey, Kinnings, ihr verpasst echt was, wenn ihr da nicht hingeht. Solche Musik kriegt man nicht oft geboten.

Fazit: Normalerweise neige ich ja nicht unbedingt zur Euphorie. Doch dieses Konzert war schon etwas ganz Besonderes. Es hat Spaß gemacht und obwohl es recht lange ging und ich irgendwann Plattfüße und Rücken hatte, war es das wert. Und auch wenn um mich herum alle grau waren, fühlte ich mich jung und dynamisch. War das geil!

Body and Soul

Ich finde es ja gar nicht so einfach, mich bei meinen „bunten Empfehlungen“ für etwas, das mir am Herzen liegt, zu entscheiden. Allerdings war es keine Frage, welche CD ich als erstes auf den Blog nehmen wollte: Es ist „my alltime favorite“, meine absolute Lieblings-CD seit über 20 Jahren.

Joe Jackson: Body and Soul

Joe Jackson

Meine „Body and Soul“-CD: alt, abgenutzt und heiß geliebt.

Von dem sehr vielseitigen britischen Musiker Joe Jackson (*1954) habe ich eine ganze Latte an CDs zuhause. Von Punk über Pop bis hin zu Jazz und Swing ist alles dabei, und jede CD hat ihren ganz eigenen Reiz. Keine aber begeistert mich so wie das 1984 erschienene Album „Body and Soul“. Diese CD kann ich in einer Endlosschleife hören, ohne mich zu langweilen. Und ich höre sie genau in der Reihenfolge, in der der Meister sie zusammen gestellt hat – nie würde ich bei diesem Album die Zufallsfunktion des CD- oder MP3-Players verwenden.

Faszinierend finde ich, wie verschieden die neun Titel der CD sind. Es beginnt wuchtig, mit Bläsern und viel Getöse, geht dann heiter weiter, nur um beim nächsten Lied leise und zart zu werden. Ständige Tempowechsel auch innerhalb der Titel lassen keine Hörroutine aufkommen, und die perfekten Kompositionen bringen mich mal zum fröhlichen Mitsingen, mal zum beeindruckten Schweigen.

Dabei war ich auch schon: Im Herbst 2012 hatte ich das Glück, in Köln ein Konzert von Joe Jackson besuchen zu können. Das war wirklich grandios: Vom ersten Ton an hatte ich ein glückliches Grinsen im Gesicht, das mindestens eine Woche lang anhielt 🙂 Dabei war an dem Konzert eigentlich nichts Besonderes: Joe Jackson ist Musiker, kein Showman. Er erzählt keine Anekdoten während des Abends, tanzt nicht und ist wahrlich nicht charmant. Er stakst etwas steifbeinig über die Bühne, spricht wenig und macht einfach Musik. Und das macht er fantastisch. Die Arrangements sind ungewöhnlich, die Musiker hervorragend. Jackson selber spielt Akkordeon, Klavier und singt, außerdem scheint er seine Kollegen immer wieder anzufeuern. Er ist Chef im Ring, auch wenn man nicht so recht weiß, wie er das macht.

Natürlich waren damals auch einige Stücke meines geliebten Albums „Body and Soul“ im Programm. Jemand war so freundlich, einige Live-Aufnahmen dieser Konzertreise bei YouTube einzustellen. Vielleicht nicht das Beste, aber mein Liebstes ist „Won’t you be my number two“.