Mein Klo, der Klempner und ich

Toilette in einem ganz normalen BadezimmerEs ist schon merkwürdig, wie sehr Kleinigkeiten die Laune beeinflussen können. So bin ich immer äußerst übellaunig, wenn etwas nicht funktioniert, wie es soll. Die Spülmaschine zum Beispiel, die kürzlich dafür sorgte, dass alles gewaschene Geschirr schön gleichmäßig fettig war, auch wenn nur Wasser in den Gläsern gewesen war. Oder meine Klospülung, die sich in der letzten Zeit recht kapriziös zeigte.

Vielleicht kennt ihr das: Man hatte ein menschliches Bedürfnis und kommt diesem nach, und dann drückt man die Spülung und es läuft Wasser. Und läuft. Und läuft. Die Niagarafälle sind nichts dagegen. So geschah es bei mir Anfang Mai. Natürlich habe ich mich nicht aus der Ruhe bringen lassen, es war nicht das erste Mal, dass mir das passierte. Ich konnte die Spülung sogar fachfraulich auseinanderbauen und das Wasser abdrehen. Die nächsten Tage hantierte ich mit einer Eimerspülung, was etwas lästig, aber kein Weltuntergang war. Man behilft sich halt.

Nach etwa einer Woche kam ein Klempner – pünktlich und nett. „Wer hat Ihnen die Anlage denn auseinandergebaut?“, fragte er. Dass ich das selbst konnte, schien ihn sichtlich zu erstaunen, aber dann werkelte er drauflos. Ich werkelte auch, im Homeoffice. Irgendwann stand der Rohrverlegerich neben mir, sichtlich unangenehm berührt. Das sei ja schon alles recht alt da drin, meinte er. Damit hatte er auch Recht, mein Klöchen nebst Spülung wurde irgendwann Ende der 90er Jahre eingebaut und ist somit älter als die meisten unserer Praktikanten im Büro. Ich bestätigte also: Ja, alt, stimmt. Ob er denn da etwas Neues einbauen dürfe, das alte Zeug sei kaputt. Damit hatte ich gerechnet, denn ich hatte ja nicht zum ersten Mal Spaß damit. Er durfte also, besorgte irgendwelche Teile und baute die ein. Nach einer Weile hörte ich es nebenan rauschen – spül, spül, spül – es ging wieder. Schön, schön.

Da mein Klempner von meiner Intelligenz offensichtlich nicht allzu viel hielt, wurde ich sorgfältig eingewiesen. Denn ich hatte auch einen neuen Drücker bekommen: große Taste für großes Geschäft, kleine Taste für kleines Geschäft, erklärte er mir. Ich übte, drückte auf jede Taste einmal drauf und galt somit als sachkundig. Mein Klempner verließ mich, ich war zufrieden.

Ein paar Tage ging alles gut. Dann erschrak ich eines Tages, als ich im Flur war, denn im Bad rauschte plötzlich Wasser. Ich trabte ins Fliesenzimmer und spähte in den Lokus. Ne, alles ruhig. Hatte mich wohl getäuscht.

Doch immer wieder hörte ich es in den nächsten Tagen rauschen, zumeist kurz nachdem ich auf dem Klo gewesen war. Irgendwann erwischte ich die Spülung dabei, wie sie tatsächlich unvermittelt einen Schwall Wasser in die Schüssel spie. Nicht viel, aber so sollte das sicher nicht sein.

Anscheinend hatte die Spülung meine Unzufriedenheit bemerkt, denn sie dachte sich etwas Neues aus: Nach einem Spülvorgang lief sie nicht freiwillig wieder voll. Also spülen – Wasserfall – und dann … nichts. Kein leises Rauschen, das belegte, dass sich der Kasten wieder füllte. Ich wackelte etwas an den Tasten herum – klein, groß, klein, groß – Rauschen. Aha! Irgendwas hatte wohl geklemmt, jetzt ging es wieder. Allerdings nicht lange. Es bürgerte sich ein, dass ich nach jedem Toilettengang an den verschiedenen Geschäftstasten herumspielen musste, damit Wasser nachlief. Und dann lief es manchmal über, zum Glück in die Schüssel, nicht zu den Nachbarn. Manchmal hörte es dann von selber nicht mehr auf, sodass man das Tastengewackel wieder starten musste, um die Götter, die man gerufen hatte, wieder in ihre Löcher zu scheuchen. Ich verbrachte unglaublich viel Zeit damit, meine Toilette zu beobachten. So ging das nicht weiter.

Ich platzierte also eine Reklamation bei der Klempnerei meines Vertrauens und bat um erneuten Besuch. Nachdem ich das Phänomen mehrmals erklärt hatte, nahm man mir meine Verzweiflung ab und versprach einen Hausbesuch. Am Freitag, da habe ich frei und somit Zeit. Um halb acht – wie gut, dass ich Frühaufsteherin bin.

Ich war also fertig angezogen und frisch geduscht, als der Herr der Rohre – wieder sehr pünktlich – bei mir eintraf. Ich erläuterte das Problem und wackelte an den Tasten. Welcome to the Show in the Klo. Der Klempner zeigte sich beeindruckt und vor allem verständig – nein, so ging das wirklich nicht. Er begann zu schrauben und ich wusste nichts mit mir anzufangen.

Es ist schon merkwürdig: Ich hätte alles Mögliche tun können. Tee trinken zum Beispiel, ein Stück stricken, was lesen. Was man halt so macht, wenn man frei hat und zuhause ist – morgens um halb acht. Aber irgendwie habe ich immer das Gefühl, dass es sich nicht gehört, dass ich rumsitze, während jemand anders in meiner Wohnung arbeitet. Beim ersten Klempnerbesuch ging das prima, Homeoffice sei Dank. Aber heute fühlte ich mich seltsam verloren und musste etwas tun. Ich beschloss, dass Blumen gießen eine gute Idee wäre, füllte die Kanne, goss, zupfte welke Blättchen ab und schnippelte alte Blüten raus. Da ich nur eine Blume habe, ging das unglücklicherweise sehr flott. Ich sah auf die Uhr – der werkelte da jetzt schon sieben Minuten und war immer noch nicht fertig. Also faltete ich Wäsche. Dann war das immerhin schon mal gemacht. Auch die Spülette räumte ich aus, bereitete meinen Einkaufsrucksack für den später geplanten Ausflug zum Supermarkt vor und kochte Kaffee. Kann man ja alles gebrauchen.

Dann war er endlich fertig. Wieder wurde ich eingewiesen, mir wurden die Tücken des Nachlauf-Ventils erläutert und dass eben bei diesem heimtückischen Ding eine Schraube locker gewesen war – ich hatte es ja geahnt. Nun sei sie fest, meinte mein Klempner, und durch bedächtiges Drücken der beiden Geschäftstasten nahm ich die Arbeit fachgemäß ab. Es läuft wieder, soweit, so gut. Meine Laune hat sich gehoben, der Haushalt ist gemacht – alles wieder gut.

Ostseefrühling

„Frühling lässt sein blaues Band …“ und so weiter und so fort. Ende März war ich mit meiner Freundin Kerstin mal wieder für eine Woche an der Ostsee, und da flatterte das legendäre blaue Band teilweise so gewaltig, dass wir nicht nur von oben, sondern auch von der Seite und von unten nass wurden. „Aprillig“ ist wohl die freundliche Bezeichnung für das sehr wechselhafte Wetter, dass auf uns herniederging. Trotzdem, und auch trotz einiger anderer Widrigkeiten, hatten wir es schön, denn wir vertragen uns immer gut, haben immer etwas zum Dummbabbeln und werden nur ganz wenig mürrisch, wenn es einfach nicht aufhören will zu gießen. Und am Freitag zeigte sich das Wetter so:

sechs sehr unterschiedliche Seemotive - von heiter bis dunkelgrau-stürmisch

Wir gingen ein paar Mal schwimmen, genossen den öffentlichen Nahverkehr auf dem platten Land, kauften die Eckernförder Süßwarenmanufaktur leer und beobachteten Mitreisende – das war dieses Mal so spannend, dass ich dem in den nächsten Tagen einen eigenen Beitrag widmen werde. Und natürlich ging ich meiner alten Leidenschaft nach und knipste Blumen. Die meisten meiner geliebten Krokusse lagen zwar trübsinnig zermatscht am regennassen Boden, aber ein paar mit Haltung fanden sich doch noch.

Den nächsten Urlaub haben wir schon vereinbart – dann vier Wochen später und vielleicht wieder mit eigenem fahrbaren Untersatz. Ich freue mich schon darauf!

Fundstücke 74 – gastronomischer Abgrund

Seit Ewigkeiten habe ich schon kein Fundstück mehr gepostet. Aber das, was sich mir im Ostseeurlaub in einer Speisekarte präsentierte, schreit förmlich danach, im Absurditätenkabinett meines Blogs präsentiert zu werden. Aber von Anfang an:

Es gibt Dinge, die esse ich gerne. Ganz besonders im Urlaub. Dazu gehört die norddeutsche Spezialität „Labskaus“, die natürlich nicht nur aus der merkwürdig aussehenden Pampe besteht, sondern allerlei Beiwerk hat: Matjes (oder auch einen sauren Hering), ein Spiegelei und etwas Sauergemüse oder Salat. Hier haben wir ein schönes Beispiel:

Labskaus, so wie er muss: Mit zwei Eiern, Hering, Zwiebeln, saurer Gurke und Salat

In einem Restaurant in Kappeln bot man auch Labskaus an. Dieses wurde jedoch derartig merkwürdig angepriesen, dass ich davor zurückschreckte und lieber ein Stück Pflaumenkuchen nahm, obwohl ich auch Appetit auf etwas Herzhaftes gehabt hätte. Denn man offerierte:

Text aus der Speisekarte: Labskaus für "Anfänger" mit Spiegelei in der Tasse serviert

In der TASSE?! Watt? Nein, liebe Leute, so nicht. Man hat mir ja schon vieles serviert – Kartoffelsuppe im fest verschlossenen, brühheißen Einmachglas, Burger und Pommes im Körbchen, Sahnetorte auf der Serviette. Doch dieses hier geht eindeutig zu weit. So nicht! Nicht mit mir!

Bin halt auch keine Anfängerin mehr 🙂

Voll reingesteigert oder: Das Wundermittel

Eigentlich bin ich ein ausgeglichener Mensch: meistens positiv, mit guter Laune und optimistisch. Es gibt wenig, was ich mir nicht irgendwie schön reden könnte.

Meditierender Frosch, golden

Und doch kommt es auch bei mir vor, dass ich einmal schlechte Laune habe oder nörgelig bin. Meistens hält das dann nur kurz an. Vor einigen Wochen aber habe ich mich einmal richtig genüsslich in mein Elend reinfallen lassen. Ich kam mir vor wie der bedauernswerteste Mensch der Welt. Und das kam so: Ich hatte Knie.

So ein bisschen knirschig ist mein Knie ja schon länger – das linke. Jetzt aber machte das Rechte Theater: Kurz vor dem Urlaub auf Sylt begann es anlasslos zu meutern, ignorierte meine Sanierungsbemühungen mit Voltaren, Kälte, Wärme, Bewegung und Ruhe und legte im Urlaub so richtig los. Als ich wieder zuhause war, versuchte ich es noch zwei Tage mit Ignoranz, nur um dann feststellen zu müssen, dass nichts mehr ging. Ich humpelte also zum Arzt, ächzte dort die Treppe hoch und zeigte mein dickes, teigiges Knie klagend vor. Nein, weder umgeknickt noch gestürzt. Ja, einfach so. Der Arzt tastete, bog etwas herum, murmelte etwas von „Meniskus beidseitig“. Schön, schön. Ich schlug eine Amputation vor, was er nach kurzem Zögern ablehnte, mich mit Spritzen, Reizstrom, Creme und Pillen versorgte und der Anweisung, übermorgen wiederzukommen. Na gut. Ich hatte aber noch eine Frage: „Wie lange kann sowas denn dauern? Ich möchte nächsten Samstag auf Kohlfahrt …“ Nach kurzem Überlegen und Herumrechnen bekam ich folgende Auskunft: Kann klappen, muss aber nicht.

Kohlessen mit allemIch humpelte also heim, legte den Haxen hoch, cremte, schluckte Pillen, hielt mich an alle Anweisungen. Irgendwann tat das Knie im Liegen nicht mehr weh. Meine Zweifel aber wuchsen. Kohlfahrt, das bedeutet, etwa viereinhalb Stunden rumlaufen, rumstehen, über Buckelpisten traben, Bollerwagen ziehen, komische Spiele spielen. Außerdem Anfahrt und Übernachtung. Und irgendwann stellte ich ernüchtert fest: Das wird nix. Also, so gar nicht. Ich überlegte, nicht mitzulaufen und nur zum Essen zu gehen. Aber dann hätte ich eine Zugfahrt und zwei Nächte im Hotel bezahlt, nur um den Tag alleine herumzusitzen und abends als einzige Nüchterne mit einem Haufen Besoffener Grünkohl zu essen. Nenene, das lohnt sich nicht, auch wenn mir meine Kohlfahrts-Freunde allesamt lieb und teuer sind. Ich sagte also schweren Herzens ab. Und grämte mich. Richtig muffig war ich.

Der Samstag kam und ich ging einkaufen. Das geht doch ganz prima, dachte ich, als ich die 200 Meter von der Straßenbahn zur Post humpelte. Und ich dumme Nuss hatte das Event des Jahres angesagt. Ich grämte mich noch mehr und fand mich furchtbar doof.

Nun ja: Während ich in der Post darauf wartete, mein Päckchen aufgeben zu können, stand ich bald schon wieder auf einem Bein. Und die Strecke von der Post zurück zum Wochenmarkt war auf einmal richtig lang. Schon bevor ich einkaufte, war ich im Grunde reif für die Insel, per Liegendtransport. Und ich hatte eine unglaublich schlechte Laune. So schlecht, dass ich komplett den Faden verlor und  gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich kaufen wollte. Ich erwarb also zuerst mal einen dicken Strauß Blumen – wenn das Leben schon so ungerecht ist, wollte ich es wenigstens bunt haben. Dann etwas Gemüse und ab zum Fleischstand. Ich hatte noch Grünkohl im Glas – wenn schon keine Kohlfahrt, dann wollte ich zumindest eine Portion Grünkohl essen. Rippchen wollte ich dazu, das ist das, was mir im pinkelfreien Hessen am ehesten zum Kohl schmeckt. Die Verkäuferin zeigte mit dem Messer – so viel? Ne, mehr. Noch mehr! Wenn ich muffig bin, neige ich zum Frustfressen. Daher kam mir die Idee, dass ich nicht nur Brötchen, sondern auch dringend noch ein Stück Kuchen bräuchte. Ich stellte mich am Bäckerwagen an und besah die Auslage: Bestimmt fünf Sorten Kuchen, die ich sehr liebe. Ich war unentschlossen. Sollte ich einfach alle kaufen? Die Schlange rückte etwas vor. Der Mann vor mir kaufte zwei dicke Scheiben Marmorkuchen. Wie man das dröge Zeug essen kann, wenn es auch anderes gibt, ist mir seit jeher ein Rätsel. Und dann war ich dran. Noch immer mürrisch und irgendwie blöd im Kopf war ich nach wie vor unentschlossen. Und so bestellte ich das, was mir als erstes einfiel: Zwei Kürbiskernbrötchen und ein Stück Marmorkuchen, bitte.

Zuhause packte ich meine Schätze aus und fror erst mal zwei Drittel vom Rippchen ein. Den ollen Marmorkuchen schmiss ich in den Schrank. Dann frühstückte ich und gab mich meinem Elend hin: Ich guckte „Der Landarzt“. Was soll man sonst auch machen, wenn man so doll krank ist?

Marmorkuchen mit EierlikörDie Kohlfahrer schickten erste Fotos: Man traf sich, endlich mal alle wieder beisammen, ach ist das schön. Ich gönnte es ihnen und suhlte mich in Selbstmitleid. Das ging so lange, bis ich beschloss, dass es Teezeit sei. Übellaunig kochte ich eine Kanne Sonntagstee – wenn schon, denn schon, und knallte den dicken Klafter Marmorkuchen auf einen Teller. Da lag er nun und grinste trocken. Und aus einer Laune heraus nahm ich ihn vom Kuchenteller runter und schmiss ihn in einen Suppenteller, wo ich ihn mit einer dicken Schicht breiigem Eierlikör bedeckte. Den ließ ich ein Viertelstündchen einwirken und schnabulierte dann meinen Kuchen. Tatsächlich – es half. Nach diesem exquisiten Dessert ging es meiner Laune deutlich besser. Das müssen die Gene meines Vaters sein: Der war früher auch immer total happy, wenn er sein Nachtisch-Eis in reichlich Eierlikör ertränken konnte. Und das sogar ohne entzündetes Knie.

Nachtrag: Dem Knie geht es inzwischen besser, aber das war ein hartes Stück Arbeit. Es knurzelt noch. Gestern bin ich aber zum ersten Mal wieder richtig „zweibeinig“ anstatt im Oma-Schritt eine Treppe hochgelaufen. Folglich habe ich die Hoffnung, dass ich diese Malaise überleben werden. Und das ist gut so – ich habe nämlich nicht mehr viel Eierlikör.

Merkwürdige Dinge: Nesteldecke und Nestelstulpen

Vor einer Weile kam über die Facebook-Gruppe, mit der ich für Charity-Projekte stricke, eine merkwürdige Anfrage rein: Ob wohl jemand ein paar Nestelstulpen, auch Nestelmuffs genannt, stricken könnte? Oder auch Nesteldecken? Ich war ratlos: Nestel-was? Wieso, weshalb, warum?

Die Auflösung ist einfach, einleuchtend und irgendwie traurig: Die Anfrage kam von einer Dame, die eine Demenzstation leitet. Dort gibt es Menschen, die unruhige Hände haben und die ganze Zeit herumsuchen und -fummeln. Einige kratzen und kneifen sich auch. Ihnen hilft es, wenn die nervösen Finger auch etwas zum Fummeln finden, also Knöpfe, Ösen oder sonstiges Kleinzeug, an dem sich herumspielen lässt. Auch unterschiedliche Strukturen beschäftigen sie. Deshalb gibt es spezielle Decken und Tücher, die kleine Elemente enthalten, an denen man herumgreifen kann. Die kann man für viel Geld kaufen oder auch selber machen. Eine schöne Sache, auch um Wollreste und Mutters alte Knopfbestände zu verarbeiten. Nachdem ich einen Haufen helle Wolle, für die ich bislang keine bessere Idee gehabt hatte, zu Rollstuhl- und Nesteldecken verarbeitet hatte, widmete ich mich also diesen ominösen Stulpen.

Mit meinen großen Beständen an Sockenwollresten, Knöpfen und Bastelkram zum Annähen wurde die Sache ein Selbstläufer – es macht wirklich Spaß, diese Dinger herzustellen. Damit sie auf jeden Arm passen, nehme ich 64 Maschen. Ich ziehe irgendwo ein Bändchen ein, an dem man herumspielen kann, mit dem sich die „Armsocke“ aber auch etwas enger machen lässt, damit sie zierlichen Personen nicht dauernd herunterfällt. Perlchen werden gleich mit eingestrickt, aber nur auf der Oberseite – es soll ja nicht unangenehm sein, wenn der Arm irgendwo aufliegt.

Alles in allem denke ich beim Stricken der Stulpen recht viel nach. Viele Leute, die heutzutage alt sind, haben noch Arbeitskleidung getragen – also kommen Papas alte Uniformknöpfe (von der Bahn) mit zum Einsatz. Etwa ein Drittel der heutigen Demenzpatienten sind Männer – und die tragen vielleicht lieber gedecktere Farben. Und die Stulpen sollen irgendwie symmetrisch sein. Das ist allerdings mein eigener Geschmack – MICH würde es stören, wenn die Elemente willkürlich angeordnet wirken. So bekommt also auch mein Kopf etwas zu tun, wenn ich mich dieser wirklich befriedigen Art der Resteverwertung widme. Die Wertschätzung, die dafür von der Projektorganisatorin zurückkam, tut da noch ein Übriges.

 

Covid und das große Müde …

Zwei Monate Blogpause – das gab es seit 2013 noch nie bei mir! Aber wie es eben so geht: Manchmal geht einfach nix.

Da fuhr ich doch Anfang Oktober frohgemut in den Urlaub an die Ostsee. Das Wetter war prächtig, meine Laune war es auch.

Leere Strandkörbe im Herbstlicht

Unterwegs nach Niendorf

Ich hatte ein hübsches kleines Hotel direkt am Timmendorfer Strand gebucht, hüpfte jeden Morgen früh aus dem Bett, frühstückte ausgiebig im fast leeren Frückstücksraum und stiefelte dann los. Es war noch so warm, dass man den ganzen Tag draußen sein konnte – angenehm zu Zeiten einer noch immer herummarodierenden Pandemie. Durch die viele Bewegung – ich ging auch jeden Abend noch schwimmen – fühlte ich mich fit und jung, gerade so, als sei ich höchstens 49.

Blick auf die Ostsee. Im Vordergrund allerhand Grünzeug.

Irgendwo auf der Promenade

So verging meine Woche viel zu schnell. Schon am Freitag war ich etwas wehmütig, so dachte ich zumindest, und konnte mich nicht mehr so recht motivieren. Das Schwimmen habe ich geschwänzt. Am Samstag fand ich meinen Koffer zu schwer und im Zug begann ich zu husten. Zuhause machte ich einen Covid-Test und der zeigte sofort – nach 30 Sekunden – einen dicken roten Strich. Fehlte nur noch, dass er geklingelt hätte. Hallo Corona, mein Name ist Meike.

Wie zu erwarten, war ich die beiden Wochen danach ziemlich im Eimer, auch wenn es alles in allem sicherlich ein milder Verlauf war. Aber diese Müdigkeit! Ich glaube, ich habe in meinem Erwachsenenleben noch nie so viel geschlafen.

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Eule im Vogelpark Niendorf. Ich habe bessere Fotos gemacht dort, aber dieses erscheint mir hier passend.

Inzwischen habe ich mich einigermaßen berappelt, aber zum Schreiben fehlte mir bislang jegliche Lust und Inspiration. Also habe ich Pause gemacht und mich mal wieder an die Verarbeitung meiner Wollberge gemacht. Socken, Tücher, dit und dat – all das wanderte letzte Woche in einem großen Karton an das Charity-Projekt, bei dem ich mitmache. Auch diese kleinen Gesellen hier, die den heutigen Post versöhnlich abschließen sollen:

gestrickte Schnecken und Trompetenschnüffler

Nicht die Einzige!

Vor vielen Jahren war ich mit meiner Schwester im Deutschen Auswandererhaus – einem wirklich guten, wunderbar gelungenen Museum in Bremerhaven. Das war ein schöner Ausflug damals, doch da ich mich blöd anstellte und kopfüber in das kleine Kino stürzte, waren danach nicht nur Knie und Hüfte, sondern auch mein Selbstbewusstsein arg angeschlagen. Wie kann man nur so dusselig sein, dachte ich. Ist ja auch unangenehm, sich von einigen Herren einer Senioren-Reisegruppe vom Boden aufklauben zu lassen.

Außenfassade Deutsches Auswandererhaus

Diese seelische Blessur wurde im Juni jedoch geheilt. Denn ich war offensichtlich nicht die Einzige, der das passiert ist. Es wirkt vielmehr so, als seien die Leute REIHENWEISE in dieses Kino geplumpst. Als ich mit meiner Freundin Kerstin, die das Museum noch nie besucht hatte, Eintrittskarten kaufte, wurden wir vom netten Kartenverkäufer vorgewarnt: Es sei einige Male passiert, dass Personen die Stufen im Kino übersehen hätten und gestürzt seien, wir sollten bitte aufpassen. Das fand ich ja schon sehr aufschlussreich. Hinzu kommt, dass man das Kino inzwischen nur noch in den Pausen zwischen den Filmen betreten darf – und dann machen die tatsächlich LICHT an da drin. Man konnte die Stufen dieses Mal also sehen. Zu meinem Erstaunen gingen sie nicht steil in die Tiefe, sondern nur sehr flach, was mir damals nicht geholfen hat – ich hatte wohl ordentlich Schwung. Auf jeden Fall liefen wir dieses Mal nicht Gefahr, uns bäuchlings ins Vergnügen zu stürzen, was mich beruhigt hat.

Denkmal "Die Auswanderer" in Bremerhaven

Denkmal „Die Auswanderer“

Das Museum ist übrigens unbedingt auch einen zweiten Besuch wert. Es wurde inzwischen in Teilen überarbeitet. Nicht mit allem konnte ich etwas anfangen, vielleicht war mir auch einfach nur zu warm, um irgendwelchen Debatten zu folgen. Man konnte sich jedoch auch ohne derartig anspruchsvolle Programmpunkte stundenlang im Museum aufhalten, ohne sich zu langweilen.

Ach so, und noch etwas fällt mir ein: Vor acht Jahren war ich nicht ganz sicher, ob das Museum wirklich barrierefrei ist. Inzwischen kann ich das bestätigen: Doch, das ist es. Man muss manchmal etwas rumgucken, bis man den Lift findet, aber es gibt einen Zugang zu allen Ausstellungsteilen.

Flieger und Brummer

Es gab Pflaumenkuchen! Wieder mal bei meiner Freundin Maike, wieder mal auf ihrer wunderschön begrünten Dachterrasse. Maike gärtnert leidenschaftlich gerne und bemüht sich jedes Jahr, ein dauerblühendes Bienenparadies zu gestalten. Und ich ging auch dieses Jahr wieder auf Fotosafari. Wie immer mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Ich knipse ja ausschließlich mit dem Handy und nutze die „einfach draufhalten-Technik“, was dazu führt, das ich pro einigermaßen gelungenem Foto mindestens 10 mache, die unscharf, verwackelt oder am Ziel vorbei getroffen sind.

Das Problem beim Knipsen dieser possierlichen kleinen Viecher ist ja nicht nur meine generelle Langsamkeit. Und nein, auch nicht die kleine Verzögerung, die zwischen meinem hektischen Fingertippen und dem Auslösen der Kamera entsteht. Nein, das Problem liegt häufig in der mangelnden Kooperation meiner Models. Die halten einfach nicht still, und viele gucken mich freiwillig nicht mal mit dem Hintern an. Oftmals verlassen sie einfach die Location, wenn ich abdrücke, und kümmern sich einen Scheiß darum, dass ich sie gerade ganz groß rausbringen will. Dann sieht man auf der Aufnahme bestenfalls noch ein unscharfes Flugobjekt an scharfer Blüte. Oft aber auch nur eine nackte Blüte ohne Insekt – was manchmal natürlich auch ganz schön ist.

Trotz der Widrigkeiten macht mir diese laienhafte Fotojagd immer viel Spaß, wenngleich es manchmal desillusionierend ist, aus der Masse an Fotos hinterher all die vermurksten Bilder auszusortieren. Auch waren mir die vielen Wespen beim Kuchen essen teilweise etwas lästig, besonders das verwirrte Wesen, dass sich im Sturzflug in meine Sahne stürzte. Aber gut, wer das eine will, muss das andere mögen – und wir brauchen diese eifrigen kleinen Tierchen deutlich dringender als sie uns.

Sommerlicher Farbenrausch

So ganz allmählich erwachen meine Lebensgeister wieder – das hat eine ganze Weile gedauert nach der coronabedingten Rückzugs-Starre. Deshalb hatte ich auch viel Freude an den tollen Außenanlagen im Museumsdorf in Cloppenburg. Gemüse- und Bauerngärten, riesige Hortensien und Blumen, Blumen, Blumen. Trotz der Hitze hatte ich Spaß daran, die eine oder andere Blüte zu knipsen.

Es gibt nicht nur Kulturpflanzen im Museumsdorf, auch allerhand Wildkraut gibt es anzugucken. Auf Wiesen und in Pferchen wohnen alte Haustierrassen und ich verliebe mich jedes Mal wieder neu in die Heidschnucken, die mir dieses Mal leider nur den Hintern zudrehten. Dafür hatte ich einige nette Unterhaltungen mit gescheckten Pferden.

Zu meinem großen Erstaunen fand sich heute Morgen gar keine Aufnahme von Phlox. Dabei kam der in fast jedem Garten überreichlich vor. Wir wunderten uns darüber und haben mehrfach darüber gesprochen – aber geknipst habe ich keinen. Schade. Aber gut, dafür gab es allerhand anderes …

Immer, wenn ich derartige Blumen sehe, denke ich, dass Gärtnern ja auch wirklich ein schönes Hobby ist. Wenn ich dann jedoch daran denke, wie ungern ich früher zuhause im Garten gewerkelt habe, verwerfe ich diesen Gedanken wieder. Meine Freundin Maike jedoch, der ich das Bild von der Rosenblüte mit Knospen und blauem Nebengeblümel schickte, fühlte sich davon inspiriert und will diese Farbkombination im nächsten Jahr auf ihrer Dachterrasse umsetzen. Das soll sie mal machen, ich knipse das dann 🙂

Reif für’s Museum

Bei aller berechtigten Kritik an den sozialen Medien: Manchmal sind sie zu was gut. Beim Verbreiten von kleinen Informationen zum Beispiel, an die man ohne Internet-Kontakte vielleicht gar nicht rangekommen wäre. So ging es mir vor etwa zwei Wochen, als ich einen Beitrag meiner früheren Schulfreundin Petra auf Facebook sah: Sie berichtete, dass das Museumsdorf in Cloppenburg erweitert worden sei, u. a. um eine Discothek. Da meine Schwester und ich zuletzt vor 7 Jahren in diesem Museum waren, beschlossen wir, mal wieder hinzufahren. Bei brütender Hitze vielleicht eine komische Idee, aber zumindest war es gar nicht voll. Und – was soll ich sagen – es war ein Rückstoß in unsere Jugend.

Dorfdisco "Sonnenstein" in einem Klinkerbau

Dorfdisco, wie ich sie kannte

Die an ihrem alten Standort in Harpstedt abgebaute und ins Museumsdorf versetzte Dorfdisco „Zum Sonnenstein“ erinnerte mich schon von außen an die Lokale, in denen ich meine Jugendabenteuer erlebte. Bei uns war es die „Gaststätte zum Loyerberg“, das „H9“ oder das „Ede Wolf“, und sie sahen dem Sonnenstein innerlich und äußerlich frappierend ähnlich. Klinkerbauten, altmodische Leuchtreklamen, innen dunkle Holztheken, in allen Ecken aufgestapelte Getränkekisten, Tiffanylampen – diese wilde Mischung machte den Discoabend aus. Getrunken wurde bei uns Cola mit Weinbrand, genannt Charly, und in der Happy Hour von 0 bis 1 Uhr kostete ein kleines Glas dieses Gesöffs gerade mal eine Mark. Prost.

Innenaufnahmen aus dem Sonnenstein: Dorf-Disco-Ambiente der 80er Jahre.

In der Disco lief 80er-Jahre-Musik, es standen vertraut aussehende Getränke herum und die in einem Ausgabe-Fenster auf Abholung wartende Currywurst sah genau so appetitlich aus, wie es damals üblich war. Über das Anrichten einer Speise machte man sich dort keine Gedanken, hauptsache warm, fettig und salzig. Guten Appetit!

Beim Betreten der Räumlichkeiten wurde man schon von einem imaginären Türsteher angesprochen: Meine Schwester solle sich dieses Mal gefälligst benehmen, sonst flöge sie raus. Und ich sei besonders scharf gekleidet heute – nun ja. Auch wenn man weiter ging, konnte man Gespräche belauschen: Mal wurde eine Gunda befragt, wo sie denn die geilen Klamotten her habe, dann jammerte ein junger Mann, dass er dringend eine Mitfahrgelegenheit nach Bassum suche. Der Arme, das ist wirklich weit ab vom Schuss. Zum Glück nahm sich jemand seiner an. Es war lustig und authentisch, wir hatten viel Spaß.

Auch einen neuen Laden gibt es, in dem Produkte unserer Kindheit zu kaufen waren, und eine Ausstellung ließ uns ebenfalls in Erinnerungen schwelgen. Das hat Spaß gemacht und war toll, aber dass meine Generation inzwischen reif für’s Museum ist, stimmt mich doch ein bisschen wehmütig.