Kulturgut

Dieses kleine Geschichtchen habe ich eigentlich mal für einen Wettbewerb geschrieben, der den schönen Titel „Wir kommen in Frieden“ trug. Und dann habe ich völlig vergessen, ihn auch einzureichen. Nun gut, also soll er hier zu Ehren kommen 😊

Kulturgut

Bild zur Verfügung gestellt von Pixabay

Es war hauptsächlich einem Apfelstrudel zu verdanken, dass die kleine Gruppe der Menschen, die die Tsunami- Katastrophe im Norden Deutschlands überlebt hatte, Asyl auf dem Planeten Artis bekam. Die Artiden waren zunächst wenig begeistert von der Menschengruppe, die, größtenteils gekleidet in langweilige dunkle Kleidung, mit lautem Knall auf Artis angekommen waren.

Der Gemeinderat einer kleinen Küstenstadt hatte soeben die Sonderausstellung „Von der Seefahrt zur Raumfahrt“ im Gemeindesaal besichtigt, als unvermutet eine riesige Wasserlawine über den Ort hereingebrochen war. Man hatte in einer von Schülern gebauten Rakete Schutz gesucht. Per Knopfdruck angetrieben von einem Kerosinmotor, hob die Maschine taumelnd ab. Am verblüfftesten davon war wohl Helma Bramel, eine Putzfrau, die in der Kapsel Staub gewischt hatte. Irgendwann war die Raumkapsel auf Artis in einen Teich gefallen.

Der einzige Grund, warum die Artiden den Flüchtlingstrupp nicht sofort wieder auf den eigenen Planeten zurückschickten, war die ramponierte Raumkapsel. Niemand wusste genau, wie man dieses Ding eigentlich flog, und Kerosin gab es auf Artis auch nicht. So durften die zwölf Gestrandeten vorerst bleiben, obwohl sie das einzige Kriterium für Asyl auf Artis offenbar nicht erfüllten: Neu aufgenommene Individuen mussten der hochentwickelten Bevölkerung einen kulturellen Vorteil oder zumindest technologische Neuerungen mitbringen. Dieses war bei diesen leicht debil anmutenden Kreaturen, die seit Jahren nicht davon abließen, den eigenen Planeten zu zerstören, nicht zu erwarten.

Die Neuankömmlinge zogen sich zunächst ratlos in die ihnen zur Verfügung gestellten Behausung zurück und verharrten in Schockstarre. Alle, bis auf Helma Bramel. Der lag das Nichtstun nicht. Sie hatte die Obstbäume im Garten entdeckt und bat darum, ein paar der reifen Früchte ernten zu dürfen. Das wurde ihr bewilligt, und so erfreute sie ihre Mitreisenden mit Apfelstrudel, Pflaumentarte, Apfel-Mandelkuchen und Walnuss-Hefezopf. Wunderbare Gerüche wehten durch die Fenster und umgarnten neugierig schnuppernde Nasen. Nach und nach fanden sich Artiden, die gerne auf ein paar Worte und ein Stück Kuchen hereinkamen. Gemeinsam zu essen schafft Freundschaft und Vertrauen, gemeinsam zu kochen bringt Spaß.

Irgendwann ließen die ersten Gäste sich die Rezepte der köstlichen Gebäcke geben. Ein Freund und Förderer der Erdenmenschen sprach sich dafür aus, die Backkunst von Helma Bramel als Kulturgut anzuerkennen. Außerdem sei doch die bunte Kittelschürze, die sie bei ihrer Ankunft getragen hatte, ein außerordentlich schönes und praktisches Gewand, das nachahmenswert sei. Beidem wurde zugestimmt. Jedoch mussten die Flüchtlinge sich verpflichten, die Gesetze von Artis zu achten, sich weiterzubilden und keine Erfindungen zu verbreiten, die dem Planeten schaden könnten. So wurde man sich einig und lebte glücklich und zufrieden miteinander.