Doktor Google und ich

Von den Segnungen des Internets ist eine besonders hervorzuheben: Es steigert die allgemeine medizinische Kompetenz. Ein jeder kann mit ganz wenigen Mouseclicks feststellen, was ihm alles fehlt. Und das ohne Termin, Wartezimmer und Überweisung. Toll!

Doktor Google und ich – zwischen Hypochondrie und Wahnsinn

Wer kennt das nicht: Diffuse Beschwerden stören das Wohlbefinden. Es reicht nicht ganz, um zum Arzt zu gehen, aber lästig ist das gelegentliche Grummeln in den Eingeweiden doch. Wenn man sich viel bewegt, geht es weg, und wenn man keine Bohnen isst, auch. Wahrscheinlich also ganz normal. Und dann erzählt die Kollegin in der Kantine, dass die Schwiegermutter nun endlich beim Arzt war, wegen ihrer Blähungen, und der hat einen Darmkrebs festgestellt. Man spürt, wie die gerade verzehrte Currywurst sich querlegt, und beschließt, heute aber ganz bestimmt und sofort einen Arzttermin auszumachen. Das vergisst man natürlich nach der Mittagspause gleich wieder, sodass der körperliche Verfall stetig voranschreitet.

Wie gut, dass es inzwischen Doktor Google gibt. Über Google findet man Antworten auf alle Fragen – sogar auf die, die man sich noch nie gestellt hat. Und man erfährt, nur durch Eingabe der eigenen körperlichen Beschwerden, was man alles Schlimmes hat. Manchmal ist das natürlich erschreckend, aber es ist doch besser, dem eigenen Ende aufrecht und mit offenen Augen entgegen zu gehen.

Friedhof

Ich lernte Doktor Google vor einigen Jahren kennen, als es mir nicht gut ging, ich viele diffuse und scheinbar nicht zueinanderpassende Beschwerden hatte und – tatsächlich – zum Arzt gegangen war. Der diagnostizierte eine Schilddrüsenerkrankung und schickte mich zum Facharzt, ich merkte mir aber ein Wort: „Hashimoto“. Ich glaubte erst mal kein Wort von dieser Schilddrüsenerkrankung – so ein kleines Dingsbums im Hals konnte doch unmöglich diese Vielzahl an Klapprigkeiten auslösen, die ich verspürte. Das musste ich überprüfen. Also tippte ich HASHIMOTO in Google ein. Das Ergebnis war überwältigend! Ich fand eine Vielzahl von Seiten, die teilweise sehr detailliert die Symptome dieses komischen Fremdworts beschrieben. Die deckten sich tatsächlich mit meinen Befindlichkeiten. So zog ich ganz allmählich in Betracht, dass der Arzt mit seiner Diagnose recht haben könnte. Doktor Google hatte gute Arbeit geleistet: Ich war zwar immer noch wacklig auf den Beinen, aber beruhigt.

Und fasziniert: Denn ich fand auch ein Forum, das sich ausschließlich mit Schilddrüsenerkrankungen beschäftigte. Nutzer, die teilweise mehrere Hundert Posts hatten, schilderten haarklein ihre Zipperlein, führten Blutwerte auf und verglichen Medikamente. Einige Mitglieder waren besonders aktiv, sie hatten das nämlich alles schon einmal gehabt und durchlitten, natürlich immer doppelt so schlimm wie die anderen, und hatten für alle schüchternen Neulinge einen warmherzigen Rat. Gerne schlossen sie mit „Ich drück‘ dich ganz fest!“, oder „Ich wünsche dir ganz viel Kraft!“. Was für eine Harmonie! Eine große Gemeinschaft, und fast alle hatten eine Schilddrüse. Ich war begeistert, beschloss aber, in diesem Forum nichts zu schreiben. Es schien mir, als sei hier schon genug geschrieben worden – besonders von der Nutzerin mit den 7340 Posts.

Von diesem Tag an wusste ich, dass Google mir künftig immer helfen würde, wenn ich krank war, oder es in Betracht zog, dass ich ganz eventuell krank sein könnte. Und ich wusste, worauf alles zu achten ist: Wussten Sie zum Beispiel, dass sich ein Herzinfarkt bei Frauen ganz anders anfühlen kann, als überall beschrieben wird? Bei Frauen tut das anders weh, das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich diagnostizierte bei mir seitdem in etwa 312 Herzinfarkte. Die meisten verschwanden, wenn ich mich etwas anders hinsetzte, oder aber durch Ablenkung. Ja, in der Tat, Fernsehen hilft gegen Herzinfarkt, Geschirrspülen auch. Zeigen Sie mir eine Frau, die 312 Herzinfarkte überlebt hat – die möchte ich sehen. Der Nobelpreis für Medizin ist mir sicher.

Schwieriger ist es mit Krebserkrankungen. Es ist fast egal, was für Beschwerden man in Doktor Google eintippt, es kommen eigentlich immer einige Krebserkrankungen als mögliche Gründe dafür infrage. Wikipedia verrät dann gleich die Mortalitätsrate, was unter Umständen demotivierend sein kann. Stellt sich morgens dann heraus, dass der am Vorabend angenommene Bauchspeicheldrüsenkrebs offensichtlich nur ein Flotter Otto war, freut man sich und hat einen Grund, positiv in die Zukunft zu blicken. So schön sind häufige Toiletten-Besuche allerdings nur, wenn man sich zuvor ver-googlet hat.

Diagnose und Fehldiagnose liegen bei Doktor Google leider nahe beieinander. Das erfahre ich derzeit am eigenen Leibe. Denn ich erhole mich seit einigen Tagen von Tuberkulose, leicht zu erkennen an brüllendem Husten, Brustschmerz, Schwächegefühl. Sogar meine Haare hängen matt herunter. Der Arzt hat meine Ruhebedürftigkeit bestätigt und mich folgerichtig krankgeschrieben. Ich kontrolliere die Richtigkeit seiner Diagnose anhand der geheimnisvollen Codierungen, die auf dem Zettel stehen, denn auch die kann ein jeder Uneingeweihte inzwischen googlen: J01 steht da, akute Sinusitis sowie J20, akute Bronchitis. Das stimmt sicher, denn ich fühle mich sehr akut. Und dann noch J39, das bedeutet … Moment, mal gucken … sonstige Erkrankungen der oberen Atemwege. Hmmm, das liest sich irgendwie nichtssagend. Das klingt ja beinahe, als würde der Arzt denken, ich sei … ERKÄLTET?!

10 Kommentare zu “Doktor Google und ich

  1. Schöner Beitrag. Werde ich im Schilddrüsenforum posten!

    Dass Ärzte meist dringend vom Symptome-Googeln dringend abraten, liegt übrigens daran, dass sie im Studium viele der studierten Krankheiten auch bei sich selbst zu finden glaubten 😀 Ich sehe das etwas gelassener und konnte auch schon Entwarnungen aus dem Netz fischen.

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    • Hallo Irene, vielen Dank. Schön, dass es dir gefallen hat. Ja, Entwarnungen konnte ich auch schon finden, und auch viele hilfreiche Erklärungen (auch, wenn es um meine Frau Mutter ging, die unter Multipler Sklerose leidet). Aber alles in allem macht mich das Symptome googlen eher krank 😉

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  2. Das nennt man liebevoll „Medizinstudenten Syndrom“, musste ich gerade lernen, als ich einen Termin beim Arzt hatte, zwecks Aufklärungsgespräch für übertragbare Krankheiten und mich als HPA geoutet hatte.
    Ich solle mich von diesem Syndrom bitte nicht anstecken lassen.
    Aber mal ganz im Ernst. Ich gehe jede Wette ein, dass die Ärzte einem nur von Dr. Google abraten, weil sie keine Konkurrenz neben sich dulden und sich nicht in die Karten gucken lassen wollen. Wahrscheinlich fragt heutzutage jeder zweite Arzt Dr. Google, wenn er selbst nicht weiter weiss.

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    • Meinst du wirklich, dass es so viele sind, die da nachgucken? Aber gut, eigentlich ist es ja das, was man uns in der Kindheit beigebracht hat: Wenn man nicht weiter weiß, einfach jemanden fragen, der sich damit auskennt. 😉

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      • Vielen Ärzten ist das Internet ja sehr suspekt… aber das sind wohl die älteren. Neulich kam ich am Rand eines Gesundheitsforums mit einem Arzt ins Gespräch, der wohl noch unter 40 war und erzählte, dass er selbst auch schon mal länger mit Beschwerden herumgelaufen war, die niemand einordnen konnte. Am Ende fand er dann die Ursache selbst heraus – via Internet. So jemand dürfte dann etwas aufgeschlossener sein, wenn ihm eine gut informierte Patientin gegenüber sitzt, die das Internet nicht nur zu hypochondrischen Zwecken nutzt…

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  3. Nein, das war ein Spaß. Das war nur das Erste, woran ich denken musste, als ich deinen Beitrag gelesen habe. Hab mich selten so amüsiert. Es war herrlich

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  4. Herrlich, es kommt einem so schön bekannt vor.
    Du schreibst echt toll. Wie gut, dass sich deine Tuberkulose denn doch nur als Erkältung entpuppt hat,

    Wirklich ein toller Blog.

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    • Hallo Brownie,

      schön, dass es dir gefallen hat. Das zeigt einem doch, dass man nicht allein mit seiner kleinen Macke dasteht. Und ja, die Tuberkulose hat sich verzogen. Im Moment verspüre ich manchmal ein bedrohliches Knacken im linken Ohr. Was das Schreckliches ist, muss ich noch herausfinden!

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