Die innere Mitte – von Maike Ruprecht

Dieser Text war der erste von Maike Ruprecht, der im Jahr 2012 im Laborjournal erschien. Seitdem schreibt sie regelmäßig für dieses Magazin und erfreut auch unser Schreibgrüppchen immer wieder mit heiteren Alltagsgeschichten aus ihrer Arbeitswelt. Auch wenn sie als technische Assistentin einen ganz anderen Job hat als ich, kommt mir einiges von dem, das sie beschreibt, doch bekannt vor. Dieses Mal sucht sie

Die innere Mitte

Erbsen, Pisum sativum, gemeinfreies Bild aus den Wikipedia Commons

Als ich mich vor 10 Jahren entschloss TA zu werden, wusste ich noch nicht, wie unglaublich nervenaufreibend dieser Beruf manchmal sein würde. Sicher, ich rechnete mit missglückten Experimenten, anstrengenden Praktikanten und Kollegen, aber sonst stellte ich mir alles recht entspannt vor.

Womit ich nicht rechnete waren die Bestellungen.

Als ich diesen Bereich übernahm, erwartete ich ein paar Telefonate zu führen oder, wie in der heutigen Zeit üblich, Internetbestellungen. Was war schon weiter dabei?

Naja, ich war jung und naiv.

Die folgenden Berufsjahre sollten mich eines Besseren belehren.

Die eindrucksvollste Demonstration für die Komplexität mancher Bestellungen lieferte mir die Anlieferung des Saatguts für unsere Erbsenanzucht.

Die Bestellung verlief erfreulich einfach. Eine E-Mail an die Saatgutfirma, worauf eine nette Bestätigung vom Chef persönlich folgte, dann wartete ich.

Eine Woche später, Freitag 13:30, ich freue mich schon auf meinen Feierabend und das kommende Wochenende, läutet das Telefon.

Eine mir unbekannte Stimme nuschelt was von Erbsen, Lieferung und wohin denn? Nachdem ich all das in meinem Kopf entwirrt hatte, verweise ich auf den Zusatz in der Adresse, der eigentlich alles erklärt und noch die meisten Lieferanten ans Ziel gelotst hat.

Der Mann legt auf.

30 Minuten später, Telefon, Spediteur: „Der Fahrer ist jetzt da!“

Ich sehe mich im Labor um: Kein Fahrer und erst recht keine 300kg Erbsen.

„Wo denn?“, erkundige ich mich.

„Das weiß der Fahrer nicht so genau, irgendwo auf dem Campus jedenfalls!“

Mir fällt ein Mantra ein, das ich vor 15 Jahren bei meinem ersten und einzigen Kurs für autogenes Training gelernt habe: Wir finden unsere innere Mitte.

Ich atme tief durch.

„Was sehen sie denn in Ihrer Nähe, beschreiben Sie doch mal.“

Vielleicht lässt sich so sein Standort ermitteln.

„Moment!“

„Hallo?“

Aufgelegt!

Diesmal dauert es kaum 25 Minuten.

„Der Fahrer sagt, er steht direkt vor einer Baustelle“, präsentiert mir der Spediteur stolz seine neuste Erkenntnis. Aha!

Da der Campus Riedberg, ebenso wie das gesamte Stadtviertel dieses Namens gerade erst im Entstehen begriffen ist, ist alles um Umkreis von 1km² Baustelle. Der Mann ist wirklich eine große Hilfe. Warum habe ich bloß nicht mit dem autogenen Training weitergemacht? Ich atme tief durch. Wir finden unsere innere Mitte.

„Geben Sie mir doch die Telefonnummer Ihres Fahrers, dann kann er mir das vielleicht genauer beschreiben“, schlage ich hoffnungsvoll vor.

„Nee, geht nicht, der spricht kein Deutsch!“

„Ich kann englisch“, wende ich ein.

„Nee, auch nicht!“

„Französisch?“

In dieser Sprache bewegen sich meine Kenntnisse zwar auf Schulniveau aber ich bin verzweifelt, will in mein Wochenende und für ein bisschen ´gauche´ und ´droite´ wird es schon reichen.

„Nee, nee!“

Das erklärt immerhin, warum der gute Mann nicht einfach aussteigen und nach dem richtigen Gebäude fragen kann. Wir finden unsere innere Mitte. Ich begrabe meine Was-ich-schönes-mache-wenn-ich-Freitag-früher-gehen-darf-Pläne und rufe ein paar Leute in den umliegenden Gebäuden an, ob sie einen Lastwagen sähen, ohne Erfolg. Langsam bleibt mir nur der Trost, dass Erbsensaatgut wenigstens keine empfindliche Ware ist, und weder gekühlt noch mit Trockeneis versorgt werden muss. Also kann die Spedition zur Not am Montag einen neuen Versuch starten, vielleicht sogar mit einem, wenigstens französisch sprechen Fahrer.

Die Rettung kam dann von unverhoffter Seite.

„Da steht ein LKW vor unsere Einfahrt. Könnten das die Erbsen sein?“, fragt unser Gärtner mich, als die Leitung einmal kurz nicht durch den Spediteur blockiert ist. Tatsächlich hat der Fahrer mit seinem LKW fast zwei Stunden unmittelbar vor dem Gewächshaus gestanden, wohin er die Erbsen liefern sollte, ohne einmal sein Führerhaus zu verlassen.

Solche Geschichten passieren glücklicherweise nicht ständig, aber doch mit unerschütterlicher Regelmäßigkeit.

Vielleicht spendiert mir mein Professor ja mal einen Auffrischungskurs in autogenem Training?

Wortspiele 2.0

Heute gibt es wieder einmal einen Gastbeitrag von Maike Ruprecht. Maike beobachtet ihre Arbeitswelt in einem Labor schart und beschreibt sie genau – und da ihre saubere Arbeitswelt von meiner überkandidelten Marketingwelt extrem abweicht, finde ich ihre Kolumnen immer besonders spannend. Heute geht es um

Neues aus der Reihe „Spaß mit Katalogen“

Manche professionellen Produktbeizeichnungen sind wahre Perlen der Katalogpoesie. So klangvoll und von so bildhafter Schönheit, dass es geradezu verwerflich ist, sie ein unbeachtetes Dasein zwischen Katalogseiten führen zu lassen.

Hier meine Favoriten des letzten Jahres:

Welch wunderbarer Verkaufschlager wäre bespielsweise die Bestätigungssäule?

Man montiert sie neben seinen Pipetten und bei wie auch immer gearteten Zweifeln an Ausgang, Sinn oder Interpretation von Experimenten, Vorträgen oder Publikationen spendet sie auf Knopfdruck mit wohlmodulierter Stimme Trost und Zuversicht. So wie der Spiegel bei Schneewittchen das Ego der Königin streichelte. „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier“. Großartiger Gedanke. Der ursprüngliche Bestätigungsauftrag der silarylenbestückten Kapillarsäule liegt übrigens irgendwo in der Umwelt- und Spurenanalytik.

Weniger verbreitet, aber nicht minder schön, die Hufnagelprägung.

Ein Begriff, der meines Erachtens in einem Katalog über Hufschmiede, Cowboys und Pferdeflüsterer heimsuchende Krankheiten weit besser aufgehoben wäre, denn als schnöde Bezeichnung eines speziellen Prägemusters für Lagenzellstoff.

Der nun folgende Begriff ist nichts für zartbesaitete Gemüter, beschwört er doch sehr unangenehme Bilder von malträtierten, ja, gemarterten Kranken herauf. Ohne jeden Zweifel fällt er unter jene Begriffe, die man ausschließlich in fachkundige Hände geben sollte, das Einstichthermometer. Ein im Grunde vollkommen harmloses Utensil zur Temperaturmessung in flüssigen, pulvrigen oder plastischen Stoffen.

Zum Schluss den allerschönsten Begriff, entdeckt in der Abteilung Kaltlichtquellen. Die Schwanenhals-Ummantelung bezeichnet ursprünglich die Verkleidung lichtleitender Glasfaserkabel, oder einfacher ausgedrückt biegsamer Lampenarme, die u.a. an Lichtquellen montiert werden können und ein bisschen an Insektenfühler erinnern.

Schwanenhals-Ummantelung. Dieser wunderschöne Begriff birgt ungeahntes Potential. Man stelle sich vor, der Wissenschaftler eröffnet das Rendezvous mit den galanten Worten :“Darf ich Ihnen Ihre Schwanenhals-Ummantelung abnehmen, meine Liebe?“. Worauf die Dame ihm ihren Schal aushändigt, entzückt von seiner Eloquenz.

Stöbert man weiter im Katalog dräut jedoch großes Unheil. Dort finden wir die Zeile: „Schwanenhälse können beliebig zurecht gebogen werden“. Grausame Bilder von Schwänen mit verknoteten Hälsen drängen sich vor mein geistiges Auge, ganz zu Schweigen vom Schicksal unzähliger junger Damen. Und was geschieht erst, wenn der laborjargonunkundige Katalogleser die nächste Ballettaufführung besucht? Arme Odette! Ein derart grausiges Ableben hat Tschaikowsky für seinen Superschwan bestimmt nicht vorgesehen.

A neverending story – von Maike Ruprecht

Ich freue mich über einen neuen Gastbeitrag von Maike Ruprecht. Bei ihr im Labor ist immer was los. Ich glaube, eigentlich forschen sie dort an Pflanzen. Manchmal aber auch am Bodenbelag …

A neverending story

Letztes Jahr im Herbst kamen zwei Männer, betrachteten seufzend unseren Fußbodenbelag, krochen ein bisschen darauf herum, schnitten auf jeder Flurseite ein tablettgroßes Stück heraus und machten sich damit davon. Warum? Das erfuhren wir nicht. Trophäenjäger waren es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Unser Linoleum dürfte sich an der Wand einer Professorenvilla nicht besonders gut machen.

Mehrere Monate lebten wir mit zwei Löchern im Linoleum, gleichmäßig verteilt auf jeder Flurseite eines. Bis letzte Woche.

Da kam ein Handwerker und verbrachte den Tag kniend an dem auf der Büroseite gelegenen Loch. Wann immer ich vorbeikam starrte er regungslos in die Kluft. Beim dritten Mal kam mir der Gedanke, dass er sich vielleicht erst bewegt, wenn man Geld in das Loch wirft. Da in meinen Kitteltaschen aber kein einziger Cent steckte konnte ich meine schöne Hypothese  nicht überprüfen. Irgendwann musste der gute Mann aber gearbeitet haben, brachte der nächste Morgen doch eine Überraschung.

Das Loch hatte sich um das vierfache vergrößert und damit keiner in die 0,3 cm tiefe Grube hineinstürzen sollte spannte sich darüber ein Kreuz aus rotweißem Absperrband.

Gehorsam übersprangen wir fortan auf dem Weg in die Küche regelmäßig eine Distanz von annähernd einem Meter. Handwerker ließen sich in den folgenden Wochen keine blicken, somit blieb die Sprunggrube unverändert. Warum auch nicht?

Unvollendete Großbaustellen sind ja schwer angesagt zurzeit. Berlin hat seinen Flughafen, Stuttgart seinen Bahnhof, warum sollen wir nicht mit unserem Linoleumboden für Frankfurt in die Bresche springen?

Dann, eines schönen Tages,  ich saß gemütlich am Computer und glich Sequenzen ab, erhob sich auf dem Flur unvermittelt ein Gebrumm wie von einer mit einem Zahnarztbohrer gekreuzten Riesenhornisse. Zaghaft öffnte ich die Tür einen Spalt breit und linste hinaus. Ein junger Bursche fräste die Klebstoffreste vom Boden des Laborflurlochs. Im Gegensatz zu seinem vorangegangenen Kollegen legte er immensen Arbeitseifer an den Tag.

Nach einem Tag lebhaften Gebrumms waren beide Löcher nicht nur sauber ausgefräst, sie hatten auch Zuwachs bekommen. Im Laborflurlinoleum klaffen seitdem vier Löcher, alle sauber ausgefräst.

Die exponentielle Lochzunahme erinnert mich auf beunruhigende Weise an das Betragen des Nichts in Michaels Endes „Unendlicher Geschichte“. Zuerst materialisiert es sich als vereinzelte Löcher hier und da, welche sich ausdehnen, sich ganze Städte und Landstriche einverleiben und schlussendlich das gesamte phantasische Reich verschlingen. Bis auf ein Sandkorn.

Unsere Handlanger des Nichts sind bislang nicht zurück gekehrt. Sollten sie es eines Tages doch tun, erwartet uns gewiss ein ebensolches Schicksal. Zuerst wird das Büroflurlinoleum Nachwuchs bekommen, dann werden sich die Löcher Stück für Stück ausdehnen und uns alle mitsamt unseren Zentrifugen und Pipetten verschlingen.

Alle Jahre wieder, von Maike Ruprecht

ruprecht_maikeWieder möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, eine Kollegin vorzustellen: Der Jahreszeit angemessen mit einem vorweihnachtlichen Text.

Die Autorin und Kolumnistin Maike Ruprecht wurde in Norddeutschland geboren und lebt inzwischen in Frankfurt. Ihre Alltagsbeobachtungen sind immer wieder amüsant und vor allem treffend. Besonders gut zur Geltung kommen sie auf Lesungen, denn Maike trägt sie mit einer Verve vor, die ihresgleichen sucht.

Alle Jahre wieder

Sechs Wochen vor Heiligabend liegt die obligatorische Abstimmungsemail über den Ablauf der Weihnachtsfeier in meinem Postfach. Es ist jedes Jahr aufs Neue spannend, wer sich diesmal erbarmt, und die Organisation derselben übernimmt. Sollte sich keiner opfern, bestimmt der Professor kurzerhand einen Freiwilligen. Dem armen Tropf bleibt dann meist nur noch eine Woche Zeit.

Hier die diesjährigen Vorschläge aus dem WOK (Weihnachtsfeierorganisationskomitee):

–          Weihnachtsmarkt

–          Schlittschuhlaufen

–          Besinnliche Feier im Seminarraum

–          Laser-Tag

Ich stutze, lese ein weiteres Mal. Warum nur muss ich plötzlich an diese „Welcher-Begriff-passt-nicht-zu-den-anderen“-Rätselfragen denken?

Laser-Tag? Zu Weihnachten?

Ich kann mir schwer etwas vorstellen das, von den zahlreichen bunten Lichtern mal abgesehen, weniger zum Fest der Liebe passt als mit einem Phaser bewaffnet in einer spärlich beleuchteten Arena von Deckung zu Deckung zu huschen, und dabei mittels Laserstrahlen meine Kollegen abzuknallen. Jeder Treffer wird durch die kurzzeitige Deaktivierung ihrer Spielerweste angezeigt und nach ein paar Sekunden darf der so Gestorbene dann wiederauferstehen. Wem das fünfmal widerfährt, der muss an seine Ladestation zurückkehren, um dort die ultimative Reinkarnation durch rechargen seines Phasers zu zelebrieren.

Berücksichtigt man den christlichen Hintergrund der ausstehenden Festlichkeit, müsste man Laser-Tag demnach nicht eher zu Ostern spielen?

Die Mehrheit meiner abstimmenden Kollegen scheint gleichgültig ob dieser theologischen Problematik, Laser-Tag gewinnt die Wahl mit vier Stimmen Vorsprung.

Mit was für Banausen arbeite ich eigentlich zusammen, die an solch grundlegende Dinge keinen Gedanken verschwenden?

Was wäre passender für unsere Weihnachtsfeier? Etwas, dem festlichen Anlass angemessenes zu ersinnen, was gleichzeitig die Zustimmung der Kollegen findet, ist alles andere als einfach. Für die Aufführung eines Krippenspiels dürfte der Impact-Faktor um den relativen Nullpunkt liegen.

Vielleicht ein Kompromiss aus beidem?

Laser-Tag in weihnachtlicher Aufmachung? Christkindlein mit Flügelchen, die mit Apfel, Nuss und Mandelkern bewaffnet, in tief verschneiter Arena, zwischen dunklen Tannen Jagd auf Weihnachtsmänner machen?

Auch nicht so ganz der Geist der Weihnacht.

Am besten mache ich es wie meine Kollegen und ignoriere derartige Feinheiten. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass Manche dafür gestimmt haben weil es Spaß macht oder sie es, ganz unabhängig vom Anlass, einfach mal ausprobieren wollen.

Ich bin eine davon.