Komische Gewohnheiten – Sehr gerne!

Bei dieser komischen Gewohnheit müsste ich eigentlich den Titel erweitern, denn es geht nicht nur um die Floskel „Sehr gerne!“, sondern um die Frage, ab wann so etwas Angenehmes wie Höflichkeit eigentlich peinlich wird. Die Grenzen sind hier fließend:

Komische Gewohnheiten 17 – Sehr gerne! oder: Wann wird Höflichkeit peinlich?

Vor etwas zwei Jahren fiel es mir auf, zuerst in Werbeagenturen. Fragte man etwas, bekam man stets die gleiche Antwort: „Sehr gerne!“ Nun klingt das nett und höflich, wenn man zum Beispiel darum gebeten hat, eine Dienstleistung zu erbringen oder die Wasserflasche herüberzureichen. Fragt man jedoch nach einem ausstehenden Kostenvoranschlag, hat das „sehr gerne“ bereits ein leichtes Geschmäckle, noch schlimmer bei der Frage: „Könnt ihr mal abrechnen, wir verlieren sonst den Überblick.“ Natürlich erwarte ich von keinem, dass er vorgibt, eine Abrechnung für geleistete Arbeit sei etwas Schmerzvolles, aber allzu große Begeisterung muss es an dieser Stelle nicht sein. Ein einfaches, fades „machen wir“ oder „wird erledigt“ würde mir da durchaus reichen.

Noch schlimmer empfand ich das „Sehr gerne“ bei meinem letzten Urlaub auf der Insel Juist: In zwei ansonsten nicht zu kritisierenden Speiselokalen übertrieben es die Kellner so dermaßen damit, dass es wirklich albern wurde und mich und meine Freundin zu beständigem Kichern reizte. Egal, um was es ging, die Antwort lautete „sehr gerne“, oft noch komplettiert mit „die Dame“ oder „der Herr“.

„Wir würden gerne bestellen!“ – „Sehr gerne, die Dame!“ – „Ein großes Wasser …“ – „Sehr gerne!“ – „und einen kleinen Salat …“ – „Sehr gerne!“ – „und die Scholle!“ „Sehr gerne, die Dame. Darf es noch etwas sein?“ – „Nein, danke.“ – „Sehr gerne!“

Mein liebster Dialog war dieser hier: „Haben Sie noch einen Tisch frei?“ – „Sehr gerne, der Herr, aber nicht heute!“ Da wird im ersten Satzteil aus lauter Höflichkeit eine Hoffnung geweckt, die mit den nächsten Worten brutal wieder zerstört wird – und das wahrscheinlich ungern. Abe ein „Nein, leider heute nicht“ wäre wahrscheinlich zu einfach gewesen. Oder Unhöflich. Auf jeden Fall weniger lustig, denn das Minenspiel des Mannes ohne Tisch war schon sehr drollig.

Die „sehr-gerne-Kellner“ waren auch, wenn man diese Floskel außer Acht lässt, überaus höflich und bemüht. Meine Freundin Antje – das ist die, die hier öfter vorkommt – bezeichnete sie gar als servil. Das erscheint mir treffend. Wahrscheinlich fanden wir das Verhalten deshalb so seltsam: Die Höflichkeit war übertrieben, das hatte nichts mehr mit normaler, freundlicher Hilfsbereitschaft zu tun. Die Kellner waren derartig unterwürfig, dass man sich fast schon ein bisschen veräppelt fühlte.

Im Grunde mag ich natürlich höfliche Menschen und ich lasse mich in Hotels oder Gaststätten auch gerne mal ein bisschen verwöhnen. Wird „der Dienst am Gast“ aber zu dick aufgetragen, fühle ich mich unwohl, so zum Beispiel in dem Fünf-Sterne-Hotel, in dem des Abends immer jemand hereinschlich, um die Gardine zu schließen, das Bett aufzuklappen und meinen alten schäbbeligen Schlafanzug reinspringbereit zurecht zu legen. Oder in dem Hotel, wo eine ältere Dame sich nicht davon abbringen ließ, meinen kleinen Rucksack vor mir her zu tragen. Der enthielt nur Sachen für eine Nacht, war also nicht schwer, aber es war mir unangenehm, ihn von dieser viel älteren Frau tragen zu lassen.

Vielleicht sind wir modernen Menschen derartige Dienstleistungen auch einfach nicht mehr gewohnt. Im „Haus am Eaton Place“ hatte man damit sicherlich weniger Probleme, aber das waren ganz andere Zeiten und die gesellschaftlichen Grenzen zwischen denen, die dienten, und denen, die bedient wurden, waren deutlich. Aber dort regierte auch der gestrenge Butler Angus Hudson, der seiner Herrschaft wahrscheinlich sehr gerne, aber doch stets aufrecht und würdevoll zur Seite stand.

Ach, das waren noch Zeiten!

Emo Court, Irland

Statt Haus am Eaton Place: Emo Court, Irland