Christrosen

Im Schreibworkshop sollten wir eine (weihnachtliche?) Geschichte über eine Winterpflanze schreiben. Ich entschied mich aus diversen Gründen für die Christrose …

Christrosen

Geliebte Christrosen

So, Herbert, das war’s. Das war das letzte Mal, dass ich Heide auf dich draufgepflanzt habe. Im März sind es 20 Jahre, die du hier liegst, dann machen wir das Grab weg. Man muss die Sache ja nicht unnötig in die Länge ziehen, und nochmal so viel Geld für dieses kleine Stück Acker bezahlen, wollte ich auch nicht. Wer weiß denn auch, wie lange ich es noch mache? Am Ende kommen die noch auf die Idee und legen mich nach meinem Ableben neben dich. Nein, nein, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, lieber lasse ich dein Grab planieren und fahre von dem gesparten Geld nach Bad Gögging zur Kur. Tanztee und Thermalbad, das wär‘ doch mal was. Seitdem du nicht mehr bist, kann ich mir ja ab und zu mal etwas gönnen.

Die Christrosen sehen schon gut aus in diesem Jahr, die blühen zu Weihnachten bestimmt wieder schön. Christrosen hast du geliebt früher, die hatten wir damals schon im Garten. Seitdem du hier liegst, hast du jedes Jahr diese eleganten weißen Blumen auf deinem Grab, direkt vor dem Stein, eingerahmt von etwas lila oder dunkelroter Heide. Die mochtest du nicht so gerne, aber das ist egal, schließlich muss ich mir das angucken und nicht du. Ich mag es bunt. Ja, ich weiß, fröhliche Farben mochtest du nie, du fandest alles Bunte ordinär und hättest mich am liebsten immer nur in Grau gesehen, aber ich sehnte mich schon damals nach Farben und Freude in meinem Leben. Freude, das war dir leider ein Fremdwort, zumindest, wenn jemand anderes etwas Freude haben wollte. Bei dir selbst sahst du das nicht so kritisch, du warst den Genüssen nicht so abgeneigt. Egal, ob es ums Essen oder Trinken, um Kleidung oder hübsche Sekretärinnen ging: Für den Herrn bitte nur das Beste. Die Kinder und ich hingegen sollten bescheiden sein, anständig, diszipliniert und vor allem leise.

Christrosen

Aber ich will nicht bitter klingen. Es war schon in Ordnung für mich, dir die letzten 20 Jahre deine Lieblingsblumen zu bringen und zu pflegen. Ich mag sie ja auch, die Christrosen, und das nicht nur, weil sie so rein und weiß sind, sondern vor allem wegen ihrer anderen Eigenschaften. Sie sind so herrlich giftig, Wurzeln, Blätter, Blüten, einfach alles an ihnen. Das kam mir gelegen, hatten wir doch reichlich von ihnen im Garten. Nur fünf von ihnen habe ich verarbeitet, nicht wissend, was wohl das beste Rezept sein könnte. Deshalb habe ich sie getrocknet, gestampft, gemörsert, Teile von ihnen gekocht, andere eingelegt und destilliert. Und so habe ich den herrlichsten Kräuterschnaps hergestellt, den man sich denken kann.

Ich wusste, dass du dir gar nichts aus Kräuterschnaps machst. Ich wusste aber auch, dass du niemand anderem etwas gönnst. Also habe ich meinen Schnaps in kleine Flaschen gefüllt und gesagt, er wäre für die alten Leute im Heim. Für die, die arm sind und nie Besuch bekommen. Also für jemand anderen als für dich. Als du das verstanden hast, gab es für mich ein blaues Auge – übrigens das letzte meines Lebens. Und dann hast du dir, rein aus Trotz, gleich drei Fläschchen meines wunderbaren Christrosenschnapses reingelötet, ohne Rücksicht auf Verluste. Und dann ging es schneller, als ich gedacht hätte: Du bist einfach tot umgefallen. Mit dem Kopf bist du im Glastisch im Wohnzimmer gelandet, sodass ich das hässliche Ding auch gleich entsorgen konnte.

„Herzinfarkt“, hat Doktor Wolter auf den Totenschein geschrieben und mir was zum Kühlen für mein Auge gegeben. Den Rest vom Christrosenschnaps hat er mitgenommen und wahrscheinlich entsorgt, wir haben zumindest nie mehr davon gesprochen- Aber er lobt immer wieder die geschmackvolle Bepflanzung deines Grabes. Ich glaube, er mag auch Christrosen.

Weihnachtsmann gesucht

„Himmelherrgottnochmal, was ist denn das alles hier? Wer hat denn das sortiert? Ist das der Ausschuss, oder was soll das sein? Sören! Sööören!“

Endlich erscheint mein Assistent. Er kennt mich, wenn ich schlechte Laune habe, und streckt entsprechend vorsichtig seine Nase durch einen schmalen Türspalt.

„Was is?“

„Was is? Was is? Mehr fällt Ihnen nicht ein? Was ist denn das hier? Haben Sie mir die Bewerbungen auf den Tisch gelegt? Als was bewerben diese Leute sich denn, als Luftpumpen? Oder als Geburtshelfer, wegen der besonders kleinen Hände? Wir suchen Weihnachtsmänner, Himmelnochmal, Weihnachtsmänner, Nikoläuse, wie auch immer Sie das nennen wollen. Diese Leute hier taugen noch nicht einmal als Engel im kurzen weißen Hemd! Geben Sie es zu, Sie haben die Stapel verwechselt – die echten Bewerbungen sind noch in Ihrem Büro!“

Weihnachtslandschaft

Sören wirkt erschüttert, aber das kenne ich schon von ihm. Er ist ein echter Sören, von Helikoptereltern mit Bio-Nahrung liebevoll aufgepäppelt, Waldorf-beschult und immer wieder verblüfft darüber, dass das wahre Leben nicht auf ihn wartet. Auch jetzt steht echtes Unverständnis in seinen seelenvollen Kinderaugen – dabei ist der Bengel schon 26.

„Nein, ich habe nicht den falschen Stapel genommen. Es sind alle. Mehr Bewerbungen gab es nicht.“

Fast habe ich das befürchtet, trotzdem bin ich einer Ohnmacht nahe. „Wie, das sind alle? Das kann doch nicht sein. Das sind nur junge Burschen, von der Figur her 60-90-60, wahrscheinlich singen die alle noch im Sopran. Sogar drei Weiber sind dabei – Frau-en! Die sind vom Foto her noch das männlichste im ganzen Sortiment. Haben Sie nichts anderes zu bieten? Ist das wirklich alles? Letztes Jahr haben Sie mir schon Heringe präsentiert, dieses Jahr reicht es gerade noch für Ölsardinen. Das kann nicht ihr Ernst sein!“

Sören zuckt die Schultern. „Doch, mehr ist nicht. Wir haben das angebotene Gehalt erhöht und die Anforderungen sehr genau in die Ausschreibung geschrieben: Groß, von stattlicher Gestalt, mit dunkler Stimme und am liebsten mit Naturbart. Und wir haben tatsächlich acht Bewerbungen mehr als letztes Jahr.“

Ich stöhne – acht Nieten mehr im Lostopf. Wenn man nicht alles selber macht! Ich bin verantwortlich für die Beweihnachtung des größten Möbelhauses im Schwarzwald, und alles, was man mir liefert, sind magere Studenten und drei größenwahnsinnige Weiber! Ich bin echt in Not! Meine Gedanken rasen, ich brauche einen Ausweg.

„Rufen Sie Liechtenstein an, sofort!“, herrsche ich Sören, diesen Ausgangspunkt allen Ungemachs an. Der nickt und schließt eilig die Tür hinter sich zu. Während ich angestrengt über weitere Alternativen nachdenke, öffnet sich die Tür wieder. Dieses Mal ist der Spalt noch schmaler. „Was ist?“, maule ich und überlege, theatralisch mit meinem Locher zu werfen. Schon wieder Sören.

„Ähhh, Entschuldigung, wen soll ich denn anrufen?“

Hat der mir etwa nicht zugehört? „Liechtenstein!“, belle ich und er nickt. Dann zuckt er, wenn ich das durch die schmale Türöffnung richtig sehe, wieder mit den schmalen Schultern.

„Ähh, ja, und wen da genau?“

„Wie, genau?“

„Ja, in Lichtenstein. Wen genau soll ich da anrufen?“

Himmel, ist der Junge blöd. „Sie sollen nicht in Lichtenstein anrufen, sondern den Liechtenstein. Friedrich Liechtenstein, den aus der Werbung, mit Bauch und Bart und Bass. Supergeil, sagt er da immer. Den will ich haben!“

Sören scheint ein Licht aufzugehen. „Ach sooo, den meinen Sie. Ja, der passt gut. Aber da müssen wir sicher die Gage nochmal erhöhen, für 10 Euro die Stunde macht der das bestimmt nicht.“

Verdammt, da könnte er Recht haben. Egal, entscheide ich, ich brauche vernünftige Weihnachtsmänner. „Geld spielt keine Rolle“, behaupte ich also großmütig. „Rufen Sie seine Agentur an, die müssen doch wissen, ob er im Dezember frei ist.“

Während Sören im Nebenzimmer telefoniert, sehe ich den Stapel der Bewerbungen nochmal durch. Das ist nichts, aber auch wirklich gar nichts dabei. Unruhig warte ich darauf, dass mein Assistent zurückkommt, und überlege mir schon, was ich ihm alles an den Kopf werfen könnte für den Fall, dass Liechtenstein keine Zeit hat. Es dauert ewig, bis er wiederkommt, aber da ich ihn ununterbrochen telefonieren höre, warte ich ab. Hab ja schließlich auch noch anderes zu tun. Glühweinstände buchen, zum Beispiel. Glühwein ist unglaublich wichtig für die deutsche Seele.

Endlich geht die Tür wieder auf. Ich sehe knurrig in Sörens Richtung. Dieses Mal ist er deutlich mutiger und tritt ganz in mein Büro. Er wirkt zufrieden mit sich.

„Herr Liechtenstein ist im fraglichen Zeitraum leider nicht frei, er ist auf Kur. Ansonsten würde er gerne den Weihnachtsmann für uns geben. Ich habe ihn für das nächste Jahr vorgemerkt!“, verkündet er fast eine Spur stolz. „Aber ich habe drei weitere Männer gefunden, die auf unser Anforderungsprofil passen und zur Weihnachtszeit gerne nach Deutschland kommen werden. Wir müssen Ihnen nur noch eine Unterkunft mieten, zusätzlich zur Gage natürlich. Und ihre Familien wollen sie mitbringen.“

Irgendetwas klingelt warnend in meinem Kopf. Unterbringung, Familien, Gage – hieß das nicht sonst immer Stundenlohn? Doch ich nicke – ich brauche Weihnachtsmänner. „Wer denn?“, frage ich und klinge wider Willens neugieriger, als gut für mich ist. Triumphierend sieht Sören mich an: „Da sind zum einen Dusty Hill und Billy Gibbons.“

„Wer?“, unterbreche ich verwirrt.

„Dusty Hill und Billy Gibbons. Das sind die beiden irren Typen von ZZ Top. Bessere Bärte gibt es nicht. Alt genug sind sie auch, beide 71. Deutsch können sie nicht, aber für „Ho, ho, ho“ wird es reichen. Und sie bringen ihre Instrumente und ein paar Musiker mit.“

Na bravo, Weihnachten mit Bluesrock. Ich weiß nicht recht, wie gut mir das gefällt, aber die Idee ist unzweifelhaft ganz neu und wird nicht so schnell Nachahmer finden. Die Frage, was die beiden alten Recken nebst Gefolge mich denn wohl kosten werden, verkneife ich mir. „Und wer ist der Dritte?“, frage ich deshalb und bemühe mich, sachlich distanziert zu wirken.

„Tom Kaulitz!“, kräht Sören zu meinem Entsetzen. „Der ist zwar weder dick noch alt, aber dafür bringt er seine entzückende Frau und alle Kinder mit. Die Frau habe ich als Engel und die Kinder als Elfen engagiert!“

Na bravo. Weihnachten mit Germanys first Waldschrat und der Mutter aller Topmodels, und das Ganze begleitet von Bluesrock. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Aber eines steht fest – die Sache wird Publikum anziehen. Und das werden wir dringend brauchen, bei dem was uns die Sache kosten wird. Trotz des zu erwartenden finanziellen Fiaskos bin ich merkwürdigerweise weihnachtlich-milde gestimmt und entschließe mich, meinem Assistenten eine Gehaltserhöhung zu genehmigen. Die hat er sich wirklich redlich verdient.

Weihnachten mit Theo

Im Schreibworkshop hatten wir eine lustige Aufgabe: Jeder bekam einen Geruch, eine Farbe und einen Charakter zugeteilt. Ich bekam Zimt, Petrolblau und sowie Theo, 35, Arzt.

Nun, Zimt ist ja etwas Weihnachtliches und so kann ich das heute gute gebrauchen …

 

Weihnachten mit Theo

Eigentlich ging Weihnachten ihm auf die Nerven. Überall der süßliche Geruch nach Zimt und Vanille, „Last Christmas“ bis zum Erbrechen und das schon wochenlang in der Vorweihnachtszeit. Wenn es dann richtig ernst wurde, Verwandtenbesuche: mal bei seinen Eltern, dann wieder bei Tate Alma. Und egal, wo man sich aufhielt, hörte man die schrille Stimme von Großtante Dolly: „Ach mein Junge, wie müde du doch aussiehst! Musst du wirklich so viel arbeiten da in dieser schrecklichen Klinik? Kein Wunder, dass du keine Frau findest! Mach‘ dich doch selbständig, Junge, Urologen werden doch so gesucht!“ Und dann ging es weiter, die alten Geschichten wurden erzählt und Vetter Albert zeigte Fotos von Haus, Pferd, Auto und neuer Freundin. Er hatte jedes Jahr ein neues Auto und eine neue Freundin.

Dieses Jahr war jedoch etwas anders: Statt nach Zimt roch es nach säuerlichem Ananas-Punsch und Albert hatte nicht nur ein Foto seiner neuesten Perle dabei, sondern konnte seine Neuerwerbung tatsächlich live und in Farbe zeigen: Eine aparte Rothaarige in einem schmal geschnittenen petrolfarbenen Kleid, die sich als Martina vorstellte, eine angenehme Stimme hatte und ganz bezaubernd lächelte. Albert benahm sich wie ein Gockel, nahm den Mund voll wie immer und gab an wie ein Sack Flöhe, was Martina sichtbar peinlich war. ‚Die jage ich ihm ab‘, dachte Theo, trank sich mit Ananas-Punsch etwas Mut an und brachte sich dann unauffällig in Stellung.

„Hallo, ich bin Theo“, konnte er gerade noch sagen, bevor seine Mutter dazwischen grätschte. „Mein Sohn ist Urologe“, hörte er sie sagen, „er hat über die Entstehung von Blasensteinen promoviert.“ Theo stöhnte innerlich, bemühte sich aber um ein Lächeln. „Ach das“, sagte er, „das ist ja schon ein paar Jahre her. Inzwischen beschäftigen mich andere Themen.“

Tante Dolly kam angesegelt. Sie hielt in der einen Hand ihren Gehstock und in der anderen eine voluminöse Handtasche, die sie Theo nun in die Hand drückte. „Halt mal, mein Junge!“ Sie nahm sich mit der nun freien Hand ein Glas Sekt vom Tisch und Theo kam sich mit der bestickten Tasche in der Hand vor wie ein Trottel. „Gobelinstickerei“, hörte er Albert sagen, der herangekommen war und auf das Katzenmotiv der Tasche wies. „Ja“, antwortete Theo tonlos. Dann versuchte er es noch einmal mit einem Gespräch mit Martina.

„Und?“, fragte er, „magst du Weihnachten?“ Sie nickte, kam aber nicht zum Antworten. Tante Dolly, die sich die Kuchenkrümel mit Sekt aus den falschen Zähnen gegurgelt hatte, war wieder gesprächsbereit. „Lass dich mal anschauen, Junge, ich habe dich ja so lange nicht gesehen! Stattlich bist du geworden, sehr stattlich – besonders von der Seite!“ Sie drehte ihn ein wenig und betrachtete kopfschüttelnd seinen kleinen Bauch, gerade so, als habe der die Ausmaße eines großen Medizinballes. Vetter Albert lachte hämisch, die Schöne an seiner Seite wirkte mitleidig und Theos Mutter sprang ihm zur Seite: „Er bewegt sich halt zu wenig, der arme Junge!“

Der arme Junge gab das Vorhaben auf, seinem Vetter die Frau auszuspannen, stellte die alberne Handtasche ab und bemühte sich um einen geordneten Rückzug. Den Rest des Tages verbrachte er neben dem Ananas-Punsch und den nächsten Tag fast komplett im Bad. Theo hasste Weihnachten!

96 Säckchen

Adventskalender

Adventskalender, Bild zur Verfügung gestellt von Maria Bosin, http://www.pixelio.de

Tanja konnte sich nicht erinnern, jemals in ihrem Leben eine so schlechte Laune gehabt zu haben. Sie saß an einem Tisch, der über und über mit Kleinkram bedeckt war: Süßigkeiten, Spielzeug, Radiergummis, dazu fast 100 kleine Säckchen, Schleifenband und Papier. Das war es aber nicht, was sie so übellaunig werden ließ. Der Grund dafür lag darin, dass sie alleine davorsaß.

Schon oft hatte Tanja sich dafür verflucht, dass sie vor 12 Jahren den Übermüttern auf den Leim gegangen war: Übermütter, das waren die, die sich in Krabbelgruppen und Foren ständig darüber ausließen, was sie alles selber machten, anstatt es zu kaufen, und wie gesund sie ihre Familie ernährten, ohne auf industriell produziertes Gift zurückzugreifen. Und natürlich, wie sehr sie doch auf ihre kleinen Kinder eingingen. Kinderorientiert bis zur Selbstaufgabe, das galt als schick. Ganz hatte Tanja sich diese Philosophie nie zu eigen gemacht, doch es war für sie selbstverständlich, für ihren erstgeborenen Sohn Patrick den jährlichen Adventskalender selber zu füllen. Drei Abende hatte sie damit verbracht, 24 hübsche Säckchen zu nähen. Einen weiteren, um einen Besenstiel so auszurüsten, dass man die Säckchen daran befestigen konnte. Natürlich füllte sie nicht nur Schokolade hinein, das war ungesund und fantasielos. Nein, sie machte sich Gedanken und besorgte 24 hübsche Minigeschenke. Und es machte ihr Freude.

Drei Jahre nach Patrick kam Sophie. Auch sie bekam einen selbstgenähten, selbstgefüllten Adventskalender. Auch Alexander, noch zwei Jahre jünger, bekam solch ein Modell und ebenfalls das Nesthäkchen Isabell. 96 Säckchen galt es nun jedes Jahr zu befüllen, und nicht nur das: 96 kleine Dinge galt es zu besorgen. Sie mussten zum Alter der Kinder passen, vergleichbar sein – nicht, dass einer gefühlt mehr oder, noch schlimmer, weniger bekam. Außerdem mussten die Sachen der aktuellen Mode entsprechen und sich in die kleinen Beutelchen stecken lassen. Zu weit rausgucken sollten sie auch nicht, sonst wusste man ja schon vorher, was es an dem Tag geben würde, und das war doof, fanden die Kinder. Und das fand auch Nils, der Vater der Bande, der sich zwar beim Füllen der Adventskalender vornehm zurückhielt, aber trotzdem eine Meinung dazu hatte.

Anfang November hatte Tanja vorgeschlagen, in diesem Jahr auf die selbstgefüllten Kalender zu verzichten und stattdessen für jedes Kind das Wunschmodell zu kaufen. Diese Idee hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei Nils. Das sei doch Tradition, hatte er gemeint, und auf so eine eingeführte Familientradition könne man doch nicht einfach verzichten. Tanja hatte gemault, sie hatte so viel zu tun im Moment und es dauerte ewig, all die kleinen Geschenke zu besorgen, die hinterher ohnehin nur überall rumliegen würden. Nils aber hatte sie überredet, er würde ihr natürlich helfen. Sie würden sich ein paar nette Stunden machen mit einem schönen Glas Rotwein und guter Musik, es würde ein Abend voller Zweisamkeit werden. Jeder zwei Kalender, das war doch fix gemacht. Tanja hatte sich mal wieder breitschlagen lassen. Und nun saß sie hier alleine.

Schon gestern hatten sie sich gemeinsam an die Arbeit machen wollen. Doch da hatte Nils unbedingt bei seinem Freund Ulrich helfen müssen, der in Kürze umziehen wollte und die Wohnung noch nicht fertig hatte. Es eilte, der Umzug sollte schon Anfang Dezember sein. Tanja hatte das eingesehen, war doch Ulrich jemand, der auch immer da war, wenn man ihn brauchte. Und heute musste Nils ganz plötzlich lange arbeiten, hatte eine Schicht von einem Kollegen übernommen, von dem Tanja noch nie zuvor gehört hatte. Warum er unbedingt hatte einspringen müssen, hatte er Tanja nicht erklärt – er hatte einfach feige eine Nachricht auf ihr Handy geschickt. Und so saß sie also hier und kochte innerlich.

Als die Kinder im Bett waren, konnte sie endlich anfangen. Neun Uhr war es geworden, schließlich waren die Großen in einem Alter, in dem man sie nicht mehr einfach um acht ins Bett schicken konnte. Kurz hatte Tanja überlegt, die ganze Aktion einfach abzublasen, doch die erwartungsvollen Augen der Kleinen, die sich gegenseitig die Haken in ihren Zimmern, an denen die Kalender jedes Jahr aufgehängt wurden, gezeigt hatten, hatten sie davon abgehalten. Sie öffnete die große Flasche Rotwein, die Nils vor einigen Tagen mitgebracht hatte, und schenkte sich ein großes Burgunderglas ganz voll. Diesen Wein würde sie heute austrinken, an diesem Abend voller Einsamkeit.

Tanja begann zu werkeln. Zuerst der Kalender für Isabell. Das war der Einfachste, schließlich war ihre Kleinste erst vier. Sie liebte kleine Tiere zum Spielen, und Tanja hatte ein hübsches Sortiment Tierchen besorgt. Ab und zu packte sie auch eine Süßigkeit, ein Mini-Shampoo oder eine hübsche Zopfspange in ein Säckchen, damit es etwas Abwechslung gab. Die Giraffe und der Elefant passten nicht in einen der kleinen Beutel, sodass sie sie in Weihnachtspapier packte und so weit hineinstopfte, wie es eben ging.

Weihnachtsmarkt Mölln

Weihnachtsmarkt in Mölln am 3. Adventswochenende

Als der erste Kalender fertig war, schlich Tanja sich auf Socken ins Zimmer der schlafenden Isabell und hängte ihn vorsichtig an die vorgesehenen Haken. Beim Hinausgehen trat sie auf einen Legostein. Den Schmerzensschrei konnte sie gerade noch unterdrücken und tröstete sich damit, dass sie in die Küche humpelte und die Rotweinflasche mit ins Wohnzimmer nahm. Ihr großes Glas war fast leer, das war heute ein unhaltbarer Zustand.

Nach und nach arbeitete Tanja sich durch den Haufen an Kleinkram, füllte Säckchen um Säckchen. Sie wickelte glitzernde Stifte ein, quälte sich mit Mini-Spielen ab, die partout in keines der Säckchen passen wollten, und trat versehentlich auf eine heruntergefallene Nougatkugel, die natürlich eine Schweinerei anrichtete. Den Wein erledigte sie so nebenbei. Irgendwann hatte sie das Gefühl, dringend eine Gleitsichtbrille zu benötigen, denn die kleinen Bänder zum Verschließen der Beutel verschwammen vor ihren Augen und sie hatte ein Problem damit, hübsche Schleifen zu schnüren. Bei Patricks Kalender vergaß sie beinahe dessen Nussallergie. Rabenmutter, schalt sie sich, während sie einige Säckchen wieder auffummelte, um die Süßigkeiten auszutauschen. Sie hatte keine Lust mehr.

Als sie den letzten Kalender in Sophies Kinderzimmer aufhängte, schmerzte ihr Nacken und sie war todmüde. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es schon weit nach zwölf war. Von Nils keine Spur. „Ein Abend voller Zweisamkeit“, dachte sie bitter und ging zu Bett. Als ihr Mann zwei Stunden später kam, hörte sie ihn zwar, gönnte ihm aber keinen Gruß zur guten Nacht.

Am nächsten Morgen war Tanjas Stimmung nicht besser geworden. Der Liter Rotwein schien sich in ihrem Kopf gesammelt zu haben und schwappte dort herum. Sie war froh, als die Kinder endlich alle aus dem Haus waren und überließ es Nils, die Kleine in den Kindergarten zu bringen. Sie hatte heute frei. „Zum Glück“, dachte sie und rieb sich den schmerzenden Kopf. Das Gespräch mit ihrem Mann, der sich keiner Schuld bewusst zu sein schien, vermied sie.

Erst, als Nils sie ansprach, brach aller Zorn aus ihr heraus. „Einen schönen Abend? Ob ich einen schönen Abend hatte, fragst du mich? Spinnst du jetzt total? Ein Abend voller Zweisamkeit, ja, super, die Weinflasche und ich. Das war echt toll. Sonst noch Fragen?“ Nils wirkte aufrichtig verwirrt. „Rotwein? Gestern? Was war gestern?“ Sie sah, dass er in seinem Gedächtnis verzweifelt nach dem Anlass für ihren Ärger und ihre plötzliche Trunksucht suchte und schüttelte fassungslos den Kopf. „Na super. Du wolltest zwei Adventskalender packen, Familientradition, du erinnerst dich? Wann wolltest du das denn wohl tun, wenn nicht irgendwann Ende November? Vielleicht kurz vor Rosenmontag?“ Jetzt zeigte sein Gesicht den Ausdruck eines schlechten Gewissens. „Ach du Schande, das habe ich ja ganz vergessen. Das tut mir leid.“ Tanja schnaubte. „Ja, mir auch. Wie schön, dass du immer für alle da bist. Für Ulrich, für diesen unbekannten Kollegen, für deine Mutter und den Nachbarn von gegenüber. Nur für deine Familie, diese zufällige Zusammenrottung von einer Frau und vier Kindern, bist du nie da. Danke, ich hab’s gemerkt.“ Damit tat sie ihm unrecht, das wusste sie, aber in der letzten Zeit hatte sie sich oft allein gefühlt. Immer wieder saß sie mit den Kindern am Abend zuhause, während Nils arbeitet, zum Sport ging oder irgendwo irgendwas erledigte. Hier gab es auch allerhand zu erledigen, aber das schien er vergessen zu haben. Und Zeiten, die sie einfach als Paar verbrachten, gab es gar nicht mehr.

Nils merkte, dass er in Ungnade gefallen war, und versuchte sich dünn zu machen. Er musste erst ab mittags arbeiten und drückte sich bis dahin in der Garage herum, wo er lautstark etwas werkelte. „Er erledigt was“, dachte Tanja missgestimmt und beschloss, selber einfach nichts zu erledigen. Eigentlich kochte sie zu Mittag, wenn sie nicht arbeiten musste, doch heute würde sie für sich und die Kinder Pizza bestellen. Sollte ihr illoyaler Ehemann sich doch eine Stulle zum Mitnehmen schmieren – sie war schließlich nicht seine Köchin.

Auch am nächsten Tag war Tanja nicht versöhnt. Dieses Mal gab es etwas zu Essen, sie hatte sogar extra für Nils gekocht: Rosenkohlauflauf. Ihr Mann hasste Rosenkohl, doch er traute sich nicht, zu meckern. Tanja weidete sich an seinem angewiderten Gesichtsausdruck und genoss ihre Rache. Nils würgte sein Essen hinunter und sah aus wie ein getretener Hund.

Die nächsten Abende verbrachten beide zuhause, aber getrennt. So ein Einfamilienhaus kann sehr groß sein, wenn man einander nicht begegnen will.

Nach einigen Tagen Kälte und Schweigen schluckte Tanja ihren Ärger herunter und bemühte sich, das Verhältnis zu ihrem Mann zu normalisieren. Es war ja lächerlich, ihre Ehe wegen so einer Kleinigkeit aufs Spiel zu setzen. Und doch wusste sie, dass diese Sache keine Kleinigkeit gewesen war. Es hatte ihr gezeigt, wie verlassen sie sich oft fühlte und wie wenig ausreichte, um sie gegen ihren Mann aufzubringen. Es war nicht mehr wie früher, als sie einander alles verziehen und nach einem Streit ausgiebig Versöhnung feierten. Sie konnten ja nicht einmal mehr richtig streiten. Wie sollte das denn gehen, wenn man auf vier kleine Kinderseelen Rücksicht nehmen musste?

silberne WeihnachtskugelSie verbrachten eine Weihnachtszeit in gekünstelter Harmonie. Tanja und die Kinder backten Kekse, die Nils mit den Kleinen bunt verzierte, als er von der Arbeit kam. Sie suchten gemeinsam einen Baum aus und kauften zum ersten Mal nach 15 Jahren neuen Baumschmuck. Beim Putzen des Baumes lachten sie miteinander und es war fast ein wenig wie früher. Sogar „Der kleine Lord“ sahen sie sich an, die ganze Familie, tranken dazu einen selbstgebrauten Punsch und aßen von den selbstgebackenen Weihnachtskeksen. Es war schön und Tanja fasste wieder Hoffnung.

Die Weihnachtsfeiertage vergingen wie im Flug mit Bescherung, viel zu viel gutem Essen und Verwandtenbesuchen. Tanja freute sich an ihrer Familie, denn die Kinder waren allesamt glücklich und zufrieden, spielten mit ihren Geschenken und miteinander, stritten nicht und waren die ganze Zeit so ausgeglichen und wohlerzogen, dass es schon fast kitschig wirkte. Nils beschäftigte sich viel mit ihnen, half beim Aufbau der neuen Lego-Sachen, spielte X-Box mit Patrick und las Bücher vor. Keine Frage, er war ein guter Vater, wenn er sich die Zeit dafür nahm. Tanja liebte ihn dafür und spürte, dass noch nicht alles verloren war.

Dann, direkt nach Weihnachten, ging es wieder los: Nils verschwand des Abends mit nichts als der schwammigen Erklärung „Bin bei Ulrich“ oder „Ich gehe laufen.“ Und dann lief er fünf Stunden lang. Tanja war davon alles andere als begeistert, sagte aber nichts. Sie hatte früher eine Tante gehabt, die das Musterbeispiel einer ständig nörgelnden Ehefrau gewesen war – so wollte sie auf keinen Fall werden. Lieber biss sie die Zähne zusammen und schwieg.

Silvester verbrachten sie bei Freunden, die ebenfalls Kinder hatten. Es wurde nicht besonders spät, doch da sie früh aufgestanden war und vormittags gearbeitet hatte, war Tanja rechtschaffen müde und schlief ein, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührte. Sie wurde wach von aufgeregten Kinderstimmen und der tieferen Stimme von Nils, die immer wieder beruhigend zu hören war. „Psst, leise, die Mama schläft noch. Finger weg, Isa, das ist nicht für dich, das ist für Mama. Aber keine Sorge, für euch ist sicher auch was dabei. Finger weg, habe ich gesagt!“

Neugierig geworden stand Tanja auf, zog den Bademantel über und trat auf den Flur. Dort blieb sie verdutzt stehen: Denn an der Wand im Flur hingen 12 Besenstiele, an denen jeweils eine Menge Päckchen hing. Darüber klebten Schilder mit Monatsnamen. Ihr Mann und die Kinder standen davor, und Nils hielt die Hände der kleinen Isabell fest, die sich wie immer die Dinge mit den Fingern ansehen wollte. Fragend sah Tanja ihren Mann an: „Was ist das denn?“ Er sah sie gleichzeitig verschämt, aber auch verschmitzt an und erklärte es ihr: „Das ist dein Adventskalender. Er geht allerdings bis Silvester. Heute darfst du das erste Päckchen aufmachen.“ Der siebenjährige Alexander mischte sich ein: „Da hinten ist der Januar“, krähte er und wies aufgeregt mit dem Finger auf einen der Besenstiele. Tanja trat davor und suchte mit den Augen die Eins. Etwas mühsam fummelte sie das kleine Päckchen ab und öffnete es. Darin war ein Zettel: „Gutschein für ein Mal essen gehen mit deinem lieben Mann am nächsten Samstag. Ulrich passt auf die Kinder auf, ein Tisch bei Pedro ist reserviert.“ Tanja strahlte und fiel ihrem Mann um den Hals. Dann blickte sie sich im Flur um. Ungläubig sah sie ihren Mann an: „Hast du all diese Päckchen gepackt?“ Er nickte. „Ja, habe ich. Bei Ulrich im neuen Hobbyraum. Er hat mich allerdings hier und da beraten.“ Tanja musste lachen, denn wie die Beratung des überzeugten Singles ausgesehen hatte, konnte sie sich gut vorstellen. Dann aber wurde sie ernst. „Danke“, sagte sie und schluckte ein wenig. „Ich danke dir“, antwortete er und guckte dabei komisch verliebt. „Können wir noch eins aufmachen?“, fragte Isabell, die auch bei ihren eigenen Adventskalendern am liebsten immer alle Säckchen am ersten Dezember geöffnet hätte.

Adventskalender, kleine Stiefel

Genau so einen Advebtskalender hatte ich früher auch! Bild zur Verfügung gestellt von Martin Schemm, http://www.pixelio.de

Im Laufe der nächsten Monate wurden alle Päckchen geöffnet. Sie enthielten kleine Süßigkeiten, Geschenke und Gutscheine, die alle pünktlich eingelöst wurden. Jeweils am Freitag, dem 13. fand Tanja eine Niete: Einmal einen grässlich schmeckenden Magenbitter und einmal eine geblümte Unterhose mit halbem Bein. Sie verzichtete darauf, diese zu tragen, drohte Nils aber damit, sich in diesem Gewand im Garten sehen zu lassen. Und auch die Kinder gingen nicht leer aus, denn immer wieder fand Tanja Gutscheine für gemeinsame Familienaktivitäten. Sie gingen zusammen ins Spaßbad und in den Zoo, lernten neue Spiele und hatten eine gute Zeit miteinander.

Schon im Sommer beschlossen Tanja und Nils, dass der Jahres-Adventskalender sich bewährt hatte. Für das nächste Jahr würden sie sich das Päckchen packen teilen: Jeder sechs Monate. Denn das, da waren sie sich sicher, war wirklich schnell gemacht und lohnte sich auf jeden Fall.

Ein Weihnachtsgedicht

Dieses Gedicht fand ich vor einer Weile in den Tiefen meines Computers, anscheinend schrieb ich es 2005. Nun ist Posie nicht meine Stärke, ich bin so poetisch veranlagt wie ein Schmiedehammer. Es hat auch eher was von einer Büttenrede, aber es reimt sich – immerhin!  🙂

Das Weihnachtsmännlein

Ein Männlein lief einst durch den Wald,
weil’s Winter war, war es ihm kalt,
ganz hungrig war es auch, wie immer,
und es brach aus in ein Gewimmer.

Das hörte eine dicke Fee,
sie kam und fragte „Tut was weh?“,
worauf das Männlein, wie erwartet,
ein lautes Jammern hat gestartet.

Die Fee floss bald vor Mitleid über,
sie sagte „Kleiner, komm mal rüber!“
Sie nahm das Männlein in den Arm,
und davon wurde es ihm warm.

Um es auch künftig zu erhitzen
ließ die Fee den Stab schnell flitzen
und zauberte ganz ohne Not
Mantel, Mütze, Schal in rot.

Das Männlein sah nun aus wie’n Wichtel,
ganz rosa war nun sein sein Gesichtel,
es war nun aufgewärmt, und doch
quälte es der Hunger noch.

Der Zauberstab der Fee, er kreiste,
und aus dem Wald, der grad vereiste,
da kam ein Sack herangeflogen
und ward am Bande aufgezogen.

WeihnachtskugelIm Sack, da waren gute Sachen,
die bei Hunger Freude machen:
Apfel, Nüsse, Marzipan,
und Käsebrot mit Ketchup dran.

Das Männlein, das war gleich ganz froh,
es lachte und schrie „Hohoho!“
Es mampfte fröhlich, schmatzte kräftig,
sein kleines Bäuchlein wuchs ganz heftig.

Es sprach die Fee: „Das waren zwei,
doch Du hast der Wünsche drei,
drum sage mir, Du kleiner Kerle,
was willst Du noch, Geld oder Perle?“

Das Männlein grübelte ’ne Weile,
und sprach dann langsam, ohne Eile:
„Oh ach, Du gute alte Fee,
wär’ ich nur groß, das wäre schee!“

Die brave Fee hat nicht gefackelt
und mit dem Stab herumgewackelt.
Das Knirpslein wurde groß und mächtig,
mit Bauch und einem Bart, sehr prächtig.

Nun kann man oft das Männlein hören,
es ist sein „Hohoho“ am röhren,
es schleppt den Sack mit Gutem drin
denn nach Verschenken steht sein Sinn.

Die olle Fee aber, die Gute,
bläst dazu auf der Weihnachts-Tute,
sie trötet lautstark „Stille Nacht“ –
ein Schelm ist es, wer dabei lacht!

Die Weihnachtszwölfe

15. November, Arbeitsamt

„Was, sagten Sie, haben Sie für eine Qualifikation?“ Arbeitsberater Schlüter sah etwas befremdet über den Rand seiner Lesebrille hinweg auf die Kundin mit der wilden roten Lockenfrisur. Der Tag war lang gewesen, nur Verrückte unterwegs, allmählich glaubte er selbst schon fast an Wahrsagerei und das fliegende Spagettimonster. „Ich habe einen guten Abschluss von der Hochschule für Wunder und Magie. Ich bin zwar Berufsanfängerin, aber hoch motiviert, innovativ und teamfähig.“ Schlüter räusperte sich. „Und, ähem, wo, glaube Sie, können Sie ihre Fähigkeiten am besten einsetzen? Nur, dass ich weiß, was ich bei der Stellensuche einsetzen muss.“ Die große, füllige Frau ihm gegenüber sah ihn selbstbewusst an, eigentlich wirkte sie nicht durchgeknallt, sondern nett und vernünftig. „Nun, ich kann kleine Wunder vollbringen, große auch, aber das dauert etwas länger. Ich kann Menschen glücklich machen, einzeln oder in der Gruppe, und ich kann auf Einhörnern reiten.“ Schlüter seufzte. „Auf Einhörnern, aha, soso. Ja, das sind ja sehr kräftige Tiere. Dann wollen wir mal gucken …“

Bild zur Verfügung gestellt von Gerhard Frassa / http://www.pixelio.de

Nur, um der Dame das Gefühl zu geben, er nähme sie ernst, tippte er etwas in den Computer. Diese arme Frau war eine Kandidatin für die Nervenheilanstalt, das merkte man schnell. Doch er wollte ihr die Würde nicht nehmen und bemühte sich daher nach Kräften, höflich zu sein. Umso erstaunter war er, als er das Ergebnis auf seine eigentlich sinnlose Suchworteingabe sah: Es wurde tatsächlich eine Stelle angeboten. Befristet auf einige Wochen zwar, aber man brauchte einen Nachweis für magische Fähigkeiten, und bei guter Leistung winkte eine Dauerstellung. Ein Kollege hatte das Angebot geprüft und als seriös eingestuft. „Da habe ich was für Sie“, rief Schlüter aufgeregt, riss das Papier aus dem Drucker und knallte einen Stempel darauf. „Dort können Sie sich morgen vorstellen!“

16. November, Arbeitszimmer vom Weihnachtsmann

Die drei Herren sahen irritiert auf die Frau vor ihnen. Sie brauchten dringend Personal, sehr dringend sogar, doch die einzige Bewerberin entsprach so gar nicht dem, was sie erwartet hatten. „Ähhh, ja, und Sie, ääähhhh, Sie wollen sich also bei uns als Weihnachtselfe bewerben. Wie ich sehe, haben Sie ausgezeichnete magische Fähigkeiten und können auf Einhörnern reiten – da sollten Rentiere für Sie auch kein Problem sein. Ich weiß allerdings nicht so recht … wie soll ich das sagen … Sie sehen so gar nicht wie eine Weihnachtselfe aus.“ Die Bewerberin lachte mit lauter, tiefer Stimme. „Ja, das stimmt. Optisch bin ich keine Elfe, da bin ich mindestens eine Zwölfe. Aber es kommt doch auf die inneren Werte an, nicht auf die Optik, nicht wahr, meine Herren?“ Der Weihnachtsmann sah zweifelnd von der Frau zu seinem Kollegen, dem Nikolaus, und wieder zurück. „Ja, ich weiß nicht so recht … es gibt wahrscheinlich ein Problem mit der Arbeitskleidung … Was meinst du, Niko?“ Der Nikolaus zuckte die Schultern. „Naja, die Zeugnisse sind gut. Vielleicht können wir das Kleidchen sechs Nummern größer bestellen? Das sollte doch gehen.“ Krampus an seiner Seite sagte nichts, er starrte gierig auf das voluminöse Dekolletee vor sich. Was für eine Wuchtbrumme! Diese Weihnachtszwölfe gefiel ihm ausnehmend gut, er hatte schon immer von einer Frau mit riesiger Oberweite geträumt. Nikolaus nah ihn etwas beiseite. „Hör auf zu sabbern, Krampus“, flüsterte er ganz leise. „Wenn du diese Dame belästigst, haut sie dich um!“ „Ganz gewiss tut sie das“, antwortete die Zwölfe gelassen. Sie hatte nämlich auch eine Zusatzausbildung im Gedankenlesen.

Man einigte sich darauf, es zu versuchen. Die Zwölfe sollte sofort anfangen, der Job war bis zum 06. Januar befristet. „Aber bis zum zweiten Weihnachtstag sollten Sie nach Möglichkeit schon irgendein Wunder vorweisen, Frau Zwölfe“, erklärte der Weihnachtsmann. „Die Öffentlichkeit hat hohe Erwartungen in unsere Arbeit. Und wegen der Einkleidung …“ „Keine Sorge, Chef, da besorge ich mir irgendwas. Diese kurzen pastellfarbigen Kleidchen stehen mir ohnehin nicht, die tragen furchtbar auf. Ich finde auch, dass diese Dinger furchtbar sexistisch sind – darüber sollten Sie vielleicht einmal nachdenken.“ „Hmmm, ja, meinen Sie? Ja, vielleicht.“ Dem Weihnachtsmann kam der Verdacht, dass diese Weihnachtszwölfe ganz schön Unruhe in seinen Laden bringen würde.

01.  Dezember, Geschenkwerkstatt

„Sie hat tatsächlich einen Betriebsrat gegründet, diese Verrückte?“ Krampus lachte laut und dröhnend. „Ich sag’s euch, die hat wirklich Pfeffer. Sogar, wenn sie einem eine runterhaut, tut das irgendwie gut!“ Er knurrte wohlig. Nikolaus und der Weihnachtsmann sahen sich an, sie wussten nicht so recht, was sie von der Begeisterung des ewigen Rüpels halten sollten. „Sie ist wirklich tüchtig“, räumte Nikolaus ein und berichtete von den Wundern, die die Zwölfe schon alle vollbracht hatte: Sie hatte in einigen Familien Streit geschlichtet, so dass diese Menschen einer schönen Weihnachtszeit entgegensahen. Einer einsamen alten Dame hatte sie einen Dackel zulaufen lassen und sie anschließend mit einem kultivierten Herrn bekannt gemacht, der ebenfalls einen kleinen Hund hatte. Und vier hartherzige Geizhälse hatte sie überredet, Arbeitslosen gut bezahlte Jobs zu geben, so das auch diese Menschen sich ein paar Freuden zu Weihnachten würden leisten können. Wie sie das genau gemacht hatte, wollte der Weihnachtsmann lieber gar nicht wissen, aber Krampus war von den durchschlagenden Methoden der Zwölfe begeistert. Sie wies tatsächlich schon nach zwei Wochen die höchste Wunderdichte des Elfenschwarms auf und war zudem allgemein beliebt. Das lag auch daran, dass sie die Arbeitsabläufe der Wichtel in der Geschenkwerkstatt neu durchstrukturiert und die Ställe der Rentiere durch pure Magie so richtig aufgemotzt hatte. Und für die Elfen hatte sie die freie Kleiderwahl durchgesetzt. Man sah ihr Wirken an jeder Stelle.

Die dicke Dame als Weihnachtszwölfe

„Wir sollten ihren Vertrag schon jetzt verlängern“, fand Nikolaus und Krampus hüpfte begeistert auf und ab. Der Weihnachtsmann stöhnte. „Hast du schon mal auf dem Schlitten gesessen, wenn sie am Zügel ist? Ich sage dir, das ist kein Spaß. Ich musste Tabletten gegen Übelkeit nehmen!“ „Memme!“, schimpfte Krampus und Nikolaus lachte. „Jaja, ich weiß, du leidest. Am meisten aber am Verlust deiner absoluten Autorität, stimmt‘s, alter Freund?“ Der Weihnachtsmann schmunzelte. Wie gut Niko ihn doch kannte. Ja, es stimmte, er war ein paar Mal mit dieser impertinenten Person aneinandergeraten. Er mochte es nicht, wenn man ihn kritisierte oder ihm in seine Arbeit hineinredete, und noch weniger mochte er es, wenn man ihm mit einem Ruck die rote Mütze über das Gesicht zog, um ihn zum Schweigen zu bringen. Andererseits hatten die anderen wirklich recht, diese Zwölfe war enorm fleißig. Ein echtes Arbeitspferd, innerlich und äußerlich.

„Also gut, wir werden den Vertrag verlängern. Ich denke auch, dass wir damit schnell sein sollten – es sind schon einige andere auf sie aufmerksam geworden. St. Martin hat nach ihr gefragt, und sogar der Osterhase hat sie kürzlich zum Rührei eingeladen.“

2. Dezember, Arbeitszimmer Weihnachtsmann

„Gut, Frau Zwölfe, dann sind wir uns also einig. Sie bleiben bei uns beschäftig, das freut mich sehr. Und wie ich von den Elfen gehört habe, sind die ganz begeistert davon, dass Sie die Abteilungsleitung übernehmen wollen. Nur mit Ihrer Bitte, ausgerechnet am Heiligabend frei haben zu wollen, bin ich nicht so recht glücklich …“ Die Zwölfe nickte verständnisvoll. „Ja, ich weiß, und ich kann Sie auch gut verstehen. Der Termin ist alles andere als günstig. Aber ich habe eine dringende private Verrichtung, die leider keinen Aufschub duldet, und das ist mein einziger freier Tag im Dezember.“ Der Weihnachtsmann nickte. „Also gut, dann sei es so. Nehmen Sie sich am besten alle drei Weihnachtstage frei – Sie haben es sich verdient.“

Heiligabend, Stadtcafe

Schlüter rührte nachdenklich in seinem Milchkaffee. Er ging Heiligabend immer frühstücken, das hatte Tradition. Früher war er mit seiner Frau gegangen, doch sie hatte ihn vor drei Jahren verlassen. Weil er langweilig war, ernst und pflichtbewusst, und weil sie sich das Leben anders vorstellte als er. Er war halt wie er war, ein Beamter ohne besondere Ambitionen. Noch während er seinen trüben Gedanken nachhing, hörte er, wie der zweite Stuhl an seinem Tisch hervorgezogen wurde. „Ist hier noch frei?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, plumpste eine dicke rothaarige Frau mit unordentlicher Frisur ihm gegenüber nieder. Er sah sie verblüfft an – das war doch die mit der magischen Macke und den Einhörnern? Sie lachte ihn an, das Lachen machte ihr rundes Gesicht hübsch.

„Erinnern Sie sich noch an mich? Sie haben mir einen Job vermittelt, als Weihnachtselfe. Und das, obwohl Sie dachten, dass ich spinne.“ Schlüter war verlegen. Offenbar hatte die Frau ihm seine Gedanken damals ansehen können. „Nein, ich kann Gedanken lesen“, korrigierte sie seine nicht ausgesprochenen Worte. „Und ihre Gedanken waren das Netteste und Fürsorglichste, das mir seit langer Zeit passiert ist. Wissen Sie, es ist nicht schön, mit einem Diplom in Magie vor einem Sachbearbeiter zu sitzen und ausgelacht zu werden. Da fühlt man sich irgendwie schutzlos, fast nackt. Sie aber haben mich mit Respekt behandelt und haben sich ehrlich über das Stellenangebot gefreut. Das habe ich nicht vergessen.“ „Ich habe Sie auch nicht vergessen“, entfuhr es ihm, bevor er darüber nachdenken konnte. Aber warum hätte er auch schweigen sollen, wenn sie ohnehin seine Gedanken lesen konnte? „Stimmt, verheimlichen können Sie mir nichts. Und deshalb weiß ich auch, dass Sie gar keine Lust haben, für heute Abend die traditionelle Weihnachtsgans in den Ofen zu schieben, weil Sie keine Lust haben, sie alleine zu essen. Was halten Sie denn davon, sie mit mir zu essen?“ Schlüter war verwirrt. Was passierte denn hier gerade? Er, der langweiligste Mensch der Welt, wurde angebaggert, aber wie. Und das von einer richtigen Wuchtbrumme! Er musste lächeln. „Das scheint mir eine gute Alternative zu einem Abend mit Dosenravioli zu sein.“ Die Weihnachtszwölfe lachte rau und herzlich. „Das ist zwar nicht das tollste Kompliment, das ich jemals bekommen habe, aber es ist ein Anfang.“

Weihnachtsfeier

Ich wollte wirklich nicht lästern!

Theoretisch hätte es aufgehen müssen: 48 Personen waren im Bus gewesen, zwei weniger als geplant, weil Gundula der Ischias plagte und ihr Herbert deshalb auch nicht ausgehen konnte. Es waren tatsächlich zwei Plätze übrig, also so rein rechnerisch. Und doch reichte es hinten und vorne nicht, weil Else nicht am Kopf der Tafel sitzen und Georg nicht aufrücken wollte, so dass die Schneiders hätten getrennt sitzen müssen, was prinzipiell ein Unding und ganz und gar unmöglich war.

Auch problematisch war das Tischbein, dass sich zwischen den Knien von Elvira Povalek befand, denn Elvira trug einen schmalen Rock, und der wurde durch das unbequeme Hindernis in unanständiger Weise nach oben geschoben. Die acht Plätze mit den Tischbeinen blieben also frei, man holte statt dessen noch Tische aus dem Nachbarzimmer und deckte diese neu ein. Das ging jedoch nur, indem man den langen Tisch weiter an die Wand schob, was für Hans und Liese unbequem war, weil hinter ihnen ein großer Kaktus stand. Hans setzte sich also doch an ein Tischbein und Liese quetschte sich neben Elvira Povalek an einen Tisch, der eigentlich schon voll war. Das Personal brachte neues Geschirr und Besteck und auch ein paar Servietten, denn Elvira Povalek hatte bei all dem Aufruhr die Vase mit dem weihnachtlichen Ilex umgestoßen.

Als endlich alle saßen – mehr oder minder bequem – hielt der Vorsitzende des Landvolkverbandes e.V. eine Rede und würdigte diejenigen, die sich im vergangenen Jahr rund um den Verein sowie die Region besonders verdient gemacht hatten. Das war zum einen Schneider, der die jährliche Leistungsschau des Kaninchenzuchtvereins wie immer hervorragend organisiert hatte, dann natürlich wie jedes Jahr die Schwestern Hanni und Uschi für ihre Altenarbeit und Elvira Povalek für ihre 40-jährige Vereinsmitgliedschaft. Auch Ernst Povalek wurde geehrt, postum, denn er war im Januar verstorben.

Nach der Rede wurde es ernst, die Getränke kamen. Die Vereinsälteste brachte einen Toast aus und wünschte frohe Weihnachten. Die Suppe kam und Elvira Povalek hatte keinen Löffel.

Gräusliche Weihnachten

Erneut eine Aufgabe aus dem Schreibworkshop: „Weihnachten steht vor der Tür – nicht aufmachen!“ lautete das Motto. Ein herrliches Thema, das mir viel Spaß gemacht hat 🙂

Gräusliche Weihnachten

Tante Käthe wollte kommen. Und die Schwiegermutter natürlich auch, wie jedes Jahr. Ihren Ernst bringt sie mit, und dann noch Klausi, ihren inkontinenten Dackel mit dem Silberblick. Niedlich war er ja, dieses schielende Ungeheuer, aber wenn er dieses Jahr wieder an die Tanne pinkelte, würde Susanne ihn aus dem Fenster schmeißen, versprach sie sich, während sie schlecht gelaunt ein Gästebett bezog. Und die Schwiegermutter hinterher.

Was ging ihr das auf den Geist: Alle Jahre wieder machten sie an Weihnachten einen auf heile Familie. All diese uneingeladenen Gäste teilten Susanne mit, wann sie zu kommen gedachten und wie sie sich das Fest in diesem Jahr so vorstellten. Sie selber stellte sich das Fest der Liebe ganz anders vor, ruhig und intim, gewiss aber ohne Familienterror. Und auf das schräge Gesinge von Ernst und seiner Holden konnte sie auch gut verzichten. Im letzten Jahr war ihre Kleine davon so verstört gewesen, dass sie drei Nächte lang geschrien hatte. Eine Woche später begann sie zu sprechen und ihr erstes Wort war „Nebenkrähe“. Rolf behauptete zwar, sie hätte „Oma“ gesagt, aber der hörte zu dieser Jahreszeit immer nur das, was er hören wollte.

Susanne knallte die Tür zum Gästezimmer zu und ging in die Küche, um sich einen Tee zu machen. Dort stank es nach Zimt, Rolf hatte gebacken. Die Küche sah aus, als hätte er die Wände neu verputzen wollen und vergessen, die Tapete vorher abzureißen. Und das alles wegen Weihnachten. Susanne stöhnte und goss einen kräftigen Schluck Rum in ihren Tee. Sie musste sich stärken und sich eine gewisse Gleichgültigkeit antrinken. Hätte sie gekonnt, wie sie gewollt hätte, wäre ihre Wohnungstür am 23. Dezember verriegel und bis nach Weihnachten nur geöffnet worden, um Rolf zum Weinholen in den Keller zu schicken.

Friedliche Weihnachten, das wäre mal schön gewesen. Oder auch lustige Weihnachten, schon das hätte sie hellauf erfreut. Zu allem Übel hatte Rolf jedoch auch noch einen Kollegen eingeladen, der gerade erst von seiner Frau verlassen worden war. Der würde sicher so richtig Stimmung in die Runde bringen. Vielleicht sollte sie den einfach zu Tante Käthe setzen, der hatte die Geschichte ihrer Hämorrhoidenverödung im Jahr 1974 ja noch nicht gehört. Und wer weiß, vielleicht mochte der ja ältere Frauen. Oder er war ein Psychopath und brachte welche um.

Ihre eigenen Eltern hatte Susanne übrigens auch mal wieder einladen wollen. Doch die hatten abgesagt, mit schlecht gespieltem Bedauern. Nachdem sie ein Mal das Vergnügen gehabt hatten, mit dem sturzbesoffenen, singenden Ernst die Gästecouch teilen zu müssen, fuhren sie über Weihnachten immer nach Bad Kissingen, um dort verdauungsförderndes Schwefelwasser zu trinken. Vielleicht sollte Susanne einfach mitfahren. Schwefelwasser war doch gewiss verträglicher als überalterte Nebelkrähe an Dackelragout.

Haus mit Weihnachtsbeschriftung

Frohe Weihnachten wünscht Hamburg

Ein Weihnachtsgedicht

Der 50. Beitrag in meinem Blog ist noch einmal etwas Weihnachtliches: Heute trefft Ihr Hardy Biber und seine Freunde. Viel Spaß damit.

Hardy Biber im Weihnachtsfieber

Es lebten im Wald, hier ganz in der Nähe,
Fritz Fuchs, Hardy Biber, Hans Gans und Kurt Krähe
harmonisch zusammen in einem Bau
aus Zweigen und Ästen und Steinen in Grau.

Sie wohnen beisammen nun fast schon ein Jahr,
und fanden, dass dies eine gute Zeit war,
drum gab Kurt Krähe im Herbst zu bedenken,
man könnte einander zur Weihnacht was schenken.

Hans Gans war begeistert von dieser Idee,
er flog deshalb heimlich hinaus an den See,
und sammelte Binsen und Gräser und Rinden,
um daraus für die Freunde Hüte zu binden.

Fritz Fuchs, der Gescheite, der hatte es leicht,
er hatte ein Sparschwein, das Geld hat gereicht,
drei Schlipse zu kaufen im Weihnachtsrummel,
nach einem fröhlichen Einkaufsbummel.

Kurt Krähe, der hatte schon längst vorgesorgt
und für Fritzchen Fuchs einen Löffel besorgt.
Für Hans hatte er eine Kette genommen
und Hardy, der sollte ein Armband bekommen.

Nur einer der Freunde war etwas spät dran,
er wusste noch gar nicht, was er schenken kann,
kein Geld und kein Einfall und auch kein Geschick,
der Hardy, der grübelte den Kopf sich dick.

Er war richtig ratlos und beinah schon krank,
er guckte verzweifelt noch in jeden Schrank,
doch nirgends Geschenke und keine Ideen,
er sah sich am Ende schon ohne da steh’n.

Die Weihnacht kam näher, die Stimmung war gut,
doch Biber Hardy verließ ganz der Mut,
sah die anderen planen und backen und singen,
nur er konnte noch nicht mal ein Päckchen bringen.

Der Hardy war traurig und rieb sein Gesicht,
er ist nur ein Biber, er kann das doch nicht,
die and‘ren erfreuen mit schönen Geschenken,
wie konnten die Freunde sich das nur ausdenken?

Ganz kleinlaut schlich Hardy hinaus in den Wald
und knabberte dort ein Stück Holz in Gestalt,
das sah aus wie Fritzchen, oh wirklich, das geht –
Fritz Fuchs kriegt von Hardy ein Knabberporträt!

Es freute sich Hardy, das war gar nicht schwer,
er richtete auch einen Gänserich her,
aus einem Stück Eiche wurde so Hans Gans,
mit Kopf und mit Flügeln, mit Federn und Schwanz.

Noch fehlte Kurt Krähe und ganz ohne Hast,
besorgte der Künstler einen schwarzen Ast
und nagte daran, brachte Zähne zum Glühen,
er wusste, es lohnt sich, sich so zu bemühen.

Ganz stolz trug der Hardy die Sachen nach Hause
und machte dort erst einmal kurz Kaffeepause.
Er wusste, der Heilige Abend wird toll,
durch Vorfreude war Hardys Herzchen ganz voll.

Und dann hatte Hardy noch eine Idee,
und ging was besorgen, ganz schnell noch, Juchee!
Er rannte hinaus, lief so flink wie ein Sprinter
und fand eine Tanne dort draußen im Winter.

Es war Hardy Biber nun ganz bei der Sache,
schon hatte er den Stamm des Baums in der Mache.
Er knabberte einmal und noch mal herum,
und schon fiel das Bäumchen mit leisem „Platsch“ um.

Alleine konnte Hardy das Bäumchen nicht tragen,
drum lief er, um danach die Freunde zu fragen.
Gemeinsam da ging es, und mit viel Gekicher,
schleppten sie den Baum nach Hause ganz sicher.

Sie stellten ihn auf und schmückten ihn dann,
hängten Sterne aus Binsen und Zapfen daran.
Kurt Krähe hatte viel Lametta im Keller
und Fritz kaufte Kerzen für den letzten Heller.

Der Abend war herrlich, der Baum war so schön,
man konnte Geschenke im Kerzenschein seh‘n,
die Freunde so glücklich, und Hardy, der Biber,
genoss Heiligabend wie im Weihnachtsfieber.

Kerze

In unseren Adern

Zum 2. Advent gibt es von mir noch eine kleine Weihnachtsgeschichte. Diejenigen von euch, die die eWriters Weihnachtspost schon gelesen haben, kennen sie allerdings schon: Es ist die Geschichte von Inge, die einfach mal einen eigenen Weihnachtsbaum ohne Lametta haben möchte.

In unseren Adern

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Weihnachtsmann mit Laterne an Blautanne

Es war Weihnachten – wieder einmal. Dieses Mal war es jedoch anders als all die anderen Jahre: Es war schön, entspannt, harmonisch. Inge saß im Kreis ihrer Lieben, hörte einfach nur den Gesprächen zu und genoss den Unterschied. So also konnte Weihnachten sein, das Fest der Liebe, des Gänsebratens und der Familiendramen.

Doch was machte es so anders dieses Jahr? Es war im Grunde einfach: Inge hatte „Gar nicht“ gesagt, als ihre Schwester sie gefragt hatte, für wie lange sie denn dieses Jahr zum Fest nach Hause kommen würde.

‚Nach Hause‘ – ein komischer Begriff. Seit fast zwanzig Jahren war sie in Frankfurt zuhause. Das Dorf, in dem sie aufgewachsen war, war für sie nichts anderes als eine ferne Erinnerung an Kindheit, Schule und Erwartungen. Die Schwestern waren dort geblieben, sie aber hatte immer fort gewollt.

Und nun war also wieder Weihnachten. Sie hatte sich auf keine Diskussion eingelassen, war beim ‚Nein‘ geblieben und nicht ‚nach Hause‘ gefahren. Endlich einmal. Und so feierte sie den Heiligen Abend dieses Jahr nicht inmitten ihrer Verwandten, sondern mit Freunden.

„Es fließt das gleiche Blut in unseren Adern!“ Diese sonderbare Feststellung hatte Inge ihr Leben lang begleitet. Sie hörte sie als Kind, als sie die Mutter fragte, warum die ihren Bruder immer zu allen Festen einlud. ‚Onkel Geldsack‘, wie Inge und ihre Schwestern ihn heimlich nannten, war nämlich ein unangenehmer Geselle, den keiner mochte. Anscheinend nicht mal er selber.

Inge hörte solche Weisheiten auch, als sie sich mit 22 Jahren dazu entschied, sich von ihrem langweiligen Freund zu trennen. Sie wollte fortziehen, um woanders eine gute Stelle anzunehmen. Mutter war entsetzt: „Blut ist dicker als Wasser! Nur eine Familie ist in der Not für dich da. Heirate Peter. Schließlich willst du Kinder haben. Denk dran, Mädchen: Du wirst nicht jünger!“ Die Mutter hatte recht und unrecht zugleich: Inge wollte keine Kinder, aber sie wurde tatsächlich nicht jünger. 46 war sie jetzt und seit drei Jahren elternlos. Eine Waisenfrau, wenn es so etwas gab. Mit dem Tod der Mutter entschwand auch Onkel Geldsack aus ihrem Gesichtsfeld.

Inge kuschelte sich in ihre Sofaecke und lächelte in sich hinein. Heute hatte sie ihren ersten eigenen Weihnachtsbaum gekauft. Ein bisschen schief stand er auf seinem nagelneuen Fuß, trotz der etwas unbeholfenen Hilfe der beiden schwulen Opis von unten, die ihr beim Aufstellen zur Hand gegangen waren. Aber er war schön geschmückt, in warmen dunklen Farben und ohne Lametta. Inge mochte kein Lametta. Sie hatte erst in die Wechseljahre kommen müssen, bis sie endlich ein Weihnachtsfest ohne Lametta haben durfte. Aber mit Gans und Rotkohl – morgen, bei ihrer besten Freundin Monika. Denn heute hatte sie es sich leicht gemacht, ihre Gäste mit Kartoffelsalat und Würstchen bewirtet und damit offensichtlich den Geschmack aller getroffen. Zumindest sahen sie satt und zufrieden aus.

Gerade öffnete Helmut eine neue Flasche Rotwein. Er bediente sich ungeniert aus dem bereit stehenden Flaschenkorb und fand mit sicherem Griff den Korkenzieher. Genau wie Monika bewegte er sich in Inges Wohnung so selbstverständlich wie in seiner eigenen. Er fühlte sich bei ihr so zuhause wie sie sich bei ihm. Helmut war ihre letzte Affäre, aus der sich eine wunderbare Freundschaft entwickelt hatte. Auch mit Johanna, der Kollegin, die mit am Tisch saß, verband sie langjährige Zuneigung. Und dann waren noch Olaf und Ulrike da, die Nachbarn von gegenüber, die seit einigen Jahren diese Runde komplettierten. Sie waren ein eingespieltes Team, hatten allesamt keine Kinder und feierten seit einiger Zeit ihre Feste miteinander. Alle, bis auf Inge. Die war ja bis vor kurzem immer „zuhause“ gewesen. Zunächst wegen Mutter. Dann, weil es immer so gewesen war.

Sie ließ sich ihr Glas füllen und lachte über einen dummen Spruch von Olaf. Im nächsten Moment erschraken sie alle: Inges windschiefes kleines Weihnachtsbäumchen fiel mit einem satten Klatschen auf die Nase. Verblüfftes Schweigen, dann Gelächter aus sechs Kehlen. Denn natürlich hatten die Freunde Inge mit der Schlagseite ihres Baumes aufgezogen. Die beiden Männer hatten sich vor dem Essen sachkundig um Abhilfe bemüht. Mit Werkzeug und viel Muskelkraft, engagiert und erfolglos.

Alle griffen mit zu, um das Malheur zu beseitigen: Olaf und Ulrike hoben den Baum vom Boden auf, Monika fand den Besen und die anderen hängten wieder auf, was an Schmuck noch heil geblieben war. „Hätteste mal Lametta genommen“, ulkte Helmut, und Inge streckte ihm die Zunge heraus. Kindisch, aber heute fühlte sie sich jünger als an allen Weihnachtsfesten der letzten Jahre.  Sie alberten herum und hätten fast die Klingel überhört. Die beiden Opis von unten standen vor der Tür. „Ist er umgefallen?“ fragte der ältere von den beiden. Er klang so bekümmert, dass Inge ganz gerührt war. „Ja, aber es ist nichts passiert. Er steht schon wieder. Wollen Sie nicht reinkommen?“ Die beiden zögerten nur kurz, stießen dann zur Runde dazu.

Durch die beiden neuen Gäste bekam der Abend noch mehr Schwung. Die alten Herren waren gute Erzähler und wirkten im Gespräch viel jünger, als sie waren. Man ging zum „Du“ über – Friedrich und Paul hießen sie. Und zur Feier der neuen Freundschaft schlich Paul hinunter und holte ein paar Flaschen Zwetschenbrand zum Anstoßen. „Den macht er selber“, verriet Friedrich mit sichtbarem Stolz. „Er hat eine kleine Brennerei in unserer Laube!“ Große Bewunderung, liebevolle Blicke zwischen den beiden Alten. Inge fühlte ein warmes Gefühl im Leib, was nicht nur von Pauls Feuerwasser kam. Sie fühlte sich so unglaublich wohl. Und während sie an ihrem dritten Glas Schnaps schnüffelte, wurde ihr wieder einmal klar, dass sie mit diesen Leuten deutlich mehr gemein hatte als mit ihrer Familie. Blut hin oder her.

Inge lehnte sich zurück und nippte an ihrem Glas. Sie wusste schon, wie das in dieser Nacht enden würde: Morgen würde sie einen fürchterlichen Kater haben. Aber das störte sie nicht. Es war Weihnachten,  alles war schön. Und Mutter hatte tatsächlich recht gehabt: Es schaffte Geborgenheit, wenn man das Gleiche in den Adern hatte. Auch wenn es nur Pflaumenschnaps war.