Voll reingesteigert oder: Das Wundermittel

Eigentlich bin ich ein ausgeglichener Mensch: meistens positiv, mit guter Laune und optimistisch. Es gibt wenig, was ich mir nicht irgendwie schön reden könnte.

Meditierender Frosch, golden

Und doch kommt es auch bei mir vor, dass ich einmal schlechte Laune habe oder nörgelig bin. Meistens hält das dann nur kurz an. Vor einigen Wochen aber habe ich mich einmal richtig genüsslich in mein Elend reinfallen lassen. Ich kam mir vor wie der bedauernswerteste Mensch der Welt. Und das kam so: Ich hatte Knie.

So ein bisschen knirschig ist mein Knie ja schon länger – das linke. Jetzt aber machte das Rechte Theater: Kurz vor dem Urlaub auf Sylt begann es anlasslos zu meutern, ignorierte meine Sanierungsbemühungen mit Voltaren, Kälte, Wärme, Bewegung und Ruhe und legte im Urlaub so richtig los. Als ich wieder zuhause war, versuchte ich es noch zwei Tage mit Ignoranz, nur um dann feststellen zu müssen, dass nichts mehr ging. Ich humpelte also zum Arzt, ächzte dort die Treppe hoch und zeigte mein dickes, teigiges Knie klagend vor. Nein, weder umgeknickt noch gestürzt. Ja, einfach so. Der Arzt tastete, bog etwas herum, murmelte etwas von „Meniskus beidseitig“. Schön, schön. Ich schlug eine Amputation vor, was er nach kurzem Zögern ablehnte, mich mit Spritzen, Reizstrom, Creme und Pillen versorgte und der Anweisung, übermorgen wiederzukommen. Na gut. Ich hatte aber noch eine Frage: „Wie lange kann sowas denn dauern? Ich möchte nächsten Samstag auf Kohlfahrt …“ Nach kurzem Überlegen und Herumrechnen bekam ich folgende Auskunft: Kann klappen, muss aber nicht.

Kohlessen mit allemIch humpelte also heim, legte den Haxen hoch, cremte, schluckte Pillen, hielt mich an alle Anweisungen. Irgendwann tat das Knie im Liegen nicht mehr weh. Meine Zweifel aber wuchsen. Kohlfahrt, das bedeutet, etwa viereinhalb Stunden rumlaufen, rumstehen, über Buckelpisten traben, Bollerwagen ziehen, komische Spiele spielen. Außerdem Anfahrt und Übernachtung. Und irgendwann stellte ich ernüchtert fest: Das wird nix. Also, so gar nicht. Ich überlegte, nicht mitzulaufen und nur zum Essen zu gehen. Aber dann hätte ich eine Zugfahrt und zwei Nächte im Hotel bezahlt, nur um den Tag alleine herumzusitzen und abends als einzige Nüchterne mit einem Haufen Besoffener Grünkohl zu essen. Nenene, das lohnt sich nicht, auch wenn mir meine Kohlfahrts-Freunde allesamt lieb und teuer sind. Ich sagte also schweren Herzens ab. Und grämte mich. Richtig muffig war ich.

Der Samstag kam und ich ging einkaufen. Das geht doch ganz prima, dachte ich, als ich die 200 Meter von der Straßenbahn zur Post humpelte. Und ich dumme Nuss hatte das Event des Jahres angesagt. Ich grämte mich noch mehr und fand mich furchtbar doof.

Nun ja: Während ich in der Post darauf wartete, mein Päckchen aufgeben zu können, stand ich bald schon wieder auf einem Bein. Und die Strecke von der Post zurück zum Wochenmarkt war auf einmal richtig lang. Schon bevor ich einkaufte, war ich im Grunde reif für die Insel, per Liegendtransport. Und ich hatte eine unglaublich schlechte Laune. So schlecht, dass ich komplett den Faden verlor und  gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich kaufen wollte. Ich erwarb also zuerst mal einen dicken Strauß Blumen – wenn das Leben schon so ungerecht ist, wollte ich es wenigstens bunt haben. Dann etwas Gemüse und ab zum Fleischstand. Ich hatte noch Grünkohl im Glas – wenn schon keine Kohlfahrt, dann wollte ich zumindest eine Portion Grünkohl essen. Rippchen wollte ich dazu, das ist das, was mir im pinkelfreien Hessen am ehesten zum Kohl schmeckt. Die Verkäuferin zeigte mit dem Messer – so viel? Ne, mehr. Noch mehr! Wenn ich muffig bin, neige ich zum Frustfressen. Daher kam mir die Idee, dass ich nicht nur Brötchen, sondern auch dringend noch ein Stück Kuchen bräuchte. Ich stellte mich am Bäckerwagen an und besah die Auslage: Bestimmt fünf Sorten Kuchen, die ich sehr liebe. Ich war unentschlossen. Sollte ich einfach alle kaufen? Die Schlange rückte etwas vor. Der Mann vor mir kaufte zwei dicke Scheiben Marmorkuchen. Wie man das dröge Zeug essen kann, wenn es auch anderes gibt, ist mir seit jeher ein Rätsel. Und dann war ich dran. Noch immer mürrisch und irgendwie blöd im Kopf war ich nach wie vor unentschlossen. Und so bestellte ich das, was mir als erstes einfiel: Zwei Kürbiskernbrötchen und ein Stück Marmorkuchen, bitte.

Zuhause packte ich meine Schätze aus und fror erst mal zwei Drittel vom Rippchen ein. Den ollen Marmorkuchen schmiss ich in den Schrank. Dann frühstückte ich und gab mich meinem Elend hin: Ich guckte „Der Landarzt“. Was soll man sonst auch machen, wenn man so doll krank ist?

Marmorkuchen mit EierlikörDie Kohlfahrer schickten erste Fotos: Man traf sich, endlich mal alle wieder beisammen, ach ist das schön. Ich gönnte es ihnen und suhlte mich in Selbstmitleid. Das ging so lange, bis ich beschloss, dass es Teezeit sei. Übellaunig kochte ich eine Kanne Sonntagstee – wenn schon, denn schon, und knallte den dicken Klafter Marmorkuchen auf einen Teller. Da lag er nun und grinste trocken. Und aus einer Laune heraus nahm ich ihn vom Kuchenteller runter und schmiss ihn in einen Suppenteller, wo ich ihn mit einer dicken Schicht breiigem Eierlikör bedeckte. Den ließ ich ein Viertelstündchen einwirken und schnabulierte dann meinen Kuchen. Tatsächlich – es half. Nach diesem exquisiten Dessert ging es meiner Laune deutlich besser. Das müssen die Gene meines Vaters sein: Der war früher auch immer total happy, wenn er sein Nachtisch-Eis in reichlich Eierlikör ertränken konnte. Und das sogar ohne entzündetes Knie.

Nachtrag: Dem Knie geht es inzwischen besser, aber das war ein hartes Stück Arbeit. Es knurzelt noch. Gestern bin ich aber zum ersten Mal wieder richtig „zweibeinig“ anstatt im Oma-Schritt eine Treppe hochgelaufen. Folglich habe ich die Hoffnung, dass ich diese Malaise überleben werden. Und das ist gut so – ich habe nämlich nicht mehr viel Eierlikör.

Wochenend und schlechte Laune

Es gibt so Tage, die laufen komisch. Irgendwie gegen einen. Und manchmal gibt es ganze Wochenenden, die so laufen: Dieses ist eines davon. Das kann echt nur besser werden!

Schon am Freitag hatte ich bauchseitig ein komisches Gefühl und den Verdacht, dass ich was ausbrüten könnte. Ich therapierte das lästige Bauchsuseln durch Fencheltee und Ignorieren, was mir recht gut durch den Tag half. Ist ja auch klar, gute Mitarbeiter werden am Wochenende krank. Gestern pendelte ich also zwischen Sofa und Badezimmer, saß trübsinnig daher, strickte Strumpf und bemitleidete mich. Das kann ich gut und finde es auch hilfreich. Früh ging ich zu Bett und schlummerte – dieser unerfreuliche Tag hatte also ein Ende.

Heute Morgen war ich entsprechend früh wach, rappelte mich hoch und betastete meinen Bauch. Er war noch dran, ja, und er fühlte sich leer an. Das Frühstück schmeckte wieder, alles gut. Ich beendete den Ringelstrumpf für meinen Neffen und breitete ihn nachdenklich auf meinem Tisch aus – ob der wirklich passt? Ich kenne mich nicht so aus mit Männersocken in Größe 50. Naja, wenn nicht, mache ich ihm ein neues Paar. Dieses hier können die dann ja vielleicht mit Griffen versehen und als Einkaufsbeutel benutzen, oder als Zwiebelsack.

Da dieser Tag besser zu laufen schien als der gestrige, fing ich gleich mit dem zweiten Strumpf an. Ein Blick auf die Waage zeigte mir, dass ich weit mehr als die Hälfte des 100-Gramm-Knäuels verbraucht hatte, ich nahm also gleich das neue, damit ich nicht mittendrin ansetzen muss. Ich suchte den richtigen Anfang – es musste mit einem petrolfarbenen Streifen anfangen. Beherzt legte ich los – wie gut das doch ging! Irgendwann holte ich mir den fertigen Socken vom Tisch, um zu gucken, wie weit das Bündchen noch geht und maß nach. Aber etwas störte mich. Irgendwie sah das neue Bündchen anders aus. Ich holte mir die Banderolen: doch, gleiche Farbe, gleiche Partienummer. Was war da los? Nach einigen Sekunden der Ratlosigkeit ging mir auf, dass die Knäule unterschiedlich gewickelt waren, die Farbfolge lief anders herum. Was für ein Mist!

Muffig reppelte ich den angefangenen Strumpf wieder auf, schimpfte dabei vor mich hin. Wie kann das nur passiere, was ist das für eine lausige Qualität? Mein Verstand sagte mir, dass auch bei diesem Wollhersteller wohl Menschen arbeiten, und einer hat wohl einen Fehler gemacht und etwas falsch herum eingefädelt – kann passieren. Ich suchte mir das andere Ende des Knäuels. Es gab kein Ende. Es gab nur das, was entnervte Stricker „Wollkotze“ nennen: Das innere Ende des Knäuels war nicht ordentlich gewickelt, sondern war ein wirrer, knotiger Haufen, den ich mühsam sortierte, endlich ein Ende fand, das aufwickelte bis zum petrolfarbenen Streifen und neu begann.

Dann passierte das, was immer passiert, wenn ich lange angestrengt irgendwas angeguckt habe: Ich konnte nicht mehr gut sehen. Nein, das liegt nicht am Alter und auch nicht daran, dass ich eine Lesebrille, wenn nicht sogar eine Gleitsichtbrille bräuchte. Nein, das liegt an der Wolle und am Licht, und an der Luft. Oder so. Ich gab auf und ging kochen.

In der Küche checkte ich die Lage und mein Bauchgefühl – was würde so ein Magen in der Rekonvaleszenzzeit wohl mögen? Reste, beschloss ich, Reste sind immer das Beste. Da ich gestern nicht einkaufen war, war auch nichts Anderes da. Ein paar gekochte Kartoffeln fanden sich, ein Rest Frischkäse, Tomaten und ein paar Schinkenwürfelchen mussten auch weg. Das schrie nach Auflauf. Ich werkelte also drauflos. Ob mein Magen schon wieder Zwiebeln mögen würde? Ich beschloss, dass Zwiebeln furchtbar gesund sind, nahm eine und griff zur Juister Brötchensäge. Das hätte ich besser lassen sollen!

Denn für dieses harmlos aussehende Messer bräuchte man eigentlich einen Waffenschein. Oder noch besser, einen Führerschein. Küche und Badezimmer habe ich vollgeblutet, bevor ich endlich ausreichend Pflaster um meinen ramponierten Daumen rumgetütert hatte. Wie gut, dass ich heute Morgen überall frische Handtücher aufgehängt hatte – heiß gewaschen und fast steril. Sonst bekäme ich bestimmt auch noch eine Blutvergiftung!

Der Auflauf war gut – immerhin. Den Rest des Tages werde ich wohl damit verbringen, auf dem Sofa zu sitzen und klagend meinen verpflasterten Daumen in die Luft zu halten. Eigentlich kann dabei nichts passieren. Eigentlich. Denn der Teufel ist ein Eichhörnchen!

Mein Daumen: Die Perspektive täuscht, ganz so kurz ist er nicht geworden.