Makkaroni mit Mockturtle – in Omas Küche

Wieder mal eine Hausaufgabe, dieses Mal aus dem Kulinarik-Workshop: Es ging um ein Lebensmittel, das für uns untrennbar mit etwas verbunden ist. Einige Schreibkollegen entwickelten hier fantasievolle Geschichten, ich blieb irgendwie in meiner Erinnerung hängen und musste im Nachhinein feststellen, dass ich über dieses Essen tatsächlich schon mal geschrieben habe – wenn auch in einem anderen Zusammenhang. Das war im Jahr 2013! Nun ja – ich mag es halt einfach gerne 🙂

Makkaroni mit Mockturtle – in Omas Küche

Ich bin hoch im Norden aufgewachsen, genau genommen im Ammerland. Kulinarisch geht es dort deftig zu, Grünkohl mit Pinkel ist wohl das Bekannteste, was dort auf den Speiseplan gehört. Ebenfalls wichtig sind Kartoffeln – wenn es in den 70er Jahren zwei Tage nacheinander keine Kartoffeln zu essen gab, startete der typische Ammerländer einen Protestfeldzug und klagte gar fürchterlich. Nudeln, von uns Kindern schon damals heiß geliebt, galten allgemein als ungesunde Dickmacher und Reis war etwas, von dem man generell nicht leben konnte. Nun ja – die Milliarden von Asiaten hatte man dazu wohl nicht befragt.

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Kartoffeln – Bild von Pixabay

Es gab zuhause also nur selten Nudeln zu essen. Oma war da offener. Bei ihr gab es selbst an hohen Feiertagen schon mal Spiralnudeln zum Gulasch, und weil sie von aufbrausendem Temperament war, wagte es nicht mal mein Vater, dagegen aufzumucken. Und wenn wir Kinder bei Oma waren, was relativ oft der Fall war, gab es sogar Spaghetti oder, noch häufiger, lange Makkaroni. Und zu diesen Makkaroni gab es eine Ammerländer Spezialität, die eher schwierig zu beschreiben ist. „Dat is wat Kleinfleisch in Soße“, so beschrieb es einmal eine Touristin, die den Mut besessen hatte, dieses eigentlich als Suppe gedachte Gericht zu bestellen und nun ratlos vor dem dicken, dunkelbraunen Zeug saß. Ursprünglich ein Seefahrergericht und als Ersatz für Schildkrötensuppe gedacht, gab es diese Suppe in meiner Kindheit oft auf Familienfeiern, dann mit einem dreieckig halbierten Toastbrot. Was genau drin ist, habe ich nie erforscht, und ich will es auch eigentlich gar nicht wissen. Was ich aber weiß ist, dass Makkaroni mit Mockturtle für mich für immer untrennbar mit Omas Küche und viel Spaß verbunden sein wird.

Omas Küche war alt, der Boden bewegte sich ein bisschen, wenn man über das Linoleum lief. Jeder hatte seinen festen Platz – Oma saß vor dem Küchenbuffet, Opa links davon, meine Schwester vor der Spüle und ich auf der kleinen Bank mit dem Kunstlederbezug, der eine karierte Prägung hatte, die ich unzählige Male mit meinen Fingern nachgemalt habe.

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Aus den Wikipedia Commons: Mockturtle_Wilfried Wittkowsky. Irritierenderweise mit Klößen …

In Omas Küche sah es immer mal wieder anders aus als bei uns, wo es immer pingelig sauber war. Wenn sie kochte, arbeitete sie schwungvoll und „mit weiter Streuung“, wie mein Vater zu sagen pflegte. Das bedeutete nichts anderes, als dass von einem geschnittenen Kohl ein nicht unerheblicher Teil auf dem Boden landete, Mehl seinen Weg über Tisch und Schränke fand und sich je nach zubereiteter Speise überall ominöse Fingerabdrücke wiederfanden. Sie trug stets eine Kittelschürze, und die zeigte jedem aufmerksamen Beobachter genau das Menü des Tages.

Bei Oma zu essen war anders als zuhause, denn bei ihr ging es deutlich weniger streng zu, was die Tischmanieren anging. Sie war halt auch nicht dazu verpflichtet, uns zu erziehen – Omas haben eine andere Rolle. Bei ihr durfte man Tee aus der Untertasse trinken und die Makkaroni mit der Soße einschlürfen. Selbst, wenn man versuchte, diese Nudeln ordentlich zu essen, saute man sich unweigerlich ein. Es gibt eigentlich keinen logischen Grund dafür, ausgerechnet diese unpraktischsten aller Nudeln zu kaufen. Es war wohl so, dass Oma selbst Spaß an diesen unförmigen Dingern hatte, und Opa machte stoisch mit und schnitt sich seine Portion in mundgerechte Stückchen. Das tat Oma bei uns übrigens irgendwann auch, aber immer erst, wenn wir schon alles vollgesaut hatten.

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Es hätte durchaus praktischere Alternativen zu den Makkaroni gegeben – Bild von Pixabay

Natürlich ferkelten wir nicht bei jeder Mahlzeit so herum, aber es gab immer wieder übermütige Stunden, in denen wir in Omas Küche Dinge taten, die wir zuhause niemals gedurft hätten. Kirschkernspucken zum Beispiel – eine Beschäftigung, bei dem Omas ausladendes Dekolletee das Ziel darstellte. Oder Kaugummiblasen machen, bei dem beide Großeltern mitmachten und sich dabei ganz fürchterlich an einem Konglomerat aus Hubba Bubba und dritten Zähnen verschluckten. Dabei wurde viel geschimpft, viel gelacht und irgendwann, wenn man erschöpft zur Ruhe kam, wurde der alte Boiler über der Spüle angeschaltet und nochmal Tee gemacht, um wieder zu Kräften zu kommen.

Kirschkernzielspucken habe ich schon lange nicht mehr gemacht und auf Hubba Bubba stehe ich auch nicht mehr so. Meinen Tee trinke ich nun brav aus der Tasse, was auch daran liegt, dass ich gar keine Untertassen mehr benutze. Aber Mockturtle kaufe ich immer noch. Ich esse sie nicht mehr mit Makkaroni, schließlich muss ich meine Kleidung inzwischen selbst waschen. Aber noch immer, wenn ich die Dose öffne und mir der leicht katzenfutterartige Geruch in die Nase steigt, fühlt sich der Boden unter meinen Füßen an wie Linoleum auf einem Holzboden und ich fühle mich sehr zuhause. Und das, obwohl mein Zuhause inzwischen schon seit vielen Jahren nicht mehr das flache, ländliche Ammerland, sondern Frankfurt am Main ist. 

Besuch in Leer

„In Aurich ist’s schaurig, und in Leer noch viel mehr!“ Jeder, der in meiner Ecke aufgewachsen ist, kennt diesen dummen Spruch. Zumindest, was Leer angeht, kann ich das allerdings nicht bestätigen. Ich fahre mit meiner Schwester immer gerne in eine der kleinen ostfriesischen Städtchen und dieses Mal stand das an Ems und Leda gelegene Leer auf unserer Route. Und eines war tatsächlich so wie fast immer: Ostfriesland erwartete uns mit echtem norddeutschem Schietwetter. Darauf gab es erst mal einen Tee – schließlich ist Leer eine Teestadt (im Hintergrund der freundlichen Statue sieht man das Stammhaus der Firma Bünting). Dazu verschnabulierte ich einen der besten Apfelkuchen, die ich je hatte: mit Schmand und Walnüssen.

Teestadt Leer

Es war schwül und nieselte eine ganze Weile etwas unmotiviert vor sich hin – zu wenig, um reinzugehen, aber zu viel, um ganz entspannt draußen herumzulaufen. Wir machten also erst mal einen Stadtbummel, gingen in wenige Geschäfte und liefen durch die niedliche kleine Altstadt – unter anderem vorbei an dem Restaurant, in dem meinem ewig hungrigen Neffen einmal ganze 14 Pommes zu seiner Currywurst serviert wurden. Er war so empört darüber, dass uns diese Episode wohl ewig im Gedächtnis bleiben wird.

Altstadt in Leer

Gerade rechtzeitig entschlossen wir uns zu einer weiteren Einkehr und wählten einen Platz unter einem großen Schirm. Kaum saßen wir, beschloss der Wettergott, dass das sachte Gefiesel uns, was Wasser angeht, nicht so recht weiterbringt, und der Himmel öffnete alle Schleusen. Es regnete, dass es nur so spritzte. Danach war es dann aber auch gut, der Himmel riss auf und wir zogen weiter in Richtung Hafen. Leer hat eine sehr schöne Uferpromenade entlang des Museumshafens, an der man spazieren gehen, auf Bänkchen sitzen, eine Rundfahrt machen und Boote beobachten kann. Besonders gefiel uns das winzige Böötchen mit dem Namen „Kerlke“: ganz klein, aber doch alles dran.

Hafen in Leer

Es war ein entspannter Tag im hübschen Leer, der uns ganz zum Schluss sogar noch ein wenig Sonne gönnte. Ich habe an meiner Lust am Fotografieren gemerkt, dass ich dieses Jahr noch viel zu wenig unterwegs war – Corona sei Dank. Ich habe deshalb auch noch eine rosa Rose für euch, denn auf Regen folgt Sonne.

Rose

Kohlfahrt 2018 – so schön kann Winter sein

Es war mal wieder Kohlfahrtszeit – gestern wanderten wir los. Es war eisig kalt, aber trotzdem unglaublich schön. Denn gegen Kälte kann man sich anziehen.

Und das taten wir auch: Tatsächlich trat keiner den Weg ohne Mütze an, und von Anfang an wurde eifrig verglichen, was man sich alles angezogen hatte, um warm zu bleiben. Mütze, Schal und Handschuhe natürlich, warme, winddichte Jacken und lange Unterbuxen, von denen mindestens eine sogar zwei trug.

Wir liefen los in Tungeln, direkt an der Hunte. Hier konnte man wirklich schön laufen, allerdings sorgte der Weg auf dem Deich dafür, dass wir so richtig viel Wind abbekamen. Trotz Mütze vermeldete mein linkes Ohr irgendwann Kältealarm, so dass die Kaputze noch oben drüber kam. Erst, als wir den Deich verließen, wurden wir nicht mehr so stark verblasen.

Hunte bei Tungeln

Doch die leicht erhobene Position oben auf dem Deich hatte auch etwas Gutes: Der Blick war wirklich sehr schön. Das lag natürlich auch daran, dass keinerlei Häuser oder Straßen dort im Weg sind. Es gibt dort einfach viel „Gegend“. Geboßelt haben wir allerdings dieses Mal nicht: Die Kugeln wären doch gar zu leicht in der Hunte verschwunden, zumal wir den Kraber zum Herausangeln der Sportgeräte vergessen hatten.

Hunte bei Tungeln

Statt dessen wurde auf einer kugelabsturzsicheren Brücke gekegelt und es gab eine neue, abgefahrene Schnapsleiste mit blinkenden Bechern. Auch unsere mobile Ecke, die es uns ermöglicht, auf völlig gerader Strecke eine der sonst traditionell nur an Ecken oder Kuven stattfindende Schnapspause einzulegen, fehlte nicht. So modern waren wir wahrscheinlich noch nie unterwegs.

Trotzdem wirkte unser Bollerwagen, wenngleich üppig bestückt wie immer, fast bescheiden gegen einige der Profigefährte mit Musik und Zapfanlage, die uns dieses Mal begegneten. Denn es waren unzählige Kohlfahrtsgruppen unterwegs an diesem eisigen Wochenende und die Ausstattung war sehr unterschiedlich.

Profi-Bollerwagen, Kohlfahrt

Bei uns wird der Schnappes nach wie vor von Hand eingeschenkt, was dieses Mal bei dem Wind gar nicht so einfach war: Manchmal machte der Schnaps sich selbständig und schlackerte statt ins Glas über die Klamotten des durstigen Kohlfahrers. Selbst die Schnapsausgießer verweigerten bei der Kälte teilweise den Dienst und fielen einfach von der Flasche, was allgemein für Heiterkeit sorgte – wie gut, dass unsere Leute nicht pingelig sind. Auch Musik brauchen wir für unsere Touren nicht, denn wir machen schon so genug Krach.

Kohlfahrt, Bollerwagen

Wir hatten eine tolle Zeit und nutzten die letzten Sonnenstrahlen noch aus, bevor wir an unserem Lokal ankamen. Auch das war gut ausgesucht. Ich sprach wieder sehr der heißen Suppe zu, die konnte man nach viereinhalb Stunden draußen wirklich gut gebrauchen.

Und ich genoss es, noch einige Zeit mit meinen alten Freunden zusammenzusitzen. Diese jährliche Kohlpartie ist immer eines der Highlights meines Jahres – und ich freue mich schon jetzt auf das nächste Mal.

90 Minuten Juli-Wetter

Kürzlich habe ich mal wieder meine liebe Schwester besucht. Die wohnt in tiefster norddeutsche Tiefebene – tiefer geht es nicht. Trotz der wilden Wetterkapriolen machten wir am Sonntag eine kleine Tour durch Butjadingen. Die Sonne schien, es regnete, es windete und war schwül. Etwa die letzten 90 Minuten unseres Ausflugs habe ich geknipst – auch wegen des wilden Wetters. Die Bilder kommen hier in chronologischer Reihenfolge.

Da es im angepeilten Sehestädt regnete wie aus dem Eimer, fuhren wir einfach weiter und landeten in Eckwarderhörne. Als wir ankamen, war es immer noch nass, doch nach einer Portion Pommes im Strandlokal klarte es auf und lud dazu ein, ein Stück auf dem Deich zu laufen. Wenige Minuten später sah die Sache jedoch schon anders aus:

Wir hockten uns trotzdem noch ein Weilchen auf eine Bank, genossen den lauen, feuchten Wind und den Blick quer über den Jadebusen nach Wilhelmshaven, das unter dunklen Wolken lag. Irgendwann wurde es uns dann aber doch zu finster, sodass wir flotten Schrittes zum Auto zurückeilten.

Alle weiteren Fotos entstanden durch das Autofenster, was erstaunlich gut funktionierte. Zum Glück goss es weniger heftig als befürchtet, so dass die Sonne noch eine Chance hatte.

Wir sahen in der Ferne das Kernkraftwerk Unterweser in der Sonne strahlen (ja, ja, fünf Euro ins Kalauerschwein), doch davon machte ich kein Foto. Ich mag die großen Windräder lieber. Viele Leute mögen sie nicht, ich aber finde sie äußerst dekorativ.

Auch die Weite der Landschaft faszinierte mich mal wieder, wenn ich auch zugeben muss, dass ich um nichts in der Welt da wohnen möchte. Ich bin zwar auf dem Land aufgewachsen, aber zwischen Dorf und Nichts ist doch ein Unterschied.

Immerhin kann man sich in dieser Ecke nicht über zu viel Verkehr beschweren. Auf den Straßen ist zumeist reichlich Platz, ein Luxus, den ich, wenn ich noch ein Auto hätte, wohl durchaus zu schätzen wüsste.

Der Ausflug war, trotz des ausgesprochen durchwachsenen Wetters, mal wieder richtig schön. Ich genieße meine norddeutsche Heimat immer noch, auch wenn ich inzwischen überzeugte Frankfurterin bin. Wer weiß, vielleicht haue ich irgendwann meine Rente ja doch im hohen Norden auf den Kopf – muss ja nicht ganz in Butjadingen sein 🙂

Fundstücke 41 – Tuffels

Dieses kleine Fundstück sah ich auf Borkum, und es ließ mich lächeln und an meine Kindheit denken. Denn das schöne plattdeutsche Wort „Tuffels“ begegnete mir dort jeden Tag. Nicht jeder Tourist wird es wissen, kann aber wahrscheinlich erschließen, dass die hier im Set mit Grünkohl und allerlei Fleischwaren angebotenen „Tuffels“ auf Hochdeutsch „Kartoffeln“ heißen. So wie hier auf einem Schild habe ich den dialektalen Ausdruck aber noch nie gesehen.

Das beste Essen überhaupt!

Ich bin in Nordwestdeutschand aufgewachsen, und Nordwestdeutschland ist Kartoffel-Land. Ich glaube, wir hatten zuhause mindestens 5 Mal die Woche Kartoffeln – es kann auch öfter gewesen sein. Nudeln oder Reis gab es selten, denn meine Mutter vertrat wie so viele Nordlicher die Ansicht, diese Speisen seien ungesund. Man könne von Reis nicht leben, sagte sie, der enthalte keinerlei Nährstoffe. Nun, das erzähle man einmal den Milliarden von Asiaten auf dieser Welt …

Auch später in der Kantine und in der Mensa wurden wir mit Kartoffeln fast zu Tode gefüttert. Und erst vor wenigen Jahren erlebte ich in einem Hotel auf Sylt, das viel von Norddeutschen besucht wurde, beim Abendessen beinahe einen Aufstand: „Sie müssen doch zu jedem Essen Salzkartoffeln anbieten!“, wurde dort ein verdatterter Koch zusammengeschimpft. Der arme Mann war völlig verwirrt, wahrscheinlich war er ein Zugereister. Nun, das wird ihm nicht wieder passieren, dass er einen Speiseplan ohne Tuffels erstellt.

Bei mir gibt es inzwischen eher selten Kartoffeln zu essen. Ab und zu mal in der Kantine, oder zuhause im Eintopf – ansonsten bevorzuge ich Reis oder Nudeln. Und ich lebe noch!

Zuhause-Zeichen

Vor einer Weile hatten wir im Schreibworkshop die Aufgabe, uns Gedanken darüber zu machen, welche Geräusche dazu beitragen, dass wir uns zuhause fühlen. Das brachte mich dazu, ganz allgemein einmal darüber nachzudenken, welche äußerlichen Anzeichen es für mich für „Heimat“ gibt. Ich entstamme ja dem windigen Nordwesten, genau gesagt der Gegend um Oldenburg, und lebe jetzt seit vielen Jahren im hessischen Exil. Folgendes ist mir im ersten Rutsch eingefallen:

Zuhause-Zeichen

Friesenkühe

Kühe in der richtigen Farbe – Bild zur Verfügung gestellt von Gerhard Giebener / http://www.pixelio.de

Noch vor wenigen Jahren war es nach einigen Stunden Schlaf im Zug einfach festzustellen, wie weit man auf der Fahrt nach Hause schon gekommen war: Waren die Kühe auf der Weide noch braun, hatte man noch ziemlich viel Strecke vor sich. Waren sie schon schwarz-weiß, war man fast da. In den letzten Jahren ist es jedoch auch im Norden in Mode gekommen, braune, braun-weiße oder beigefarbene Kühe zu halten, was unter Umständen zu Verwirrung führen kann. Noch überwiegen die Schwarzbunten, aber die Anzahl der Kakaokühe nimmt zu. Ich weiß ja nicht, ob das gesund ist.

Auch das besondere Grün, dass man aus dem Zugfenster sieht, sobald man Hannover hinter sich gelassen hat, spricht eine deutliche Sprache. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, dass diese Weiden so norddeutsch aussehen: Vielleicht ist es die Kombination aus sehr viel freier Fläche, wenigen Bäumen, nüchternen Zäunen und dem gerne mal grauen Himmel. „Wundeschönes Grau“, nannte der Musiker Stefan Gwildis diese Farbschattierungen. Er bezog sich dabei auf Hamburg, aber das macht den Kohl nicht fett.

Ich dachte früher auch, dass Klinkerbauten in ganz Deutschland üblich sind. In unserem Dorf hatten viele so ein rotes Haus, und gerade auch große, öffentliche Bauten waren oft in rotem Klinker gebaut. Meine Eltern hatten sich 1966 für einen weißen Putzbau entschieden – mein Vater bereute das später, denn dank des feuchten Windes hätte er eigentlich mindetens alle zwei Jahre den hinteren Giebel streichen müssen, der gerne grün bemooste. Aber unsere Großeltern wohnten in klassischen Klinkerbauten und viele der Nachbarn auch. Als mir erstmals auffiel, dass man woanders auch ganz anders baut (unter anderem auch eher in die Höhe als in die Breite – bei uns zuhause gibt es ja reichlich Platz), war das für mich ein Aha-Erlebnis.

Ein öffentlicher Klinkerbau: die Kirche in Borkum, zur Abwechslung einmal unter strahlendblauem Himmel

Dass man mit der Heimat spezielles Essen verbindet, ist natürlich auch klar: Bei mir sind das herzhafte Gerichte wie Grünkohl, Labskaus, Mockturtle und eine ganze Batterie an Eintöpfen. Birnen, Bohnen und Speck gehört auch dazu, aber darüber reden wir mal lieber nicht. Und über Buttermilchsuppe auch nicht – Schreck und Graus! Aber natürlich über Kartoffeln – Norddeutschland ist Kartoffel-Land. Wenn die einmal ausgehen, denken viele Norddeutsche über die sofortige Auswanderung nach. Oder über eine Revolte. Oder über beides, Hauptsache, es gibt wieder Kartoffeln.

Getränke gehören auch zu den Zuhause-Zeichen: Ostfriesentee, gerne mehrmals am Tag, und herbe Biere. Die mochte ich nie so besonders gerne, ich habe mich erst mit dem eher wässrigen bayrischen „Hellen“ einigermaßen ans Biertrinken gewöhnt. Mit kleinen Schnäpschen kam ich da schon besser klar: Korn, irgendwelche „Roten“ (Aufgesetzte auf Korn- oder Geneverbasis) oder sonstige fruchtige Sorten gehörten schon immer irgendwie dazu. Und Grog à la Tante Hilde, aber sowas schmeckt mir auch erst jetzt.

Aber nicht immer fahre ich aus Frankfurt nach Norddeutschland, manchmal geht es auch andersherum: Trifft man sie in der Frankfurter Innenstadt, erkennt man sie in der Regel schon bevor sie anfangen zu sprechen – die Damen der Landfrauenverbände aus meiner Heimat. Denn sie tragen diese praktische, sturmerprobte Kurzhaarfrisur (bei den älteren Semestern gerne noch dauergewellt) und eine Weste. Das ist mir früher nie aufgefallen: In Norddeutschland trägt man Westen, woanders eher nicht. Und damit meine ich jetzt keine schicke Weste, die den Anzug oder ein festliches Outfit aufwerten soll. Ich meine damit diese winddichten Dinger mit Reißverscluss bis an den Hals, die man über ein T-Shirt oder einen leichten Pulli anzieht, um keine Bronchitis zu bekommen. Ich hatte früher auch so etwas: eine dicke gesteppte Weste in Grün für den Winter, eine leichte aus dunkelblauem Windjackenmaterial gegen Sturm und eine recht hübsche blaue, die man an kühleren Sommertagen gut zum Fahrradfahren anziehen konnte. Inzwischen tragen viele Norddeutsche diese robusten Westen von Jack Wolfskin, in denen man ohne Hustengefahr sämtliche Ozeane durchsegeln könnte. Ich habe keine mehr – hier weiß ich einfach nicht, wann ich die anziehen soll.

Beginnen die Landfrauen dann damit, sich zu unterhalten, weiß man, dass man richtig gelegen hat mit der instinktiven Einordnung: Denn einige der Damen reden immer noch Platt. Leider wird diese Sprache inzwischen immer weniger verwendet: Schon ich kann unser schönes Plattdeutsch zwar gut verstehen, aber nicht richtig sprechen, und die meisten Kinder aus der Generation meines Neffen kommen gar nicht mehr damit in Kontakt. Trotzdem ist das nordwestdeutsche Hochdeutsch so speziell, dass man nach wenigen Sätzen weiß, dass derjenige, mit dem man gerade spricht, aus der gleichen Ecke kommt wie man selbst. „Wo bist du denn wech?“, kann man dann fragen, und die Verbindung ist hergestellt.

Und auch diese spezielle Grammatik der Norddeutschen lässt mich dann lächeln, denn ich rede immer noch genau so: „Drei Schnaps und drei Bratwurst, bitte!“, ordert man auf einem Festchen, ungerührt darüber, dass man eigentlich die Mehrzahl verwenden müsste. Ich mache das immer noch so, wenn ich daheim bin – was sollte denn sonst auch Schlachters Erika von mir denken, wenn ich auf einmal „Bratwürste“ bestellen würde?

Englischer Rasen

Diese kleine Geschichte ist schon älter, wurde aber von Michael hier auf die Seite gewünscht. Sie ist in Teilen fiktiv, denn es gibt keine Familie Schiller und auch Frank, den Feind, habe ich mir ausgedacht. Die Maulwurfvertreibungsmaschine aber hat es gegeben: Mein Vater hat sie gebaut und sie funktionierte genau wie beschrieben – nämlich gar nicht. Und auch die Beschreibung der niedersächsischen Gartenkultur beruht auf nichts anderem als der Wahrheit.

Englischer Rasen

In Nordwestdeutschland geht es in vielen Dingen locker zu. Man duzt sich sehr schnell, muss zumeist keine besondere Kleiderordnung einhalten und nimmt es mit der Etikette nicht sehr genau. Eines aber ist, aller Entspanntheit zum Trotz, unbedingt zu beachten: Der Garten muss gepflegt werden. Und das bedeutet nicht nur, dass Blumen gepflanzt werden müssen, Gemüse gesät und ab und an der Rasen gemäht wird. Vielmehr gehört dazu, dass man unter dem Druck der ständig genau beobachtenden Nachbarn eine nahezu unkrautfreie Zone erschaffen muss, die zudem auch noch messerscharfe Kanten hat. Natürlich muss das Ganze auch ordentlich begrenzt sein, etwa durch eine adrett zurechtgestutzte Hecke oder einen in jedem Frühjahr liebevoll gepinselten Zaun. Gartenzwerge, wasserspeiende Frösche oder Tonhühner auf dem Stock sind erlaubt, aber glücklicherweise nicht verpflichtend, und auch die allseits beliebten Pavillons sind nur eine Option.

Wichtiger Bestandteil der norddeutschen Gartengewohnheit ist außerdem die anlassgetriebene Reinigungsarbeit: Denn wenn Schützenfest ist, muss es rund ums Haus sauber sein. Hecke schneiden, Auffahrt fegen – ohne diese Tätigkeiten geht es vor Festen nicht, wenn man es sich nicht mit der gesammelten Nachbarschaft verderben will. Was sollten denn sonst auch die auswärtigen Gäste denken? „Wahrscheinlich denken die gar nicht“, maulte ich, wenn ich als Teenager wieder einmal zu einer in meinen Augen völlig sinnlosen Reinigungsaktion herangezogen wurde und winzige Kräutlein aus dem ansonsten porentief reinen Mutterboden pulen musste. Das aber ließen meine Eltern nicht gelten, denn schließlich waren wir ohnehin schon die mit den am wenigsten geraden Kanten und der an einer Stelle dauerkränkelnden Hecke. Vom unappetitlichen Mehltau an den Stachelbeersträuchern ganz zu schweigen! Und gegen Frank und Brigitte, die Nachbarn ganz vorne in der Straße, würden wir sowie nie anstinken können. Denn die ließen vor den Dorffesten das Gras immer dreieinhalb Tage länger wachsen und frisierten dann die Jahreszahl in den Rasen – mit einer Haushaltsschere. Nein, so weit ging der Garten-Fanatismus meiner Eltern nicht, aber sie verhielten sich gesellschaftskonform und fanden es tatsächlich ganz normal, vor der Konfirmation der Nachbarstochter eine Extra-Runde in Sachen Gartenpflege einzulegen. Schließlich würden auch dort Gäste erwartet, die keine schlechtes Bild von uns bekommen sollten. „Was sollen die von uns denken?“ lautete wiederum die Frage meiner Mutter, als ich versuchte, mittels logischer Argumentation die mir zugewiesenen Aufgaben wieder loszuwerden. Ich ging ja davon aus, dass die Gäste nur an das zu erwartende gute Essen dachten – dreierlei Fleisch mit Salzkartoffeln, Gemüse und Soße – wusste aber, dass Meutern keinen Sinn haben würde und fegte deshalb mit halber Kraft die ohnehin sauberen Gehwegplatten.

Einen aber gab es, der in der Lage war, in nur einer Nacht die Bemühungen eines ganzen Gartenjahres zunichte zu machen: Meister Maulwurf. Mein Vater war ohnehin nicht besonders glücklich mit unserer Grünfläche: Denn er säte immer wieder Grassamen aus, die ihm einen englischen Rasen bescheren sollten. So stand es zumindest auf dem Sack, aus dem er mit seinen großen Händen die Samen herausholte und sie verteilte. Was er trotz liebevoller Pflege bekam, war eine Wiese, die geschmückt wurde durch Löwenzahn, Gänseblümchen, Wiesenschaumkraut und die weniger beliebten, stacheligen Disteln. Das lag natürlich an den umliegenden Weiden und ließ sich ohne großzügigen Gifteinsatz nicht vermeiden, und den lehnte mein Vater ab. Trotzdem sorgte diese fröhliche Sommerwiese Jahr für Jahr für Verdruss. Besonders natürlich, weil Frank, Vaters nachbarschaftlicher Intimfeind, einen Rasen sein eigen nannte, der aussah wie ein dicker, grüner Teppich aus original Windsor-Gras. Als dann auch noch ein besonders fleißiger Maulwurf bei uns einzog, sank Vaters Laune auf den Nullpunkt.

In dieser Zeit wurden wir Zeugen, wie sich unser freundlicher, friedliebender Vater in eine schwer bewaffnete Kampfmaschine verwandelte. Zuerst stellte er sich ganz still über einen besonders großen Maulwurfshaufen, eine schwere Schaufel schlagbereit im Anschlag. Natürlich war der kleine Baumeister nicht so verwegen, seine Nase gerade aus diesem Haufen herauszustrecken, sondern buddelte immer gerade dort, wo Vater nicht war. Nachdem er sich auf diese Weile ein paar Abende um die Ohren geschlagen hatte, gab mein Vater diese Strategie auf und rüstete nach. Er kaufte sich einige Fallen und versuchte, das kleine Tierchen damit zu fangen. Von Frank jedoch freundlichst darauf hingewiesen, dass diese Art von Fallen verboten seien und der Maulwurf ohnehin unter Naturschutz stünde, musste noch etwas anderes her.

In Gartenratgebern stand zu lesen, dass der Maulwurf ein ruhebedürftiger Geselle wäre, der durch Vibration vertrieben werden könnte. Diese sollte sich tatsächlich durch ein Kinderspielzeug erzeugen lassen: Vater schickte mich in den nahen Spielzeugladen, wo ich eine Strandwindmühle kaufen musste. Das war mir mit meinen dreizehn Jahren unendlich peinlich, zumal mich ein Junge aus der Klasse fragte, ob die Mühle für mich wäre. Aber da die Vertreibung des Maulwurfs offensichtlich wichtig für den Seelenfrieden meines Vaters war, straffte ich die Schultern, hob trotzig das Kinn und ging mit einem Lächeln darüber hinweg. Und das war gut so, denn im Laufe der Woche wurde der Bestand an Windmühlen in unserem Garten auf ein gutes Dutzend aufgestockt. Die vielen bunten Mühlen in unserem Garten sorgten für eine heitere Grundstimmung. Besonders natürlich bei den Kindern, bei Frank dem Feind und bei dem Maulwurf. Derartig angestachelt und anscheinend ständig wach, buddelte er sich eine Mehrzimmerwohnung unter dem Rosenbeet und verschob die Gehwegplatten vor der Terrasse. Mein Vater sah es, seine Kiefer waren verbissen zusammengepresst. Die Atombombe musste her.

Das folgende Wochenende sahen wir unseren Vater kaum, hörten ihn aber: Er klopfte, hämmerte und schweißte in seiner Werkstatt herum. Am Sonntag beim Kaffee trinken hatte er Farbflecken an den Händen und war bester Stimmung: Die Maulwurfvertreibungsmaschine war fertig. Stolz zeigt er uns eine große, handgefertigte Windmühle aus solidem Blech. Wenn man die rot-gelb lackierten Flügel drehte, vibrierte sie wie ein Rasenmäher und machte ein nervtötendes Geräusch. Oh ja, wenn etwas helfen würde, dann wohl diese Höllenmaschine.

Die ganze Familie folgte meinem Vater. Eifrig sammelten wir die inzwischen fünfunddreißig Strandwindmühlen ein und beobachteten, wie mein Vater die blecherne Monstrosität feierlich im Rosenbeet platzierte. Nichts passierte. Gar nichts.

Man muss sich diesen Augenblick vorstellen: Alle fünf Schillers standen im Garten und starrten, teilweise mit offenem Mund, auf die Maulwurfvertreibungsmaschine. Wir warteten auf ihr Rattern und Vibrieren. Und dann tat sich einfach nichts. Mein Vater justierte den Stand des Gerätes ein wenig nach, doch der Wind war zu schwach, um die metallenen Flügel zu bewegen. Wir wagten kaum, unseren Vater anzusehen, der sich wortlos umdrehte und ins Haus ging. Er tat mir leid und ich ging in den Keller, um mein altes, früher heißgeliebtes Fernlenkschiff zu suchen. Ich bot meinem Vater den Motor des Schiffes an und sah zu meiner Erleichterung, dass er wieder Hoffnung schöpfte.

In der Nacht begann es zu regnen und mit dem Regen kam ein ordentlicher Wind. Etwa um zwei Uhr in der Nacht hörte ich es: Die Maulwurfvertreibungsmaschine funktionierte doch. Zumindest tat sie, was sie sollte: Rattern und vibrieren. „Hört Ihr das?“ rief mein Bruder aus seinem Zimmer, wohl weil meine Eltern im Flur herumrumorten. Natürlich taten sie das, und mit ihnen die ganze Nachbarschaft. Ich sah, wie in den Fenstern die Lichter angingen, irgendwo flog krachend ein Rollladen nach oben. Meine Mutter brauchte gar nichts zu sagen, ein Blick reichte aus. Mein Vater huschte im Schlafanzug hinaus in den Regen, verdarb sich seine neue Pantoffeln im matschigen Rosenbeet und entfernte die klappernde Maulwurfvertreibungsmaschine mit einem energischen Ruck. Er war geschlagen.

Ich weiß nicht, wie es mit dem seelischen Zustand meines Vaters weitergegangen wäre, wenn sich der brave Maulwurf nicht freiwillig zum Umzug entschieden hätte. Wenige Tage nach der nächtlichen Ruhestörung durch Vaters Maschine sahen wir einen eindeutigen Hügel auf dem Nachbargrundstück. Dann grub er sich in gerader Linie durch bis zu Frank und Brigitte, wo er sich häuslich einrichtete und große Haufen mitten in die Pfingstmarkt-Jahreszahl grub. Mein Vater wies Frank auf die schützenswerten Eigenschaften des possierlichen Pelztierchens hin und schenkte ihm eine seiner Strandwindmühlen. Dann ging er nach Hause, säte neuen englischen Rasen, bekam allerhand buntes Kraut und war zum ersten Mal richtig zufrieden damit.