Fundstücke 74 – gastronomischer Abgrund

Seit Ewigkeiten habe ich schon kein Fundstück mehr gepostet. Aber das, was sich mir im Ostseeurlaub in einer Speisekarte präsentierte, schreit förmlich danach, im Absurditätenkabinett meines Blogs präsentiert zu werden. Aber von Anfang an:

Es gibt Dinge, die esse ich gerne. Ganz besonders im Urlaub. Dazu gehört die norddeutsche Spezialität „Labskaus“, die natürlich nicht nur aus der merkwürdig aussehenden Pampe besteht, sondern allerlei Beiwerk hat: Matjes (oder auch einen sauren Hering), ein Spiegelei und etwas Sauergemüse oder Salat. Hier haben wir ein schönes Beispiel:

Labskaus, so wie er muss: Mit zwei Eiern, Hering, Zwiebeln, saurer Gurke und Salat

In einem Restaurant in Kappeln bot man auch Labskaus an. Dieses wurde jedoch derartig merkwürdig angepriesen, dass ich davor zurückschreckte und lieber ein Stück Pflaumenkuchen nahm, obwohl ich auch Appetit auf etwas Herzhaftes gehabt hätte. Denn man offerierte:

Text aus der Speisekarte: Labskaus für "Anfänger" mit Spiegelei in der Tasse serviert

In der TASSE?! Watt? Nein, liebe Leute, so nicht. Man hat mir ja schon vieles serviert – Kartoffelsuppe im fest verschlossenen, brühheißen Einmachglas, Burger und Pommes im Körbchen, Sahnetorte auf der Serviette. Doch dieses hier geht eindeutig zu weit. So nicht! Nicht mit mir!

Bin halt auch keine Anfängerin mehr 🙂

Heimat in Dosen

Nach meinem Kurzausflug in die Welt der Modeblogger gibt es heute einen genau so kurzen Trip in den Bereich der Kulinarik-Spezialisten: Denn dieses Mal geht es ums Essen. Nun ist Essen natürlich viel mehr als nur bloße Nahrungsaufnahme – es vermittelt Gefühle, weckt Erinnerungen. Gerade Gerichte aus der Kindheit. Aber keine Sorge, ich will niemanden mit Pfannkuchen, Milchreis oder Nutellabrot langweilen. Ich habe mir lediglich drei norddeutsche Klassiker ausgesucht, die ich alle sehr schätze. Birnen, Bohnen und Speck ist allerdings nicht dabei – diesen Graus darf gerne jemand anderes essen!

Heimat in Dosen

Dieser Tage habe ich mal wieder ganz toll gekocht. Natürlich nicht kompliziert, das liegt mir nicht. Und auch nicht frisch – das wird total überbewertet. Aber heimatlich, es hat geschmeckt wie bei Oma. Zumindest fast. Denn bei Oma gab es Mockturtle auch immer aus der Dose.

Mockturtle_Wilfried Wittkowsky

Aufnahme: Mockturtle von Wilfried Wittkowsky, Wikipedia Commons

Ich bin niemand, der fern der norddeutschen Heimat fürchterlich unter Heimweh leiden würde. Aber ich bemerke doch, dass ich typische norddeutsche Gerichte, die es hier nicht oder nur schwer zu kaufen gibt, inzwischen anders esse als zuvor. Und teilweise auch lieber. Das kann natürlich auch daran liegen, dass sich „im Alter“ der Geschmack verändert. Ich glaube aber eher, dass es an den Heimatgefühlen liegt, die mit Labskaus, Grünkohl und Mockturtle verbunden sind. Von Weizenkorn und Bullenschluck natürlich ganz zu schweigen. Und Fischbrötchen, natürlich …

Aber wovon rede ich hier eigentlich? Für den unbedarften nicht-nordddeutschen Leser hier einige Erläuterungen:

Genau genommen ist eine Mockturtlesuppe eine ziemlich furchtbare Angelegenheit: Einst erfunden als billiger Ersatz für Schildkrötensuppe, sieht sie aus wie eine zu dick geratene Bratensoße mit Kleinfleisch, Brätbällen und Pilzen drin. Und so schmeckt sie auch. In meiner Kindheit gab es die Suppe immer zu Familienfeiern, mit diagonal halbiertem Toastbrot dazu. Mal zum Sattessen, mal als Vorsuppe, bevor es Würste und Kartoffelsalat gab. Oder eben bei Oma, mit extra Champignons drin als Soße zu Makkaroni. Warum es unbedingt Makkaroni sein mussten, weiß ich nicht mehr, es war einfach so und machte jedes Mal eine herrliche Schweinerei. Heute koche ich kurze Nudeln dazu, denn ich müsste die Schweinerei selber wieder wegmachen. Die Suppe kaufe ich natürlich nicht in Frankfurt, denn dort gibt es Mockturtle nur in Feinkosttempeln zu absurden Preisen. Ich importiere immer mal wieder ein paar Dosen aus Niedersachsen.

Etwa einmal im Jahr habe ich auch das – manchmal etwas zweifelhafte – Vergnügen, in unserer Kantine mit dem niedersächsischen Nationalgericht Grünkohl versorgt zu werden. Das schmeckt zwar lange nicht so lecker wie bei Muttern und ist auch beinahe vegetarisch (weil ein kleines Mettende kein Ersatz für Kassler, Pinkel, Speck und Kochwurst ist), aber es ist besser als nix.

Grünkohlvergleich

Links: Kantinengrünkohl Frankfurter Art, eigene Aufnahme. Rechts: Norddeutsches Grünkohlgericht, Aufnahme Wilfried Wittkowsky, Wikipedia Commons.

Ordentlich mit Senf nachgewürzt kann man die hessische Grünkohl-Variante durchaus essen und spürt ein wenig eingebildeten Seewind um die Nase. Ein kaltes Körnchen danach wäre natürlich schön, aber das ist in unserer Kantine nicht drin.

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Aufnahme: Knipser5, pixelio.de

Was ich leider kaum einem Hessen nahe bringen kann, ist das alte Seefahrergericht Labskaus. Das sieht zugegebenermaßen auch nicht so schön aus. Und wenn man es aus der ebenfalls importierten Dose holt, zieht einem ein aromatischer Katzenfutterduft in die Nase. Trotzdem ist der Brei aus Kartoffeln, Fleisch, Zwiebeln und – je nach Rezept und Geschmack – allerlei Beiwerk einfach lecker und mit Sauergemüse, Spiegelei und Hering (Matjes, Bismarck oder Rollmops, ganz nach Gusto) nährstoffreich genug, um einen durch einen harten Winter zu bringen. Im nächsten Inselurlaub werde ich mir das gerne mal wieder gönnen.

Ich will aber nicht verschweigen, dass es auch in meiner Wahlheimat Frankfurt einiges gibt, das ich vermissen würde, sollte ich eines Tages zurück in meinen Norden ziehen. Ich müsste dann Apfelwein importieren (weil es da oben maximal den wässrigen Blauen Bock zu kaufen gibt) und mir ein Rezept für grüne Soße mitnehmen. Oder herausfinden, ob es die irgendwo in Dosen gibt.