Lieblingsgedicht

Vor einigen Tagen wurde darüber berichtet, dass sich der Vorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, in einem Interview mit einem Kinder-Reporter der Kindernachrichtensendung „Logo“ nicht mit Ruhm bekleckert habe. Er erklärte dem Jungen, dass in den Schulken wieder mehr über deutsches Kulturgut, insbesondere auch Volkslieder und Gedichte gelehrt werden solle. Als der aufgeweckte Junge dann nach seinem Lieblingsgedicht fragte, fiel ihm keines ein. Also gar keines. Immerhin benannte er als Lieblingsdichter dann Heinrich Heine, was ebenfalls zu Erheiterung in den sozialen Netzwerken führte. Ich habe mich zwar mit Heine noch nicht sooo sehr beschäftigt, weiß über ihn aber genug, um einem Politiker dieser grässlichen Partei gerade diese Neigung nicht so recht abzunehmen.

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Aber darum soll es hier eigentlich gar nicht gehen. Diese Debatte brachte mich selber dazu, darüber nachzudenken, welches Gedicht und welchen Dichter ich eigentlich gesagt hätte. So einfach finde ich das gar nicht. Ohne dass ich diesen Politiker verteidigen möchte, wäre mir zuerst wahrscheinlich auch nichts Gescheites eingefallen, außer vielleicht die fade Made von Heinz Erhard oder „Ein kleiner Hund mit Namen Fips“ von Christian Morgenstern. Das war das erste Gedicht, das wir in der Schule gelesen haben, in der 2. Klasse. Damit hätte ich mich in der Öffentlichkeit sicherlich zum Affen gemacht.

Nach einigen Sekunden des Nachdenkens wäre bei mir aber wohl ein bisschen was gekommen. Mein liebster Dichter ist Rilke, und als erstes Gedicht von ihm fiel mir spontan „Der Panther“ ein. Das haben wir früh in der Schule gelesen und schon damals fand ich, dass da viel drinsteckt. Als ich heute jedoch in meinem Rilke herumwühlte, fand ich eines, dass mir eigentlich schon immer besonders gut gefallen hat – dieses hier:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Das Gedicht ist inzwischen rund 120 Jahre alt, die Zeiten und die relevanten Diskussionen haben sich natürlich geändert. Doch derzeit entbrennen täglich viele tausend Diskussionen um Sprache und darum, was die Sprache bewirkt. Mir begegnen zunehmend Personen, die meinen, alles zu wissen, und sich anderen gegenüber als Sprachpolizei aufführen. Ich gebe mich da ja immer recht hartleibig, weil ich der Einschätzung Einzelner, die zu wissen glauben, wie alle anderen empfinden (müssen), nicht so recht traue. Rilkes altes Gedicht scheint mir nach wie vor aktuell zu sein, wenngleich es inzwischen vielleicht weniger um die Entzauberung der Dinge als um die Definition von Zuständen geht.

Dieses Gedicht wurde übrigens auch im von mir so geliebten „Rilke-Projekt“ der Musiker Richard Schönherz und Angelica Fleer interpretiert. Das macht ausgerechnet der unselige Xavier Naidoo. Nun, noch kann ich Kunst vom Künstler trennen und finde, das ist wirklich gut gemacht.

Klein-Meikes Leseschätze – Grischka

Das war die Ausgabe, die Tante Rita hatte.

Mit diesen wunderbaren Abenteuergeschichten des französischen Autors René Guillot kam ich zuerst in der Schule in Kontakt: In unserem Lesebuch war der Anfang oder das erste Kapitel enthalten. Ich denke, wir lasen es in der dritten Klasse. Ich war unglaublich begeistert davon und freute mich sehr, dass ich bei meiner lieben Tante Rita alle vier Bände im Regal fand.

Darum geht es: Der erste Band „Grischka und sein Bär“ erschien im Jahr 1959 – und damals berichtete sogar die renommierte „Zeit“ darüber. Drei weitere Bände folgten, die nicht nur Abenteuer mit Tieren, sondern auch Konflikte zwischen Menschen und das Hinterfragen von Traditionen und Gebräuchen thematisieren.

Die Bücher spielen in der eisigen Welt Sibiriens, in der Taiga. Der Junge Grischka und seine Freundin Jaku finden ein Bärenjunges, dass Grischka aufzieht. Als das Leben des Bären aus traditionellen bzw. rituellen Gründen bedroht ist, entscheidet der Junge sich für seinen Freund, den Bären, und verlässt das Dorf, um das Tier zu retten. Darum entspannt sich eine ungeheuer fesselnde und irgendwie stimmungsvolle Geschichte, die mich als Kind fasziniert hat und die ich auch heute noch als sehr gelungen empfinde.

Das war meine Ausgabe aus den 80er Jahren

Was ist das Besondere: Für mich waren die die Bücher spannend und irgendwie „reinziehend“. Das Setting ist ungewöhnlich – ich glaube, ich kenne sonst gar kein Buch, das in der sibirischen Natur spielt. Die Beschreibungen der Umgebung und der Lebensweisen sind so plastisch, dass es mich sehr reingezogen hat. Noch heute meine ich, ein kaltes Pusten zu merken, wenn ich an die Bücher zurückdenke.

Allerdings habe ich die Bände eins bis drei dem vierten klar vorgezogen. Das scheint auch dem Verlag so gegangen zu sein, denn als ein Sammelband herauskam, enthielt dieser kurzerhand nur die ersten drei Bände. Dieses dicke Buch bekam ich irgendwann zu Weihnachten und es steht noch heute in meinem Regal.

Das gibt es:

  • Grischka und sein Bär
  • Grischka und die Wölfe
  • Grischka und Ajoki
  • Grischkas großes Abenteuer

Wenn ich es richtig gesehen habe, werden die Bücher derzeit nicht neu angeboten. Die letzte Auflage, die ich finden konnte, war aus 1999. Schade …

 

Klein-Meikes Leseschätze – Zöpfe unterm Cowboyhut

Dieses wunderbare Buch gehörte eigentlich meiner Schwester, ich habe es aber unzählige Male ausgeliehen und gelesen. Vor einigen Jahren fand ich es bei ebay und habe seitdem endlich ein eigenes Exemplar – was für ein Glück!

Zöpfe unterm Cowboyhut, von Marjorie Filley Stover

Darum geht es: In der Geschichte geht es um Emma-Jane Burke, die im 19 Jahrhundert gemeinsam mit ihrer Familie von Texas nach Illinois zieht. Auf die Reise gehen neben Emma-Jane ihre Mutter, der schwer kranke Vater, etliche jüngere Geschwister und 81 Longhorns. Diese Rinder sind in Texas nicht viel wert, könnten aber in Illinois deutlich gewinnbringender verkauft werden, weshalb es für die Familie so wichtig ist, sie mitzunehmen.

Emma-Jane ist bis zum Aufbruch ein ganz normales 13-jähriges Mädchen, das es kaum erwarten kann, endlich lange Röcke und das Haar aufgesteckt tragen zu dürfen. Als sie von der Krankheit des Vaters erfährt, beschließt sie, alles zu tun, um die Familie zu unterstützen. Durch den Tod des Vaters muss sie über sich hinauswachsen und die Führung des Trecks übernehmen – eine Aufgabe, die ihr außer ihr selbst wohl niemand zutraut.

Doch Emma-Jane ist zäh und gewitzt. Sie findet Hilfe, und wo man sie ihr nicht freiwillig gewährt, setzt sie sich durch wilde Entschlossenheit durch. Und so schafft sie es, Rinder und Familie glücklich ans Ziel zu bringen.

Was ist das Besondere? Du kannst alles schaffen, auch wenn du ein Mädchen bist – diese Botschaft vermittelt das Buch sehr klar. Emma-Jane glaubt an sich und hat ein Ziel. Im Epilog erfährt man, dass sie den Rest ihres Lebens genauso weitergemacht hat – entschlossen voran, sich nicht einschränken lassen. So haben sie und ihr späterer Mann es zu einem gewissen Wohlstand gebracht – und das gönnt man diesem tapferen Mädchen nach dem Lesen dieses Buches aus ganzem Herzen.

Was gibt es noch: Die Autorin Marjorie Filley Stover ist eine direkte Nachfahrin Emma-Janes. Sie hat etliche Bücher geschrieben. Trotzdem ist im Netz im Grunde nichts über sie zu finden. Ihre Nachforschungen über Emma-Jane Burke erledigte sie gemeinsam mit ihrem Mann, einem Historiker – zumindest soviel sagt der Klappentext des Buches über sie.

Klein-Meikes Leseschätze – Lotta

Die dreibändige Reihe um Lotta ist für mich heute die Geschichte eines großen Betruges, fast eines Skandals, aber davon später.

Ich bekam die Bücher mit etwa 12 Jahren von unserer Nachbarin Angela geschenkt. Sie hütete ihre eigenen Mädchenbücher sowie die ihrer Schwester Gunda, und da die beiden Schwestern selber nur Jungs hatten, kam ich in den Genuss mehrere Kartons mit Büchern. Einige fand ich Anfang der 80er Jahre schon irgendwie verflossen, andere aber habe ich geliebt. Und Lotta habe ich bis heute aufgehoben und jetzt mal wieder gelesen.

Lotta, von Merri Vik

Darum geht es: Der erste Band der schwedischen Mädchenbuchreihe rund um das Mädchen Marie-Sofie Monsson, genannt Lotta, erschien 1959 und wurde 1963 auch auf Deutsch veröffentlicht. Lotta ist 13 Jahre alt, ein ganz normaler Teenager und die jüngste von vier Geschwistern. Sie ist schlampig, schlecht in der Schule und hat immer Pech. Sie ist diejenige, die kopfüber im Kohlenhaufen landet und immer wieder mit dem Klassenlehrer, dem „Lockenheini“, aneinandergerät. Und sie ist die, die ihrer Freundin in der Schule von ihrer Verknalltheit in den Geschichtslehrer erzählt, während die Sprechanlage eingeschaltet ist und diese Beichte live in alle Klassenzimmer überträgt. Lotta zieht das Unglück an wie die Motten das Licht.

Und doch hat sie manchmal auch das Glück der Tüchtigen, denn ihr Optimismus und ihr natürlicher Antrieb, anderen Gutes zu tun, trägt erstaunliche Früchte. So kann sie die ältliche Tante, die allen auf die Nerven geht, mit dem „Physikonkel“ verkuppeln. Sie wird fast von einer herunterfallenden Aktentasche getroffen und erhält dafür einen Finderlohn, der sie, die ewig bankrotte Schülerin, für einen Augenblick vor den Geschwistern dastehen lässt wie Krösus. Sie ist gutartig und hilfsbereit, sodass man ihr ihre kleinen und größeren Schwächen gerne nachsieht.

Das ist das Besondere: Lotta und ihre Familie sind erfrischend normal. Auch wenn die Handlung eher seicht ist und man inzwischen ein anderes Frauenbild hat, erkennt man sich in den Büchern wieder. Ich selbst war Lotta, lange Jahre: Wissend, dass man besser Hausaufgaben machen sollte, aber doch lieber interessiert ist an allem anderen. Immer in Gefahr, nicht versetzt zu werden, und dann eine Hau-Ruck-Aktion vor den Ferien. Lieber zwei Stunden lang suchen, anstatt einmal ordentlich aufzuräumen. Und immer wieder Gezanke unter den Geschwistern, obwohl man eigentlich wie Pech und Schwefel aneinander klebt.

Und das ist der Skandal: Auf Deutsch erschienen aus der Reihe die folgenden Bände:

  • Natürlich wieder Lotta
  • Jaja, unsere Lotta
  • Aufgepasst, Lotta

In der Vorbereitung dieses kleinen Beitrages musste ich aber auf Wikipedia erfahren, dass es auf Schwedisch – haltet euch fest – insgesamt 47 (siebenundvierzig!) Bände aus dieser Reihe gibt. Die Reihe wurde bis 1991 fortgesetzt, man kann Lottas Werdegang verfolgen, bis sie selber eine Tochter im Lotta-Alter hat. Und das empfinde ich wirklich als ungerecht. Ich habe diese Geschichte geliebt, ich will wissen, wie es weiterging mit Lotta. Was hat sie gelernt, und was wurde aus dem unschuldigen Flirt mit Jonas, der genauso einen Mathe-Niete war wie sie selber? Ich will das wissen, kann aber kein Schwedisch. Warum hat man mir das vorenthalten?

Klein-Meikes Leseschätze – Britta und ihre Pferde

Auch diese Reihe besitze ich als Sammelband – zwei Mark hat es mich vor vielen Jahren auf dem Echinger Flohmarkt gekostet. Als Kind hatte ich nur einen der elf Bände zuhause und musste die anderen zehn in der Bücherei oder von einer Freundin ausleihen. Das habe ich oft getan – aber warum, kann ich inzwischen gar nicht mehr so recht nachvollziehen. Denn eigentlich passiert nicht viel und ich war auch wahrlich kein „Pferdemädchen“. Es geht um

Britta und ihre Pferde – von Lisbeth Pahnke 

Der Scutzumschlag war übrigens schon weg, bevor ich das Buch kaufte!

Darum geht es: Das Mädchen Britta wächst in den 60er Jahren in Schweden auf. Ihr Hauptinteresse sind Pferde. Sie geht zur Reitschule, hat aber kein eigenes Pferd. Wenn die Reitschule über die Sommerferien schließt, verfällt sie fast in Depressionen und als ihr Lieblingspferd bei einem Unfall verstirbt, ist sie untröstlich. Daher bekommt sie von ihren Eltern ein eigenes Pony.

Nach Abschluss der Schule geht Britta zunächst für eine Weile aufs Land, wo sie als Stallhilfe arbeitet. Später beginnt sie in einer kleinen, im Aufbau befindlichen Reitschule als Reitlehrerin und denkt auch, dass dieser Beruf das Richtige für ihren weiteren Lebensweg ist. Sie findet einen Freund, der ähnliche Interessen hat, und denkt darüber nach, sich mit ihm mit einem Gestüt selbständig zu machen.

Was ist das Besondere: Als Kind mochte ich die Beschreibung der Reitgemeinschaften und die lustigen kleinen Erlebnisse: die Ausflüge mit Picknick, das gemeinsame Trainieren, das Vorbereiten von Festen oder Wettbewerben. Das alles erschien mir in meiner kleinen Welt schön und bedeutend. Inzwischen wundert mich das ein bisschen, denn wenn man ehrlich ist, passiert elf Bände lang furchtbar wenig. Gut, es geschehen mal kleine Unfälle und es sterben auch zwei Pferde, ein paar Wettbewerbe werden gewonnen und es gibt oft Kakao, aber damit hat es sich auch schon. Ein Satz prägte sich mir beim nochmaligen Lesen dahingehend ein: „Wir hatten einen schönen Ritt durch den Wald und es passierte nichts Besonderes.“ Hmmm, ja. Gut. Vielleicht ist es gerade das, was mich damals so angezogen hat: Eine ruhige kleine Welt mit einer fröhlichen Gemeinschaft, Sommer mit Hitze und Apfelsaft sowie Winter mit Schnee und Kakao.

Eine Szene wie dem Buch entnommen – Schimmel und Schlitten
(Bild von Pixabay)

Was gibt es noch: Als ich die Bücher im letzten Jahr noch einmal las, fiel mir auf, wie grauslich schlecht sie übersetzt und lektoriert sind. Da hat der Verlag sich wirklich überhaupt keine Mühe gegeben. Es sind Fehler darin, die einen wirklich lachen lassen – und das sollte bei Kinderbüchern eigentlich nicht passieren.

  • So heißt Brittas Bruder anfangs Nisse, später Lasse. Zum Glück kommt er selten vor, sonst wäre man verwirrt, denn auch Brittas Freund heißt Lasse.
  • Oft stimmt die Perspektive oder der Bezug nicht – dann spricht plötzlich das Pferd, oder das Pferd macht einen tollen Vorschlag, der natürlich sofort umgesetzt wird.
  • Die Bücher wurden von unterschiedlichen Personen übersetzt. Eine Übersetzerin hat sowohl die schwedischen Kronen und Öre in Mark und Pfennig übersetzt, die andere nicht. Und auch die Namen wurden teilweise übersetzt – es dauerte z. B. eine Weile, bis ich kapiert habe, dass Ingrid und Inger eine Person sind.

Diese Liste ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen. Natürlich bin ich inzwischen geschult darin, etwas Korrektur zu lesen. Ich erinnere mich aber, dass mir auch als Kind das eine oder andere davon schon aufgefallen ist.

Trotz dieser Mängel habe ich diese Bücher früher ausgesprochen gerne gelesen. Ich denke aber, dass es Zeit wird, mich von dem dicken Buch zu trennen – nochmal brauche ich das wohl nicht.

Klein-Meikes Leseschätze – Susanne Barden

Ich bin schon wieder krankgeschrieben – 2020 scheint ein Seuchenjahr zu werden. Zum Glück habe ich es dieses Mal etwas früher gemerkt, dass in meinem Körper etwas vor sich hin köchelt, sodass die Kraft immerhin für Kinderbücher ausreicht.

Dieses Mal möchte ich eine kleine Reihe empfehlen. Aus den ursprünglich sieben Folgen wurden für die gängigsten deutschen Ausgaben drei dicke Bände gemacht, die meine Schwester irgendwann um 1980 herum bekam. Es gab aber auch die Ausgabe mit sieben Bänden zu kaufen. Ich habe mir die dickeren Bücher viele Jahre später bei Ebay gekauft, damit ich immer mal wieder reingucken kann. Es geht um

Susanne Barden, von Helen Dore Boylston 

Darum geht es: Die zwischen 1936 und 1952 in den USA erschienene Reihe um die junge Susanne Barden beschreibt den Weg einer jungen Frau, die in den 20er Jahren ihr Elternhaus verlässt, um Krankenschwester zu werden. Im ersten der drei Doppelbände geht es um ihre Ausbildungszeit in einem großen Lehrkrankenhaus: Zunächst ist sie Probeschwester, ständig in der Angst etwas falsch zu machen und noch auf der Suche nach Freundinnen, die sich aber schnell finden. Gemeinsam mit Kit und Connie wird sie reguläre Lernschwestern und durchläuft all die verschiedenen Stationen ihrer Ausbildung von der Ambulanz über den Operationssaal bis hin zur Säuglingspflege. Natürlich findet sich auch ein netter junger Assistenzarzt, der sich für sie interessiert.

Im zweiten Doppelband findet Susanne ihre wahre berufliche Bestimmung und wird ambulante Krankenpflegerin. In der New Yorker Henry-Street-Stiftung wird sie ausgebildet, um dann nach allerlei Irrungen und Wirrungen zu ihrem Verlobten aus’s Land zu ziehen und dort als ländliche Fürsorgeschwester zu arbeiten.

Im dritten Band, der die drei letzten Folge der Originalserie enthält, wechselt Susanne die Rollen mehrmals: Sie ist Leiterin einer kleinen Schwesternschule auf dem Land, bekommt dann mehrere Kinder und nimmt quasi einige Jahre Elternzeit und kehrt dann in den normalen Alltag einer Krankenschwester auf Station zurück.

Das ist das Besondere: Obwohl die Bücher in den 20er und 30er Jahren spielen, kamen sie mir niemals altmodisch vor. Natürlich beinhalteten auch sie noch das traditionelle Frauenbild – so gibt es zum Beispiel keine Ärztinnen, sondern nur Krankenschwestern, und die meisten verheirateten Frauen hören schnell auf zu arbeiten. Doch die Figur der Susanne strebt immer nach Unabhängigkeit, danach, sich möglichst umfassend auszubilden und immer mehr zu lernen. Sie will ihre gute Ausbildung auch nicht dadurch „verschenken“, dass sie schnell heiratet und Hausfrau wird. Sie bedauert mehrfach, dass die Fähigkeiten von Frauen so oftmals nicht richtig genutzt werden.

Die Serie ist meines Erachtens sehr realistisch. Weder sind Susanne und ihre Freundinnen Mauerblümchen, noch sind sie, bei aller Ernsthaftigkeit, mit der sie ihre Ausbildung vorantreiben, Streberinnen. Auch zwischen Susanne und ihrem Mann Bill gibt es ab und zu Phasen, in der sie um ihre Beziehung kämpfen müssen. Ihre Kinder sind nicht immer wohlerzogen und ihre Bekannten keine Musterbürger. Ihnen wird nichts geschenkt, doch es ist der Grundtenor der Bücher, dass man lieber anpackt und etwas ändert, anstatt lange zu klagen.

Das gibt es noch:  Über eine Sache habe ich mich schon als Kind immer wieder amüsiert, denn sie kommt bei Kinder- und Jugendbüchern immer mal wieder vor: Die Namen wurden übersetzt. Susanne Barden heißt eigentlich Sue Barton, und ihr Mann heißt ganz bestimmt nicht Wilhelm, sondern William. Warum konnte man das nicht einfach so lassen? Merkwürdig, aber auch nicht wirklich störend.

Die Bände heißen in der zusammengefassten Version:

  • Susanne Barden – Hinaus ins Leben
  • Susanne Barden – Weite Wege
  • Susanne Barden – Reifen und Wirken

Klein-Meikes Leseschätze – Der Brief für den König

Kürzlich habe ich einen kurzen Beitrag über mein Leseverhalten als Kind geschrieben und dachte, dass ich eigentlich mal meine alten Lieblingsbücher vorstellen könnte. Einige von denen werden immer noch aufgelegt, andere sind wahrscheinlich inzwischen hoffnungslos veraltet, politisch unkorrekt und wären für heutige Kinder höchst merkwürdig. Das macht aber nix – ich poste die trotzdem 😊

Den Anfang macht …

Der Brief für den König von Tonke Dragt

Dieser wunderbare Abenteuerroman der niederländischen Schriftstellerin Tonke Dragt erschien schon 1962. Ich bekam ihn etwa 1979 oder 1980 das erste Mal zu lesen, und zwar als eine Leihgabe meiner Sandkastenfreundin Anne. Später bekam ich es selbst, was gut war, denn Anne war inzwischen mit ihrer Familie weggezogen.

Darum geht es: Der junge Schildknappe Tiuri will Ritter werden. Nur noch eine Nachwache gilt es zu bestehen, dann soll er den Ritterschlag empfangen. Doch dann erreicht ihn ein Hilferuf und er entscheidet sich gegen die Ritterwürde und dafür, zu helfen.

Der Auftrag führt ihn durch Wälder. über Berge und Flüsse. Anfangs ist er allein, doch er bekommt Hilfe und findet einen guten Freund. Und gegen alle Widerstände gelingt es ihm, das geheime Schriftstück, den Brief für den König, zuzustellen – auf etwas unorthodoxe Weise zwar, aber doch so, dass er schlimmes Unheil verhindern kann.

Das ist das Besondere: Das Buch ist unglaublich spannend. Der Protagonist ist sympathisch, man fiebert von Anfang an mit. Als Kind bin ich richtiggehend eingetaucht in die Geschichte und habe mir überlegt, was ich an Tiuris Stelle getan hätte. Sogar jetzt noch habe ich Spaß an der Geschichte und bin immer wieder überrascht über die vielen Wendungen.

Das gibt es noch:  Das Buch wurde 2008 sehr werkgetreu verfilmt. Ich mochte das Buch zwar lieber, fand den Film aber recht ordentlich.

Mit „Der wilde Wald“ erschien eine Fortsetzung des Romans, die ebenfalls spannend ist. Mit dem ersten Band konnte dieser zweite meiner Meinung nach aber nicht so recht mithalten.

Und auch heute noch ist das Buch aktuell: Auf Amazon ist eine neue Ausgabe angekündigt, die im März 2020 erscheint. Vielleicht ist das ja was für eure Kinder oder Enkelinnen …

Trümmerjunge, von Hermann Oppermann

Derzeit bin ich enorm lesefaul, soll heißen, ich gucke lieber fern, stricke oder tue sonst irgendwas anderes. Aber ich höre gerne Hörbücher – dabei kann man auch gut stricken. Und dabei begegnete ich dem bezaubernden Trümmerjungen.

Der autobiographische Roman von Hermann Oppermann beschreibt die Kindheit des kleinen Hermi, Jahrgang 1937. Dieser wächst in einer nationalsozialistischen Familie auf und erlebt die ersten Kriegsjahre in der steten Zuversicht, dass der Krieg auf jeden Fall gewonnen und danach alles wunderbar sein wird. Nach den ersten Bombardierungen Braunschweigs wird er gemeinsam mit seiner Mutter auf’s Land zum Großvater geschickt, als es auch dort zu Kriegshandlungen kommt, erfolgt eine weitere Evakuierung. Erst nach Kriegsende kehren Mutter und Sohn zurück ins zerstöre Braunschweig und finden ein ausgebombtes Haus vor.

Hermis spätere Kindheit und Jugend ist geprägt vom Mangel und dem täglichen Kampf um das Nötigste, aber auch von Freundschaft und guten Erlebnissen. Die Familie tut sich schwer, obwohl der Vater unverletzt aus dem Krieg zurückkommt und schnell wieder Arbeit findet. Schon früher cholerisch, steigert er in seiner Gewalttätigkeit gegen Frau und Sohn. Die Mutter entwickelt eine psychische Störung, die Ehe scheitert schließlich. Trotzdem gelingt es Hermann, seinen Weg zu finden.

Das Interessante und auch Schöne an diesem Hörbuch war für mich, dass der Autor nicht gewertet hat. Er beschrieb seinen unberechenbaren Vater nie als Monster, denn es gab auch gute Zeiten. Die Mutter, so labil sie auch war, stand immer hinter ihrem Sohn und kämpfte für ihn. Der kleine Hermi betrachtete die Welt aus kindlichen Augen und vertraute blind dem, was man ihm eingetrichtert hatte. Der älter werdende Hermann musste verstehen, dass man ihn in so mancher Hinsicht belogen hatte, und machte doch das Beste daraus. Es half ja auch nichts. Das ganze Buch erzählt von diesem Pragmatismus, der in dieser Zeit wohl nötig war.

Die Kriegsgeschichte kommt weitgehend ohne Grausamkeiten aus. Der eine oder andere Onkel verschwindet im Krieg und natürlich weiß man, was in den Bomennächten in Deutschland passiert ist, aber der Autor verzichtet auf epische Beschreibungen des Schreckens. Das hat mir gut gefallen, genau wie das versöhnliche Ende.

Gelesen wird das Hörbuch auf angenehme Weise von Bodo Henkel.

Literaturnobelpreis 2017 – gut gemacht!

Ich muss gestehen, dass ich keine große Freundin der Literaturnobelpreisträger der letzten Jahre bin. Gut, nicht von allen habe ich etwas gelesen. Einige habe ich gelesen und fand sie … merkwürdig. Andere … schaurig. Den Preis für Bob Dylan im letzten Jahr fand ich mutig – immerhin. Und seit vielen Jahren sagte ich immer mal wieder: „Ich würde den Preis Kazuo Ishiguro geben.“ Nun haben sie also auf mich gehört – geht doch. Es wurde wirklich Zeit, dass dieser wunderbare Autor, dieser Zauberer der Sprache und mächtige Prosa-Poet entsprechend gewürdigt wird.

Nun will ich mich aber nicht nur der groupiehaften Schwärmerei hingeben, sondern auch ein Buch von Kazuo Ishiguro vorstellen. Ich glaube, dass ich alle seine Bücher, die auf Deutsch erschienen sind, gelesen habe. Bereits besprochen habe ich vor einer Weile das schöne „Was vom Tage übrig blieb“. Etwas ganz anderes ist die Nummer zwei auf meiner Ishiguro-Favoritenliste, das noch recht neue Buch

Der begrabene Riese

Dieses Buch habe ich mir tatsächlich mal als Hardcover gekauft

Darum geht es: Es ist nicht so einfach, diesen Roman zu beschreiben, ohne allzu viel zu spoilern. Die Handlung ist im 6. Jahrhundert angesiedelt, einem ohnehin schon dunklen Zeitalter, in dem zu allem Überfluss auch noch ein alles verwischender Nebel über den Erinnerungen der Menschen liegt. Aberglaube und Dämonenangst beherrschen die Gedanken der einfachen Leute. Auch Axl und Beatrice, zwei alte Bauern, die sich irgendwann aus ihrem Dorf aufmachen, um den Sohn zu besuchen, unterliegen vielen Ängsten und vor allem Unsicherheit: Wann ging der Sohn fort und warum? Wohnt er wirklich in einem der Nachbardörfer, kennen sie den Weg dorthin? Und haben sie überhaupt einen Sohn gehabt? Sie wissen es nicht genau, die Vergangenheit liegt im Dunklen.

Nicht nur die beiden Alten scheinen viel vergessen zu haben. Auch bei allen anderen Menschen, die sie treffen, liegt vieles im Nebel. Einig sind sie sich nur darüber, dass sie vorsichtig sein müssen, leise – bloß den Drachen nicht wecken.

Auf dem Weg, dessen Ziel sie nicht kennen, entdecken Axl und Beatrice einander neu, ohne sich der Bedeutung dessen, was sie erfahren, wirklich bewusst zu sein. Kennen sie einander wirklich? Lieben sie einander überhaupt? Wer ist Axl, der klapprige Alte, den fremde Menschen so furchtsam ansehen? Bedeckt der Nebel mehr als nur die feuchtkalte Landschaft? Und ist er Fluch oder Segen?

Das ist das Besondere: Eine ganze Weile weiß man nicht, was dieses Buch eigentlich ist: Märchen, Historienschmöker mit Fantasyeinschlag, oder was? Der Nebel des Vergessens liegt über allem, und man begreift, dass er nichts anderes bedeutet als die Verdrängung einer furchtbaren Vergangenheit. Nur durch Vergessen ist es den Menschen möglich, weiterzuleben und einen brüchigen Frieden aufrecht zu erhalten. Furchtbare Dinge sind passiert, sie wurden begraben und niemand möchte sie wirklich wieder ans Licht zerren. Dieses Leben im Nebel und in ständiger Ungewissheit ist zwar nicht schön, aber die Angst vor dem, was zum Vorschein kommt, wenn er sich lichtet, packt auch den Leser irgendwann.

Die Sprache des Romans ist in vielen Teilen den beiden Alten angemessen, viele Wiederholungen bringen schnell einen gewissen Rhythmus. Auf poetische Weise befasst Kazuo Ishiguro sich mit dem Grauen, dem Überleben und der Frage nach den Tätern – sollten sie tatsächlich ganz harmlos aussehende Menschen sein? Aufarbeiten oder besser verdrängen und weiterwandern? Axl und Beatrice wandern – bis es nicht mehr weitergeht. 

Was gibt es noch? Ich fand das Buch nicht ganz einfach zu lesen. Zum einen ist das Thema keine leichte Kost, zum anderen gingen mir die beiden schusseligen, starrköpfigen Alten am Anfang ein wenig auf die Nerven. Trotzdem entwickelte der Roman für mich eine enorme Sogwirkung – ich wollte einfach wissen, was da los ist. Es hat sich gelohnt.

Mein Lieblingsbuch – Der Seewolf

Der Seewolf, TaschenbuchBeim ARS-Stammtisch sprachen wir über unsere Lieblingsbücher. Gar nicht so einfach, sich da für eines zu entscheiden. Ich schwankte zwischen dem Klassiker „Schachnovelle“, dem kunterbunten Indienroman „Palast der Winde“ und meinem geliebten „Es begann im Regen“, einer kitschigen Liebesschnulze, die ich immer lese, wenn ich krank bin. Doch dann landete ich bei Jack Londons „Der Seewolf“.

Dieses schon 1904 erschienene Buch übt auf mich eine ungeheure Faszination aus. Ich mochte es schon in der Jugendausgabe, die fast bis zur Unkenntlichkeit gekürzt und so auf ein reines Seefahrtsabenteuer reduziert wurde. Als ich dann das erste Mal die Gesamtausgabe las, mit all ihren philosophischen Gedanken, war ich wie erschlagen. Und das liegt nicht nur an der Geschichte, die zwar spannend, aber nicht ungewöhnlich ist, sondern an der Figur des Kapitäns: Wolf Larsen, der Seewolf. Man spürt die Angst, die dieser Kapitän unter seiner Mannschaft verbreitet, auf jeder Seite. Nach jedem Lesen begleiten mich seine Gedanken, so roh und unmenschlich sie auch sein mögen, tagelang. Daneben verblasst der Ich-Erzähler Humphrey, obwohl er um ein Vielfaches gebildeter und menschenfreundlicher ist als der Seewolf. Auch wenn Humphrey am Ende überlebt und der Seewolf an einer Krankheit stirbt, also bei Weitem nicht so unverletzlich ist, wie er erscheinen möchte, ist es doch der böse Charakter, der mich in seinen Bann zieht. Dieses Buch wirkt lange nach und bietet bei jedem Lesen nochmal etwas Neues.

Der Seewolf, DVDAnmerken möchte ich noch, dass es von dieser Geschichte sehr viele Ausgaben und Versionen gibt: Bücher, Hörbücher und Verfilmungen in unterschiedlichster Werkstreue und Qualität. Die für mich interessanteste Verfilmung – wenngleich meilenweit von der Buchvorlage entfernt – ist die aus den 70er Jahren mit dem wunderbaren Raimund Harmstorf als Wolf Larsen. Denn so, genau so stelle ich mir den Seewolf vor. Und das liegt nicht nur an der legendären Kartoffel!

(Dieser Artikel erschien vor einiger Zeit bereits sehr ähnlich auf dem Blog von ARS (Autoren Rhein-Main Szene) – schaut doch mal rein)