Die beiden kleinen Schweine Grunz und Rüssel leben mit ihrer Mutter und jeder Menge anderer Tiere auf einem Bauernhof. Jeden Tag gehen sie spielen, erkunden den nahen Wald oder gehen baden. Dabei lernen sie, dass es besser ist, wenn man schwimmen kann und dass es schöner ist, gemeinsam zu spielen als allein. Den Schatz des Räuberhauptmannes finden sie zwar nicht, dafür aber zwei lustige neue Freunde. Und dass nachts alle Farben verschwinden ängstigt sie nur kurz. Als der Herbst naht, merken sie, dass es für sie noch allerhand zu lernen gibt.
Das Buch enthält sechs in sich abgeschlossene Vorlesegeschichten für kleine Tierfreunde. Die Erlebnisse von Grunz und Rüssel sind harmlos genug, um auch die Kleinsten nicht zu erschrecken, aber doch so spannend, dass Kinder wissen wollen, wie es ausgeht. Auch Erstleser können die übersichtlichen Kapitel gut bewältigen.
Leseprobe
Zwei kleine Schweine in der Nacht
An einem warmen Sommerabend spielten die kleinen Schweine ganz hinten auf der Weide, als das Pferd Helma auf sie zukam. „Ich dachte mir doch, dass ihr hier hinten seid“, sagte Helma. „Eure Mama sucht euch schon überall.“ „Sie sucht uns“, fragte Grunz, „warum denn?“ Helma lachte: „Warum? Ja, wisst ihr denn nicht, wie spät es schon ist? Es ist längst Schlafenszeit für so kleine Ferkel wie euch.“ „Schlafen!“ Rüssels Stimme klang ganz verächtlich. „Immer, wenn es wirklich schön ist, soll man schlafen!“ Die beiden Ferkel schimpften vor sich hin und gingen nur sehr langsam auf den Schweinestall zu.
Auf dem Weg zum Stall tuschelten Grunz und Rüssel miteinander. „Weißt du, wozu ich mal Lust hätte, Rüssel?“ „Wozu denn?“ „Ich hätte Lust, heute einfach nicht einzuschlafen. Wenn Mama und die anderen dann ins Bett gegangen sind, können wir ja wieder aufstehen!“ „Au ja!“ rief Rüssel aufgeregt. „Dann können wir uns mal angucken, wie es draußen aussieht, wenn es dunkel ist. Das ist eine gute Idee, Grunz, das machen wir!“
Als sie am Schweinestall ankamen, wartete ihre Mutter schon auf sie. Sie half den beiden Schweinchen beim Waschen und brachte sie ins Bett. Nachdem sie ihnen noch eine Geschichte erzählt hatte, sagte sie: „Gute Nacht, ihr Lieben, und träumt was Schönes!“ „Gute Nacht, Mama“, sagten die Ferkel. Rüssel war so aufgeregt, dass sie schon etwas kichern musste. Aber die Schweinemama bemerkte nichts und ging hinaus.
Nun mussten die beiden kleinen Schweine warten. Wenn es später war, würde ihre Mutter auch ins Bett gehen und irgendwann einschlafen. So lange mussten sie wach bleiben. Das war allerdings gar nicht so einfach: Die Ferkel waren nach dem langen Tag, an dem sie gespielt und allerhand erlebt hatten, sehr müde. Ab und zu schlief einer der beiden kurz ein, doch der andere weckte ihn immer wieder auf. Zwischendurch tuschelten sie auch ganz leise miteinander. Es schien ihnen eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich hörten, dass ihre Mutter sich schlafen legte.
„Was meinst du, Rüssel, ob sie wohl schläft?“ Grunz flüsterte ganz leise. Rüssel antwortete nicht, sondern krabbelte vorsichtig aus dem Bett. Sie tappte leise in die Ecke des Schweinestalls, in der ihre Mutter lag, und horchte. Dann flüsterte sie: „Ich glaube, wir können los!“ und schlich sich hinaus. Grunz folgte ihr genauso leise.
Draußen war es sehr dunkel, nur der Mond schien ein wenig. Er war gar nicht rund, wie Grunz und Rüssel gedacht hatten, sondern hatte die Form einer schmalen Sichel. Und er spendete auch viel weniger Licht. Der Bauernhof lag im Dunklen und sah ganz anders aus als bei Tageslicht.
Aufgeregt tippelten die kleinen Ferkel über den Hof. Sie waren gar nicht mehr müde, sondern nur noch neugierig. Rüssel blieb stehen und sah sich gründlich um. Was sie sah, fand sie sehr merkwürdig: „Was denkst du, Grunz, wo gehen in der Nacht denn wohl die ganzen Farben hin?“ Tatsächlich war alles, was sie sahen, schwarz oder grau: Der große grüne Kastanienbaum, die blaue Regentonne und das rote Gattertor, alles war einfach schwarz. Grunz sah sich verblüfft um – das konnte er sich auch nicht erklären. Nur, weil das Licht weg war, konnten doch nicht einfach die Farben auch weg sein? Das war ganz schön unheimlich!
Gerade, als Grunz mit seiner Schwester über das seltsame Verschwinden der Farben sprechen wollte, fiel ihm etwas auf: „Rüssel, du bist auch ganz schwarz! Wo ist denn die ganze rosa Farbe geblieben?“ Rüssel sah erschreckt an sich herunter. Tatsächlich, sie war ganz schwarz, oder vielleicht auch dunkelgrau! Und Grunz auch! Man konnte gar nicht mehr die ganzen dunklen Flecken auf seiner rosa Haut sehen. Die Ferkel wunderten sich sehr. „Ob wir wohl jede Nacht schwarz werden?“ fragte Rüssel.
Da lief plötzlich ein flinkes, schwarzes Tier direkt auf sie zu. Seine Augen leuchteten grün im Mondlicht. Die kleinen Schweine erschraken fürchterlich und drückten sich eng aneinander. Da sagte eine bekannte Stimme: „Grunz und Rüssel, was macht ihr denn so spät noch hier draußen?“ Die Ferkel machten dumme Gesichter. Das unheimliche Tier war ja Willem, der alte Hofkater! Grunz seufzte erleichtert. „Willem, hast du uns aber erschreckt!“ „Das tut mir leid“, sagte der Kater, „das wollte ich nicht. Aber was wollt ihr hier?“ Rüssel antwortete: „Wir wollen uns mal die Nacht angucken. Deshalb sind wir einfach nicht eingeschlafen und nach einer Weile wieder aufgestanden.“ „Genau“, sagte Grunz, „wir waren auch noch gar nicht sehr müde!“
Der alte Kater nickte verständnisvoll. Dann fragte er: „Und wie gefällt euch die Nacht? Was habt ihr bis jetzt erlebt?“ „Nicht viel, wir sind nämlich gerade erst losgelaufen. Aber“, fragte Grunz den Kater, „weißt du vielleicht, was nachts mit den Farben passiert?“ Der alte Kater guckte die Ferkel erstaunt an. Dann lachte er und sagte: „Ach so, ihr meint, weil alles schwarz ist. Aber das liegt doch daran, dass man Farben nur im Licht sehen kann!“ Dann winkte er die Schweinchen mit sich. „Kommt mit, ich zeige euch was.“ Willem führte die beiden Schweine über den Hof bis ganz dicht an das Bauernhaus heran. Aus einem kleinen Fenster fiel Licht hinaus. Der Kater bat Rüssel: „Stelle dich mal da ins Licht.“ Rüssel tapste vorsichtig in den Lichtschein und tatsächlich: Sofort war sie wieder rosa. Die Ferkel waren beeindruckt und auch ein bisschen erleichtert. Sie hatten schon gefürchtet, dass sie jede Nacht, wenn sie schliefen, einfach schwarz werden würden.
Nachdem die Ferkel nun wussten, was es mit dem Licht und den Farben auf sich hatte, fanden sie die Dunkelheit gleich nicht mehr so unheimlich. Gemeinsam mit Willem liefen sie über den Hof und dann durch das Gatter der Schweineweide. Das Gras der Weide fühlte sich kalt und etwas feucht an unter den Füßen. Grunz rutschte aus und rutschte ein Stück auf dem Bauch. Er hatte sich aber zum Glück nicht wehgetan dabei.
Plötzlich sagte Rüssel: „Psst, seid mal ganz leise!“ Grunz und Willem, die miteinander geschwatzt hatten, schwiegen und lauschten. Es war ein seltsames, zirpendes Geräusch zu hören. „Was ist das denn?“ wollte Grunz wissen und Willem erklärte: „Das sind die Grillen. Sie geben ihr Nachtkonzert.“ „Aber warum hört man sie tagsüber nicht?“ fragte Rüssel. Auch hier wusste der erfahrene Kater die Antwort: „Tagsüber machen sie nicht so oft Musik. Und wenn sie es einmal tun, hört man sie nicht, weil so viele andere Geräusche dazukommen.“ Und richtig, jetzt merkten die Schweinchen, wie ruhig es die ganze Zeit war: keine Tiere und Menschen, die hin- und hereilten und laut riefen, kein fahrender Trecker und keine Autos. Die wenigen Wesen, die in der Nacht unterwegs waren, verhielten sich sehr leise. Auch Grunz und Rüssel verhielten sich ruhig, denn sie wollten niemanden stören. Nur einmal schimpfte Rüssel laut los, weil sie in der Dunkelheit in einen Kuhfladen getreten war. „Aufpassen!“ flüsterte Willem.
Nach einer Weile blieben die Drei stehen und sahen sich um. Die Ferkel blickten bewundernd in den klaren Himmel. „Kennst du die Sterne alle, Willem?“ wollte Rüssel wissen. Der alte Kater schüttelte den Kopf. „Nein, ich kenne nur den ganz hellen dort, das ist der Nordstern.“ Die Ferkel sahen den besonders hellen Stern, auf den er zeigte, sofort. Andächtig sahen sie alle drei in den Himmel. Da hörten sie ein Rauschen und einen schaurigen, lauten Schrei. Zwei riesige glühende Augen sausten auf sie zu. Die Schweinchen quiekten vor Schreck. Doch Willem blieb ganz ruhig. „Das ist nur Else, die Eule. Sie macht sich immer einen Spaß daraus, jemanden zu erschrecken. Sie ist eine gute Freundin von mir, wir treffen uns fast jede Nacht.“ Und wirklich war die schöne Eule mit den großen Augen direkt neben ihnen gelandet. Langsam erholten die Ferkel sich von dem Schreck. Die Eule begrüßte Willem und fragte dann: „Wie ich sehe, hast du Besuch mitgebracht. Was machen denn die beiden kleinen Tagtiere zu dieser Zeit hier draußen?“ „Wir wollen die Nacht sehen“, antwortete Grunz. Die Eule sah die Ferkel freundlich an. „Also neugierig seid ihr. Das ist gut, denn nur so könnt ihr was lernen.“
Die freundliche Eule gefiel den Ferkeln und so fragte Rüssel: „Warum nennst du uns denn Tagtiere?“ Die Eule lächelte und erklärte dann: „Weil ihr in der Nacht schlaft und tagsüber unterwegs seid. Ich mache es andersherum und bin deshalb ein Nachttier.“ „Das ist aber eine komische Aufteilung, wenn man den ganzen Tag schläft und nachts rumläuft!“ meinte Rüssel und Grunz fügte hinzu: „So würde unsere Mama uns das gar nicht erlauben!“ Willem und Else mussten lachen. Die Eule erklärte den Ferkeln dann jedoch, dass es viele Tiere gab, die den Tag verschliefen. Die Schweinchen wunderten sich sehr darüber. Es gab schon wundersame Dinge auf der Welt!
Die Ferkel saßen noch eine ganze Weile mit der großen Eule und dem alten Kater zusammen und schwatzten. Was konnte man hier nicht alles Neues hören! Doch dann verabschiedete Else sich. Sie wollte noch etwas auf die Jagd gehen. Sie sagte: „Ich wünsche euch beiden Kleinen alles Gute. Wenn ihr wieder einmal nachts herumlaufen wollt, werden wir uns sicher wiedersehen.“ Die Ferkel waren begeistert und winkten der davonfliegenden Eule lange nach.
Dann, ganz plötzlich, musste Grunz ganz furchtbar gähnen. „Ich glaube, ich bringe euch beiden lieber nach Hause“, meinte Willem. Auch die Ferkel fanden diese Idee gut, denn sie waren auf einmal so müde! Schläfrig trotteten sie hinter Willem her auf das Ende der Weide zu. Dort angekommen, sagte Willem zu ihnen: „Dreht euch um und bleibt hier noch ein Weilchen sitzen.“ „Wieso?“ wollten die Ferkel wissen, doch Willem antwortete nicht. Im nächsten Moment sahen die beiden Kleinen jedoch schon, worauf er gewartet hatte: Am Ende der Schweineweide wurde der Himmel plötzlich blau, dann langsam rosa und orange. Die Sonne ging langsam auf und brachte die Farben zurück. Wie schön das war! Dann aber sagte der Kater: „Bis die Sonne ganz zu sehen ist, dauert es noch eine Weile. Kinder, jetzt müsst ihr ins Bett!“ Und da die Ferkel jetzt wirklich müde waren, wünschten sie ihm noch eine gute Nacht und verschwanden im Schweinestall. Obwohl sie voll von den schönen Erlebnissen in dieser Nacht waren, gingen sie sofort in ihre Betten und schliefen augenblicklich ein.