Der Hühnergott

Es gibt Dinge im Leben, die sind ganz einfach und könnten beinahe unbemerkt bleiben. Und doch entfalten sie eine unheimliche Wirkung, so wie ein Sandkorn im Getriebe oder ein Stein im Schuh. Etwas, über das man nicht hinwegsehen kann, auch wenn man es eigentlich gerne möchte. Weil es bequemer wäre, weniger peinlich, weniger schmerzhaft. Doch es hilft nicht: Mit einem Stein im Schuh kann man nicht gehen, und mit einem Dorn im Herzen auch nicht. Man muss etwas ändern, sonst geht man zugrunde.

Der Tag, an dem Rebekka den hellgelben Hühnergott fand, war ein Sonntag. Sie hatte sich mit Luis am alten Leuchtturm getroffen. Gemeinsam waren sie den Bohlenweg zum Strand hinunter gegangen, Hand in Hand, so als wären sie beide gerne hier am Strand und freuten sich, gemeinsam hier zu sein. Dabei hatte Rebekka doch da schon geahnt, dass Luis keinen Hang zum Meer hatte. Er war ein Stadtmensch, durch und durch, der ihr zuliebe ab und zu mit in die Natur kam, ohne dies jedoch zu genießen. Er konnte sich nicht gut entspannen, war in Gedanken immer bei seiner Arbeit und stand ständig unter Strom. Rebekka war auch fleißig, brauchte aber ihre Auszeiten und viel frische Luft. Und sie brauchte das Meer. Sie liebte das Meer. Auf Dauer konnte sie nicht ohne sein.

Und so war Rebekka für ein langes Wochenende zu ihrer Tante Margot gefahren, die nur wenige Meter von der Nordseeküste entfernt wohnte. Luis kam am Sonntag dazu, um sie abzuholen und zuvor noch ein Stündchen mit ihr spazieren zu gehen. „Aber bitte nicht zu lange, Liebling, der Wochenendverkehr ist immer die Hölle“, bat er und sie nickte. Jaja, sie wusste, dass es ihn heimzog. Sie lächelte das ungute Gefühl weg und zog ihn an der Hand weiter zum Wasser, wo sie direkt am leicht schäumenden Brandungssaum ein Stück weit liefen, ohne viel zu reden. Luis sah auf die Schiffe am Horizont und Rebekka blickte immer abwechselnd in die Ferne und auf den Sand zu ihren Füßen. Und dann sah sie ihn – den Hühnergott. Einen gelb-braun geäderten, etwas pflaumengroßen Stein mit einem unregelmäßigen Loch darin. Sie konnte es kaum glauben: Immer wieder hatte sie als Kinder nach so etwas gesucht und nie einen gefunden. Und nun lag er hier und sprang sie beinahe an.

Sogenannter Hühnergott: Ein Stein mit einem Loch darin, ähnlich geformt wie ein Fischkopf

Ehrfürchtig hob sie ihn auf und zeigte ihn Luis. Der nickte. „Schön.“ Rebekka verstand. Ihm sagte dieser Stein nichts. Und so erklärte sie ihm, was es mit diesem Stein auf sich hatte: ein Glücksbringer, ganz selten und voller Magie. Ihre Freude sprudelte aus ihr heraus, sie lachte und betrachtete ihren Fund von allen Seiten. „Den muss ich Tante Margot zeigen!“, rief sie und hüpfte fröhlich durch das flache Wasser. Luis schüttelte energisch den Kopf. „Aber nicht mehr heute. Ich bitte dich, Liebes, wir müssen los. Ich muss morgen eine Präsentation halten, darauf will ich mich heute Abend noch ein bisschen vorbereiten.“ Rebekkas Freude erlosch. „Nur ganz kurz“, bat sie. „Tante Margot hat früher in allen Ferien mit uns nach Schätzen gesucht. Wenn ich schon mal etwas gefunden habe, möchte ich es ihr gerne zeigen.“ Doch Luis schüttelte den Kopf. „Sorry, heute nicht mehr. Ich will jetzt wirklich los. Du kannst Margot ja ein Foto von dem Ding schicken.“

Eine Viertelstunde später hatten sie im Auto gesessen und waren Richtung Hannover gefahren. Luis, der am Strand unruhig, aber wortkarg gewesen war, blühte jetzt so richtig auf, erzählte Rebekka von seiner Arbeit, den Kollegen und der Wohnung, die er für sie beide zu kaufen gedachte. Neubau, am Stadtrand, aber nicht so weit ab vom Schuss wie das, wo sie jetzt wohnten. Dritter Stock mit Balkon, sehr nette Nachbarschaft. Und Rebekka saß, hörte ihm zu und wusste nichts dazu zu sagen.

Zwei Wochen später fuhr sie wieder an die Küste. Sie sprach lange mit ihrer Tante, tauschte sich mit ihr aus. Ihre Schwester kam dazu, mit ihr teilte sie ihre Sorgen und Bedenken. Sie saßen auf der Bank am alten Leuchtturm, tranken Sekt aus kleinen Flaschen, Rebekka weinte ein bisschen und ihre Schwester tröstete sie. Als sie nachts zurückkamen in das Haus der Tante, lag auf Rebekkas Bett der Hühnergott, den die Tante sich nachmittags ausgeliehen hatte. Sie hatte eine wunderschöne Kordel geflochten, an der sie den hübschen Stein befestigt hatte. Rebekka musste lächeln, als sie das Schmuckstück auf dem Kissen liegen sah. Ja, so ging es auch. Sie streifte die Kordel mit dem Glücksbringer über den Kopf und zog ihren Verlobungsring vom Finger. Mit einem warmen Gefühl der Erleichterung ließ sie sich vom Geräusch der Wellen in den Schlaf wiegen.

Ostseefrühling

„Frühling lässt sein blaues Band …“ und so weiter und so fort. Ende März war ich mit meiner Freundin Kerstin mal wieder für eine Woche an der Ostsee, und da flatterte das legendäre blaue Band teilweise so gewaltig, dass wir nicht nur von oben, sondern auch von der Seite und von unten nass wurden. „Aprillig“ ist wohl die freundliche Bezeichnung für das sehr wechselhafte Wetter, dass auf uns herniederging. Trotzdem, und auch trotz einiger anderer Widrigkeiten, hatten wir es schön, denn wir vertragen uns immer gut, haben immer etwas zum Dummbabbeln und werden nur ganz wenig mürrisch, wenn es einfach nicht aufhören will zu gießen. Und am Freitag zeigte sich das Wetter so:

sechs sehr unterschiedliche Seemotive - von heiter bis dunkelgrau-stürmisch

Wir gingen ein paar Mal schwimmen, genossen den öffentlichen Nahverkehr auf dem platten Land, kauften die Eckernförder Süßwarenmanufaktur leer und beobachteten Mitreisende – das war dieses Mal so spannend, dass ich dem in den nächsten Tagen einen eigenen Beitrag widmen werde. Und natürlich ging ich meiner alten Leidenschaft nach und knipste Blumen. Die meisten meiner geliebten Krokusse lagen zwar trübsinnig zermatscht am regennassen Boden, aber ein paar mit Haltung fanden sich doch noch.

Den nächsten Urlaub haben wir schon vereinbart – dann vier Wochen später und vielleicht wieder mit eigenem fahrbaren Untersatz. Ich freue mich schon darauf!

Strickjacke zum Verschenken – ein widerspenstiges Stück!

Grünes und dunkelblaues Wollknäuel in brauner HolzschüsselEs gibt Strickwerke, die wollen erst mal nicht gelingen. So ging es mir mit der Jacke, die ich für meine Freundin Kerstin stricken wollte. Nicht zu bunt sollte sie sein – Kerstin mag es nicht so bunt. Sie liebt blau. Und da ich nicht gerne ganz einfarbig stricken mag, entschied ich mich, mit zwei Fäden zu stricken – in Marine und Seegrün. Das Aussuchen des Sockengarns, das neben Schurwolle und Polyacryl auch einen guten Teil Bambus enthält, war schnell gemacht. Aber damit hörte es auch schon auf.

Das einfache Zopfmuster war es nicht, das mir Probleme bereitete. Aber die Größe! Ich rechnete, grübelte, rechnete wieder. Zu weit, zu eng, zu lang, zu kurz? Nach allerhand Rätselei legte ich los und es ging recht gut von der Hand. Rückenteil fertig, erstes Vorderteil fertig, zweites Vorderteil fer… ähhem … Knopflöcher? Ein Stück aufribbeln, Knopflöcher vorsehen. Zweites Vorderteil auch fertig. Vor dem Zusammennähen erst mal was anderes machen, denn dazu habe ich immer so gar keine Lust.

Dann, an einem Sonntagmorgen, ein Herz fassen, Nadel hervorkramen, Knopflöcher umranden, Fäden vernähen.  Dann nur noch zusammennähen. Also, erst mal aufeinanderlegen und mit einer langen Stricknadel die erste Schulter zusammenpieken vor dem Nähen. Piek, piek – am Ende steht was über. Nadel wieder rausziehen. Piek, piek – passt nicht. Hääähh? Wat is dat denn? Ich greife mir das zweite Vorderteil, halte es mit dem ersten zusammen. Beide genau gleich groß. Super Arbeit, Maß exakt getroffen. Ich lege wieder ein Teil auf den Rücken – sieht komisch aus. Irgendwie passen Rücken und Vorderteile nicht zusammen. Ich spüre meinen Mut sinken, gebe aber nicht auf und pieke ein Vorderteil so an den Rücken, dass ich die Schulter mit etwas Frickeln zusammennähen könnte. Nun ja – das würde gehen, und trüge Kerstin ihre Brüste auf dem Rücken, würde das vielleicht sogar eine gute Figur machen.

Es hilft nichts, ich muss der Wahrheit ins Auge sehen: Irgendwo habe ich mich verrechnet. Ich muss entweder den Rücken oder beide Vorderteile nochmal auftrennen. Und da ich überhaupt keine Lust habe, meine soeben sorgfältig umrandeten Knopflöcher wieder aufzupulen, wird es der Rücken.

Strickjacke mit Zopfmuster und kurzen Ärmeln

Es versteht sich von selbst, dass ich vor dieser frustrierenden Arbeit erst mal einige Paare Socken stricken musste. Dann aber kam das nächste Treffen mit Kerstin näher und ich musste ran. Ich rechnete also nochmal – dieses Mal ganz besonders sorgfältig – und strickte in einem Rutsch Rücken und Ärmel fertig. Es half ja nichts, schließlich soll meine Freundin nicht frieren, und die vor einigen Jahren auf Maß angefertigte Jacke (auch in blau-grün, was für ein Zufall) ist inzwischen wirklich abgetragen. Knöpfe dran, und dann musste das gute Stück nur noch passen. Und das tut es – davon konnte ich mich letzte Woche in unserem gemeinsamen Urlaub selbst überzeugen.

Voll reingesteigert oder: Das Wundermittel

Eigentlich bin ich ein ausgeglichener Mensch: meistens positiv, mit guter Laune und optimistisch. Es gibt wenig, was ich mir nicht irgendwie schön reden könnte.

Meditierender Frosch, golden

Und doch kommt es auch bei mir vor, dass ich einmal schlechte Laune habe oder nörgelig bin. Meistens hält das dann nur kurz an. Vor einigen Wochen aber habe ich mich einmal richtig genüsslich in mein Elend reinfallen lassen. Ich kam mir vor wie der bedauernswerteste Mensch der Welt. Und das kam so: Ich hatte Knie.

So ein bisschen knirschig ist mein Knie ja schon länger – das linke. Jetzt aber machte das Rechte Theater: Kurz vor dem Urlaub auf Sylt begann es anlasslos zu meutern, ignorierte meine Sanierungsbemühungen mit Voltaren, Kälte, Wärme, Bewegung und Ruhe und legte im Urlaub so richtig los. Als ich wieder zuhause war, versuchte ich es noch zwei Tage mit Ignoranz, nur um dann feststellen zu müssen, dass nichts mehr ging. Ich humpelte also zum Arzt, ächzte dort die Treppe hoch und zeigte mein dickes, teigiges Knie klagend vor. Nein, weder umgeknickt noch gestürzt. Ja, einfach so. Der Arzt tastete, bog etwas herum, murmelte etwas von „Meniskus beidseitig“. Schön, schön. Ich schlug eine Amputation vor, was er nach kurzem Zögern ablehnte, mich mit Spritzen, Reizstrom, Creme und Pillen versorgte und der Anweisung, übermorgen wiederzukommen. Na gut. Ich hatte aber noch eine Frage: „Wie lange kann sowas denn dauern? Ich möchte nächsten Samstag auf Kohlfahrt …“ Nach kurzem Überlegen und Herumrechnen bekam ich folgende Auskunft: Kann klappen, muss aber nicht.

Kohlessen mit allemIch humpelte also heim, legte den Haxen hoch, cremte, schluckte Pillen, hielt mich an alle Anweisungen. Irgendwann tat das Knie im Liegen nicht mehr weh. Meine Zweifel aber wuchsen. Kohlfahrt, das bedeutet, etwa viereinhalb Stunden rumlaufen, rumstehen, über Buckelpisten traben, Bollerwagen ziehen, komische Spiele spielen. Außerdem Anfahrt und Übernachtung. Und irgendwann stellte ich ernüchtert fest: Das wird nix. Also, so gar nicht. Ich überlegte, nicht mitzulaufen und nur zum Essen zu gehen. Aber dann hätte ich eine Zugfahrt und zwei Nächte im Hotel bezahlt, nur um den Tag alleine herumzusitzen und abends als einzige Nüchterne mit einem Haufen Besoffener Grünkohl zu essen. Nenene, das lohnt sich nicht, auch wenn mir meine Kohlfahrts-Freunde allesamt lieb und teuer sind. Ich sagte also schweren Herzens ab. Und grämte mich. Richtig muffig war ich.

Der Samstag kam und ich ging einkaufen. Das geht doch ganz prima, dachte ich, als ich die 200 Meter von der Straßenbahn zur Post humpelte. Und ich dumme Nuss hatte das Event des Jahres angesagt. Ich grämte mich noch mehr und fand mich furchtbar doof.

Nun ja: Während ich in der Post darauf wartete, mein Päckchen aufgeben zu können, stand ich bald schon wieder auf einem Bein. Und die Strecke von der Post zurück zum Wochenmarkt war auf einmal richtig lang. Schon bevor ich einkaufte, war ich im Grunde reif für die Insel, per Liegendtransport. Und ich hatte eine unglaublich schlechte Laune. So schlecht, dass ich komplett den Faden verlor und  gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich kaufen wollte. Ich erwarb also zuerst mal einen dicken Strauß Blumen – wenn das Leben schon so ungerecht ist, wollte ich es wenigstens bunt haben. Dann etwas Gemüse und ab zum Fleischstand. Ich hatte noch Grünkohl im Glas – wenn schon keine Kohlfahrt, dann wollte ich zumindest eine Portion Grünkohl essen. Rippchen wollte ich dazu, das ist das, was mir im pinkelfreien Hessen am ehesten zum Kohl schmeckt. Die Verkäuferin zeigte mit dem Messer – so viel? Ne, mehr. Noch mehr! Wenn ich muffig bin, neige ich zum Frustfressen. Daher kam mir die Idee, dass ich nicht nur Brötchen, sondern auch dringend noch ein Stück Kuchen bräuchte. Ich stellte mich am Bäckerwagen an und besah die Auslage: Bestimmt fünf Sorten Kuchen, die ich sehr liebe. Ich war unentschlossen. Sollte ich einfach alle kaufen? Die Schlange rückte etwas vor. Der Mann vor mir kaufte zwei dicke Scheiben Marmorkuchen. Wie man das dröge Zeug essen kann, wenn es auch anderes gibt, ist mir seit jeher ein Rätsel. Und dann war ich dran. Noch immer mürrisch und irgendwie blöd im Kopf war ich nach wie vor unentschlossen. Und so bestellte ich das, was mir als erstes einfiel: Zwei Kürbiskernbrötchen und ein Stück Marmorkuchen, bitte.

Zuhause packte ich meine Schätze aus und fror erst mal zwei Drittel vom Rippchen ein. Den ollen Marmorkuchen schmiss ich in den Schrank. Dann frühstückte ich und gab mich meinem Elend hin: Ich guckte „Der Landarzt“. Was soll man sonst auch machen, wenn man so doll krank ist?

Marmorkuchen mit EierlikörDie Kohlfahrer schickten erste Fotos: Man traf sich, endlich mal alle wieder beisammen, ach ist das schön. Ich gönnte es ihnen und suhlte mich in Selbstmitleid. Das ging so lange, bis ich beschloss, dass es Teezeit sei. Übellaunig kochte ich eine Kanne Sonntagstee – wenn schon, denn schon, und knallte den dicken Klafter Marmorkuchen auf einen Teller. Da lag er nun und grinste trocken. Und aus einer Laune heraus nahm ich ihn vom Kuchenteller runter und schmiss ihn in einen Suppenteller, wo ich ihn mit einer dicken Schicht breiigem Eierlikör bedeckte. Den ließ ich ein Viertelstündchen einwirken und schnabulierte dann meinen Kuchen. Tatsächlich – es half. Nach diesem exquisiten Dessert ging es meiner Laune deutlich besser. Das müssen die Gene meines Vaters sein: Der war früher auch immer total happy, wenn er sein Nachtisch-Eis in reichlich Eierlikör ertränken konnte. Und das sogar ohne entzündetes Knie.

Nachtrag: Dem Knie geht es inzwischen besser, aber das war ein hartes Stück Arbeit. Es knurzelt noch. Gestern bin ich aber zum ersten Mal wieder richtig „zweibeinig“ anstatt im Oma-Schritt eine Treppe hochgelaufen. Folglich habe ich die Hoffnung, dass ich diese Malaise überleben werden. Und das ist gut so – ich habe nämlich nicht mehr viel Eierlikör.

Merkwürdige Dinge: Nesteldecke und Nestelstulpen

Vor einer Weile kam über die Facebook-Gruppe, mit der ich für Charity-Projekte stricke, eine merkwürdige Anfrage rein: Ob wohl jemand ein paar Nestelstulpen, auch Nestelmuffs genannt, stricken könnte? Oder auch Nesteldecken? Ich war ratlos: Nestel-was? Wieso, weshalb, warum?

Die Auflösung ist einfach, einleuchtend und irgendwie traurig: Die Anfrage kam von einer Dame, die eine Demenzstation leitet. Dort gibt es Menschen, die unruhige Hände haben und die ganze Zeit herumsuchen und -fummeln. Einige kratzen und kneifen sich auch. Ihnen hilft es, wenn die nervösen Finger auch etwas zum Fummeln finden, also Knöpfe, Ösen oder sonstiges Kleinzeug, an dem sich herumspielen lässt. Auch unterschiedliche Strukturen beschäftigen sie. Deshalb gibt es spezielle Decken und Tücher, die kleine Elemente enthalten, an denen man herumgreifen kann. Die kann man für viel Geld kaufen oder auch selber machen. Eine schöne Sache, auch um Wollreste und Mutters alte Knopfbestände zu verarbeiten. Nachdem ich einen Haufen helle Wolle, für die ich bislang keine bessere Idee gehabt hatte, zu Rollstuhl- und Nesteldecken verarbeitet hatte, widmete ich mich also diesen ominösen Stulpen.

Mit meinen großen Beständen an Sockenwollresten, Knöpfen und Bastelkram zum Annähen wurde die Sache ein Selbstläufer – es macht wirklich Spaß, diese Dinger herzustellen. Damit sie auf jeden Arm passen, nehme ich 64 Maschen. Ich ziehe irgendwo ein Bändchen ein, an dem man herumspielen kann, mit dem sich die „Armsocke“ aber auch etwas enger machen lässt, damit sie zierlichen Personen nicht dauernd herunterfällt. Perlchen werden gleich mit eingestrickt, aber nur auf der Oberseite – es soll ja nicht unangenehm sein, wenn der Arm irgendwo aufliegt.

Alles in allem denke ich beim Stricken der Stulpen recht viel nach. Viele Leute, die heutzutage alt sind, haben noch Arbeitskleidung getragen – also kommen Papas alte Uniformknöpfe (von der Bahn) mit zum Einsatz. Etwa ein Drittel der heutigen Demenzpatienten sind Männer – und die tragen vielleicht lieber gedecktere Farben. Und die Stulpen sollen irgendwie symmetrisch sein. Das ist allerdings mein eigener Geschmack – MICH würde es stören, wenn die Elemente willkürlich angeordnet wirken. So bekommt also auch mein Kopf etwas zu tun, wenn ich mich dieser wirklich befriedigen Art der Resteverwertung widme. Die Wertschätzung, die dafür von der Projektorganisatorin zurückkam, tut da noch ein Übriges.

 

Covid und das große Müde …

Zwei Monate Blogpause – das gab es seit 2013 noch nie bei mir! Aber wie es eben so geht: Manchmal geht einfach nix.

Da fuhr ich doch Anfang Oktober frohgemut in den Urlaub an die Ostsee. Das Wetter war prächtig, meine Laune war es auch.

Leere Strandkörbe im Herbstlicht

Unterwegs nach Niendorf

Ich hatte ein hübsches kleines Hotel direkt am Timmendorfer Strand gebucht, hüpfte jeden Morgen früh aus dem Bett, frühstückte ausgiebig im fast leeren Frückstücksraum und stiefelte dann los. Es war noch so warm, dass man den ganzen Tag draußen sein konnte – angenehm zu Zeiten einer noch immer herummarodierenden Pandemie. Durch die viele Bewegung – ich ging auch jeden Abend noch schwimmen – fühlte ich mich fit und jung, gerade so, als sei ich höchstens 49.

Blick auf die Ostsee. Im Vordergrund allerhand Grünzeug.

Irgendwo auf der Promenade

So verging meine Woche viel zu schnell. Schon am Freitag war ich etwas wehmütig, so dachte ich zumindest, und konnte mich nicht mehr so recht motivieren. Das Schwimmen habe ich geschwänzt. Am Samstag fand ich meinen Koffer zu schwer und im Zug begann ich zu husten. Zuhause machte ich einen Covid-Test und der zeigte sofort – nach 30 Sekunden – einen dicken roten Strich. Fehlte nur noch, dass er geklingelt hätte. Hallo Corona, mein Name ist Meike.

Wie zu erwarten, war ich die beiden Wochen danach ziemlich im Eimer, auch wenn es alles in allem sicherlich ein milder Verlauf war. Aber diese Müdigkeit! Ich glaube, ich habe in meinem Erwachsenenleben noch nie so viel geschlafen.

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Eule im Vogelpark Niendorf. Ich habe bessere Fotos gemacht dort, aber dieses erscheint mir hier passend.

Inzwischen habe ich mich einigermaßen berappelt, aber zum Schreiben fehlte mir bislang jegliche Lust und Inspiration. Also habe ich Pause gemacht und mich mal wieder an die Verarbeitung meiner Wollberge gemacht. Socken, Tücher, dit und dat – all das wanderte letzte Woche in einem großen Karton an das Charity-Projekt, bei dem ich mitmache. Auch diese kleinen Gesellen hier, die den heutigen Post versöhnlich abschließen sollen:

gestrickte Schnecken und Trompetenschnüffler

Die Überraschung

Manchmal macht es Spaß, aus einem Set von fünf vorgegebenen Worten eine Geschichte zu schreiben. Unsere Grundlage lautete: Fenster, Stolz, Gold, Kellner, unbeeindruckt

Die Überraschung

Unbeeindruckt vom Schneegestöber sah Ulrike mit leerem Blick aus dem Fenster. Sie hätte genauso gut eine Betonwand oder eine Vogelspinne anstarren können, so weit weg war sie mit ihren Gedanken. In ihrem Kopf kreisten immer noch die Geschehnisse des gestrigen Abends: Das schöne Restaurant, die festliche Kleidung, der Kellner, der ihr galant den Mantel abgenommen hatte. Und natürlich Peter, der ihr ganz gentlemanlike den Arm geboten und sie zu ihrem Tisch geführt hatte. Dabei hatte er sie angesehen mit diesem besonderen Blick, einer Mischung aus Stolz und Liebe. Wenn dieser Blick sie traf, fühlte sie sich immer als etwas ganz Besonderes.

Sie war aufgeregt gewesen. Etwas Wichtiges lag in der Luft, das spürte sie. Ob er sie endlich fragen würde, ob sie ihn heiraten wollte? Schließlich wohnten sie jetzt schon drei Jahre zusammen. Die Art, wie er sie ansah, verhieß etwas Gutes, so schaute er immer, wenn er eine Überraschung für sie hatte. Oder wenn er etwas ausgefressen hat, flüsterte der ewige Zweifler in ihrem Ohr. Doch sie schob ihn beiseite – heute nicht. Heute würde es passieren, das spürte sie. Ob er dabei auf die Knie gehen würde? Fast schon spürte sie einen imaginären Ring aus kühlem Gold an ihrem Finger – Weißgold mit einem glitzernden Stein.

„Ich habe es getan, Ulli“, hörte sie ihren Freund da sagen. „Ich habe uns was gekauft!“ „Ringe?“, platzte es aus Ulrike heraus und er wirkte verblüfft. „Ringe? Ääähh, ne, keine Ringe. Möchtest du einen? Dann schenke ich dir einen zu Weihnachten, dann weiß ich schon mal was. Aber heute habe ich uns was Besseres gekauft!“ Er hob sein Glas und strahlte sie an. „Was Besseres?“, fragte Ulrike zögernd. „Was denn?“ „Einen Hühnerstall!“, verkündete Peter voller Stolz und so laut, dass einige der anderen Gäste sich nach ihm umdrehten. „Einen Stall mit fünf Hennen. Sowas wollte ich schon immer mal haben. Nach Weihnachten wird er geliefert.“ Ulrike nahm es zur Kenntnis.

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Foto von cottonbro von Pexels

Nicht die Einzige!

Vor vielen Jahren war ich mit meiner Schwester im Deutschen Auswandererhaus – einem wirklich guten, wunderbar gelungenen Museum in Bremerhaven. Das war ein schöner Ausflug damals, doch da ich mich blöd anstellte und kopfüber in das kleine Kino stürzte, waren danach nicht nur Knie und Hüfte, sondern auch mein Selbstbewusstsein arg angeschlagen. Wie kann man nur so dusselig sein, dachte ich. Ist ja auch unangenehm, sich von einigen Herren einer Senioren-Reisegruppe vom Boden aufklauben zu lassen.

Außenfassade Deutsches Auswandererhaus

Diese seelische Blessur wurde im Juni jedoch geheilt. Denn ich war offensichtlich nicht die Einzige, der das passiert ist. Es wirkt vielmehr so, als seien die Leute REIHENWEISE in dieses Kino geplumpst. Als ich mit meiner Freundin Kerstin, die das Museum noch nie besucht hatte, Eintrittskarten kaufte, wurden wir vom netten Kartenverkäufer vorgewarnt: Es sei einige Male passiert, dass Personen die Stufen im Kino übersehen hätten und gestürzt seien, wir sollten bitte aufpassen. Das fand ich ja schon sehr aufschlussreich. Hinzu kommt, dass man das Kino inzwischen nur noch in den Pausen zwischen den Filmen betreten darf – und dann machen die tatsächlich LICHT an da drin. Man konnte die Stufen dieses Mal also sehen. Zu meinem Erstaunen gingen sie nicht steil in die Tiefe, sondern nur sehr flach, was mir damals nicht geholfen hat – ich hatte wohl ordentlich Schwung. Auf jeden Fall liefen wir dieses Mal nicht Gefahr, uns bäuchlings ins Vergnügen zu stürzen, was mich beruhigt hat.

Denkmal "Die Auswanderer" in Bremerhaven

Denkmal „Die Auswanderer“

Das Museum ist übrigens unbedingt auch einen zweiten Besuch wert. Es wurde inzwischen in Teilen überarbeitet. Nicht mit allem konnte ich etwas anfangen, vielleicht war mir auch einfach nur zu warm, um irgendwelchen Debatten zu folgen. Man konnte sich jedoch auch ohne derartig anspruchsvolle Programmpunkte stundenlang im Museum aufhalten, ohne sich zu langweilen.

Ach so, und noch etwas fällt mir ein: Vor acht Jahren war ich nicht ganz sicher, ob das Museum wirklich barrierefrei ist. Inzwischen kann ich das bestätigen: Doch, das ist es. Man muss manchmal etwas rumgucken, bis man den Lift findet, aber es gibt einen Zugang zu allen Ausstellungsteilen.

Flieger und Brummer

Es gab Pflaumenkuchen! Wieder mal bei meiner Freundin Maike, wieder mal auf ihrer wunderschön begrünten Dachterrasse. Maike gärtnert leidenschaftlich gerne und bemüht sich jedes Jahr, ein dauerblühendes Bienenparadies zu gestalten. Und ich ging auch dieses Jahr wieder auf Fotosafari. Wie immer mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Ich knipse ja ausschließlich mit dem Handy und nutze die „einfach draufhalten-Technik“, was dazu führt, das ich pro einigermaßen gelungenem Foto mindestens 10 mache, die unscharf, verwackelt oder am Ziel vorbei getroffen sind.

Das Problem beim Knipsen dieser possierlichen kleinen Viecher ist ja nicht nur meine generelle Langsamkeit. Und nein, auch nicht die kleine Verzögerung, die zwischen meinem hektischen Fingertippen und dem Auslösen der Kamera entsteht. Nein, das Problem liegt häufig in der mangelnden Kooperation meiner Models. Die halten einfach nicht still, und viele gucken mich freiwillig nicht mal mit dem Hintern an. Oftmals verlassen sie einfach die Location, wenn ich abdrücke, und kümmern sich einen Scheiß darum, dass ich sie gerade ganz groß rausbringen will. Dann sieht man auf der Aufnahme bestenfalls noch ein unscharfes Flugobjekt an scharfer Blüte. Oft aber auch nur eine nackte Blüte ohne Insekt – was manchmal natürlich auch ganz schön ist.

Trotz der Widrigkeiten macht mir diese laienhafte Fotojagd immer viel Spaß, wenngleich es manchmal desillusionierend ist, aus der Masse an Fotos hinterher all die vermurksten Bilder auszusortieren. Auch waren mir die vielen Wespen beim Kuchen essen teilweise etwas lästig, besonders das verwirrte Wesen, dass sich im Sturzflug in meine Sahne stürzte. Aber gut, wer das eine will, muss das andere mögen – und wir brauchen diese eifrigen kleinen Tierchen deutlich dringender als sie uns.

Sommerlicher Farbenrausch

So ganz allmählich erwachen meine Lebensgeister wieder – das hat eine ganze Weile gedauert nach der coronabedingten Rückzugs-Starre. Deshalb hatte ich auch viel Freude an den tollen Außenanlagen im Museumsdorf in Cloppenburg. Gemüse- und Bauerngärten, riesige Hortensien und Blumen, Blumen, Blumen. Trotz der Hitze hatte ich Spaß daran, die eine oder andere Blüte zu knipsen.

Es gibt nicht nur Kulturpflanzen im Museumsdorf, auch allerhand Wildkraut gibt es anzugucken. Auf Wiesen und in Pferchen wohnen alte Haustierrassen und ich verliebe mich jedes Mal wieder neu in die Heidschnucken, die mir dieses Mal leider nur den Hintern zudrehten. Dafür hatte ich einige nette Unterhaltungen mit gescheckten Pferden.

Zu meinem großen Erstaunen fand sich heute Morgen gar keine Aufnahme von Phlox. Dabei kam der in fast jedem Garten überreichlich vor. Wir wunderten uns darüber und haben mehrfach darüber gesprochen – aber geknipst habe ich keinen. Schade. Aber gut, dafür gab es allerhand anderes …

Immer, wenn ich derartige Blumen sehe, denke ich, dass Gärtnern ja auch wirklich ein schönes Hobby ist. Wenn ich dann jedoch daran denke, wie ungern ich früher zuhause im Garten gewerkelt habe, verwerfe ich diesen Gedanken wieder. Meine Freundin Maike jedoch, der ich das Bild von der Rosenblüte mit Knospen und blauem Nebengeblümel schickte, fühlte sich davon inspiriert und will diese Farbkombination im nächsten Jahr auf ihrer Dachterrasse umsetzen. Das soll sie mal machen, ich knipse das dann 🙂