Der Spruch „Ich könnte die ganze Welt umarmen“ ist für mich ein Ausdruck großer Freude und Glückseligkeit. Ich gehe immer davon aus, dass der Glückliche, der so etwas von sich gibt, nicht den Planeten Erde meint, sondern die ulkigen Zweibeiner der Gattung Mensch, die dort herumhüpfen. Und dass die Umarmungswilligkeit so betont wird, sagt doch eigentlich, dass es nicht normal ist, Hans und Franz zu umarmen, nur weil sie gerade den eigenen Weg kreuzen. Oder doch?
Komische Gewohnheiten 11 – die ganze Welt umarmen
In einem früheren Beitrag habe ich mich schon über das Händeschütteln ausgelassen – ich liebe das nicht besonders. Noch viel mehr befremdet mich das Umarmen fremder oder fast fremder Personen. Ich komme ja auch aus Norddeutschland, wo man mit derartigen Zuneigungsbezeugungen eher zurückhaltend ist. Böse Zungen bezeichnen uns Nordlichter sogar als spröde. Nun, ich mag spröde Menschen.
Schon nach meinem Umzug nach Bayern musste ich lernen, dass es in anderen Landstrichen anders zugeht als zuhause und dass eine kurze Umarmung unter Freunden oder auch guten Kollegen dort sehr viel üblicher ist, als ich es gewohnt war. Also biss ich die Zähne zusammen und ließ mich drücken – es half manchmal einfach nix.
Nun lebe ich seit Jahren in Frankfurt, und da hat man sich noch viel schlimmer lieb. Und ich finde, es nimmt von Jahr zu Jahr zu. Besonders bei jungen Kollegen beobachte ich eine allgemeine Knuddelneigung, die mich manchmal fast davor zurückschrecken lässt, jemandem zum Geburtstag zu gratulieren. Von meinem eigenen Wiegenfest natürlich ganz zu schweigen: Wer einem da plötzlich alles am Hals hängt, ist erstaunlich bis erschreckend.
Für mich sind Umarmungen ein Ausdruck von Freundschaft, Zuneigung und Zusammengehörigkeit. Ich habe gar nichts dagegen, gute Freunde lange und fest zu drücken, gerade wenn ich sie eine Weile nicht gesehen habe. Und auch meine bevorzugten Kolleginnen werden umarmt, wenn sie das offensichtlich mögen und länger krank waren oder sich in einen langen Urlaub verabschieden. Eine kurze Berührung zur Begrüßung bei Kollegen, mit denen ich ab und zu mal essen gehe oder die ich gerne mag und selten sehe: Das ist für mich ein Zeichen größter Wertschätzung. Aber jeden flüchtig bekannten Menschen ohne Ansicht unseres Verhältnisses zu herzen, nur weil er oder sie wieder ein Jahr älter wird, ein Diplom bestanden hat oder uns nach einem kurzen Praktikum wieder verlässt – das ist einfach nichts für mich. Piep, piep, piep, ich hab‘ nicht alle lieb.
Schlimmer noch als die energischen Frankfurter Knuddler sind nur die Kollegen aus Frankreich. Ich erinnere mich mit Schrecken an eine Dame, die mir zwar nicht direkt unsympathisch ist, die ich aber auch nicht zu meinen Freundinnen zähle. Um mich vor der Umarmung zu drücken, eile ich jedes Mal mit weit ausgestrecktem Arm auf sie zu und will ihr die Hand schütteln, für mich in diesem Fall das kleinere Übel. Und jedes Mal lächelt sie mich charmant an, schlägt die dargebotene Hand aus und säuselt: „Oh no, I want to kiss you!“ Uaaaah! Natürlich macht sie das dann auch, zum Glück ohne Spucke, aber mit Schmatz. Schon alleine das würde mich davon abhalten, jemals nach Frankreich zu ziehen. Dann schon lieber zur alten Lisbeth nach England – die will auch nicht angefasst werden.