Voll reingesteigert oder: Das Wundermittel

Eigentlich bin ich ein ausgeglichener Mensch: meistens positiv, mit guter Laune und optimistisch. Es gibt wenig, was ich mir nicht irgendwie schön reden könnte.

Meditierender Frosch, golden

Und doch kommt es auch bei mir vor, dass ich einmal schlechte Laune habe oder nörgelig bin. Meistens hält das dann nur kurz an. Vor einigen Wochen aber habe ich mich einmal richtig genüsslich in mein Elend reinfallen lassen. Ich kam mir vor wie der bedauernswerteste Mensch der Welt. Und das kam so: Ich hatte Knie.

So ein bisschen knirschig ist mein Knie ja schon länger – das linke. Jetzt aber machte das Rechte Theater: Kurz vor dem Urlaub auf Sylt begann es anlasslos zu meutern, ignorierte meine Sanierungsbemühungen mit Voltaren, Kälte, Wärme, Bewegung und Ruhe und legte im Urlaub so richtig los. Als ich wieder zuhause war, versuchte ich es noch zwei Tage mit Ignoranz, nur um dann feststellen zu müssen, dass nichts mehr ging. Ich humpelte also zum Arzt, ächzte dort die Treppe hoch und zeigte mein dickes, teigiges Knie klagend vor. Nein, weder umgeknickt noch gestürzt. Ja, einfach so. Der Arzt tastete, bog etwas herum, murmelte etwas von „Meniskus beidseitig“. Schön, schön. Ich schlug eine Amputation vor, was er nach kurzem Zögern ablehnte, mich mit Spritzen, Reizstrom, Creme und Pillen versorgte und der Anweisung, übermorgen wiederzukommen. Na gut. Ich hatte aber noch eine Frage: „Wie lange kann sowas denn dauern? Ich möchte nächsten Samstag auf Kohlfahrt …“ Nach kurzem Überlegen und Herumrechnen bekam ich folgende Auskunft: Kann klappen, muss aber nicht.

Kohlessen mit allemIch humpelte also heim, legte den Haxen hoch, cremte, schluckte Pillen, hielt mich an alle Anweisungen. Irgendwann tat das Knie im Liegen nicht mehr weh. Meine Zweifel aber wuchsen. Kohlfahrt, das bedeutet, etwa viereinhalb Stunden rumlaufen, rumstehen, über Buckelpisten traben, Bollerwagen ziehen, komische Spiele spielen. Außerdem Anfahrt und Übernachtung. Und irgendwann stellte ich ernüchtert fest: Das wird nix. Also, so gar nicht. Ich überlegte, nicht mitzulaufen und nur zum Essen zu gehen. Aber dann hätte ich eine Zugfahrt und zwei Nächte im Hotel bezahlt, nur um den Tag alleine herumzusitzen und abends als einzige Nüchterne mit einem Haufen Besoffener Grünkohl zu essen. Nenene, das lohnt sich nicht, auch wenn mir meine Kohlfahrts-Freunde allesamt lieb und teuer sind. Ich sagte also schweren Herzens ab. Und grämte mich. Richtig muffig war ich.

Der Samstag kam und ich ging einkaufen. Das geht doch ganz prima, dachte ich, als ich die 200 Meter von der Straßenbahn zur Post humpelte. Und ich dumme Nuss hatte das Event des Jahres angesagt. Ich grämte mich noch mehr und fand mich furchtbar doof.

Nun ja: Während ich in der Post darauf wartete, mein Päckchen aufgeben zu können, stand ich bald schon wieder auf einem Bein. Und die Strecke von der Post zurück zum Wochenmarkt war auf einmal richtig lang. Schon bevor ich einkaufte, war ich im Grunde reif für die Insel, per Liegendtransport. Und ich hatte eine unglaublich schlechte Laune. So schlecht, dass ich komplett den Faden verlor und  gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich kaufen wollte. Ich erwarb also zuerst mal einen dicken Strauß Blumen – wenn das Leben schon so ungerecht ist, wollte ich es wenigstens bunt haben. Dann etwas Gemüse und ab zum Fleischstand. Ich hatte noch Grünkohl im Glas – wenn schon keine Kohlfahrt, dann wollte ich zumindest eine Portion Grünkohl essen. Rippchen wollte ich dazu, das ist das, was mir im pinkelfreien Hessen am ehesten zum Kohl schmeckt. Die Verkäuferin zeigte mit dem Messer – so viel? Ne, mehr. Noch mehr! Wenn ich muffig bin, neige ich zum Frustfressen. Daher kam mir die Idee, dass ich nicht nur Brötchen, sondern auch dringend noch ein Stück Kuchen bräuchte. Ich stellte mich am Bäckerwagen an und besah die Auslage: Bestimmt fünf Sorten Kuchen, die ich sehr liebe. Ich war unentschlossen. Sollte ich einfach alle kaufen? Die Schlange rückte etwas vor. Der Mann vor mir kaufte zwei dicke Scheiben Marmorkuchen. Wie man das dröge Zeug essen kann, wenn es auch anderes gibt, ist mir seit jeher ein Rätsel. Und dann war ich dran. Noch immer mürrisch und irgendwie blöd im Kopf war ich nach wie vor unentschlossen. Und so bestellte ich das, was mir als erstes einfiel: Zwei Kürbiskernbrötchen und ein Stück Marmorkuchen, bitte.

Zuhause packte ich meine Schätze aus und fror erst mal zwei Drittel vom Rippchen ein. Den ollen Marmorkuchen schmiss ich in den Schrank. Dann frühstückte ich und gab mich meinem Elend hin: Ich guckte „Der Landarzt“. Was soll man sonst auch machen, wenn man so doll krank ist?

Marmorkuchen mit EierlikörDie Kohlfahrer schickten erste Fotos: Man traf sich, endlich mal alle wieder beisammen, ach ist das schön. Ich gönnte es ihnen und suhlte mich in Selbstmitleid. Das ging so lange, bis ich beschloss, dass es Teezeit sei. Übellaunig kochte ich eine Kanne Sonntagstee – wenn schon, denn schon, und knallte den dicken Klafter Marmorkuchen auf einen Teller. Da lag er nun und grinste trocken. Und aus einer Laune heraus nahm ich ihn vom Kuchenteller runter und schmiss ihn in einen Suppenteller, wo ich ihn mit einer dicken Schicht breiigem Eierlikör bedeckte. Den ließ ich ein Viertelstündchen einwirken und schnabulierte dann meinen Kuchen. Tatsächlich – es half. Nach diesem exquisiten Dessert ging es meiner Laune deutlich besser. Das müssen die Gene meines Vaters sein: Der war früher auch immer total happy, wenn er sein Nachtisch-Eis in reichlich Eierlikör ertränken konnte. Und das sogar ohne entzündetes Knie.

Nachtrag: Dem Knie geht es inzwischen besser, aber das war ein hartes Stück Arbeit. Es knurzelt noch. Gestern bin ich aber zum ersten Mal wieder richtig „zweibeinig“ anstatt im Oma-Schritt eine Treppe hochgelaufen. Folglich habe ich die Hoffnung, dass ich diese Malaise überleben werden. Und das ist gut so – ich habe nämlich nicht mehr viel Eierlikör.

Kohlfahrtszeit ist Regenzeit

Es ist ja schon verrückt, dass man solch eine norddeutsche Kulturveranstaltung wie die traditionelle Kohlfahrt immer gerade in der kalten Jahreszeit machen muss. Allerdings hatten wir bislang – und das sind über 30 Jahre – erst selten richtige Regenkohlfahrten. Nun, der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht …

Angekündigt waren ein paar Schauer. Gut, damit kann man leben. Ausgerüstet mit guten Jacken, Schirmen und festem Schuhwerk macht einem echten Kohlfahrer so ein kleiner Schauer nichts aus. Aber was tut man, wenn aus den vereinzelten Schauern ein stundenlanges Gepladder wird? Nun, man macht … das Gleiche wie sonst auch. Laufen, trinken und komische Spiele spielen. Außerdem haben wir in diesem Jahr die Schirmkröte erfunden, eine Mensch- und Materialformation, bei der man sich zusammendrängelt (die Kleinen in die Mitte) und mithilfe der Schirme so viel Schutz wie möglich aufbaut, damit der Schnaps nicht mehr als nötig verwässert.

Geboßelt wurde natürlich auch, das gehört bei uns ja dazu. Das verlief dieses Mal recht unspektakulär, keiner fiel in den Graben, und auch die Kugel war nie zu matschig, weil man sie immer in einer Pfütze waschen konnte. Wir hatten jedoch das Glück, beim Suchen nach der Kugel mit dem Kraber in einem Graben  einen wohl mal vom Winde verwehten Herrenhut zu finden – ein erstaunlich gut erhaltenes Stück, das von Ute in einer klaren Pfütze gewaschen wurde und dann zum „Trocknen“ auf dem Bollerwagen befestigt wurde. Der Hut würde später am Tag noch richtig zu Ehren kommen.

Ich gehe ja immer gerne mit diesen alten Freunden auf Tour, aber an Tagen wie diesen mag ich meine Leute besonders gerne. Denn trotz des fiesen Wetters war die Laune hervorragend. Keiner mopperte herum, keiner gab den Piesepampel oder musste abgeholt werden. Aus irgendeinem verrückten Grund waren wir sogar länger draußen als sonst, gerade so als könnten wir gar nicht genug bekommen von nassen Füßen und kaputten Schirmen. Der eine oder andere der kleinen Helfer gab nämlich unterwegs den Geist auf – meiner auch. Es ist halt manchmal etwas windig in der norddeutschen Tiefebene …

Und ab und an, ganz selten, hörte es sogar mal auf zu regnen. Immer so für einige Minuten, gerade lange genug, dass wir unsere Schirme zugeklappt und im Bollerwagen verstaut haben. Und dann sah meine klatschnasse Heimat richtig schön aus:

Es war also mal wieder richtig gelungen – allen Wassermassen zum Trotz. Unsere Kohlkönigin hatte die Tour liebevoll organisiert und für den erkrankten Kohlkönig übernahm ein Erstzkönig, der sich den ganzen Nachmittag lautstark immer wieder für irgendwas entschuldigte: „Ich bin hier nur die Aushilfe!“ Ein neues Königspaar wurde auch gefunden und dabei – das muss noch gesagt werden – kam der olle Hut nochmal richtig zur Geltung: Das zweite Strickschwein, früher das Zepter des Königs, ging nämlich verloren, sodass nun der nasse Filzhut als Krönungsutensil herhalten musste. Nun ja – empfindlich darf man bei uns nicht sein, wenn man regieren will 🙂

Zu guter Letzt noch einen großen Dank an Sandra und Harry für die Organisation, Michael für die selbstlose Übernahme des Amten und an Günter und Anita, die uns am Futterstand mit heißen Getränken, Brot, Käse und Wurst versorgten. Was wären wir gewesen ohne euch – nichts weiter als ein Trüppchen begossener Pudel!

Alle Jahre wieder …

Die Aufgabe im Schreibworkshop war, über eine besondere Essenseinladung zu schreiben. Und ja, was soll ich sagen – man schreibt ja am liebsten über was Bekanntes 😊 Alle Personen sind jedoch erfunden.

Alle Jahre wieder

Es war mal wieder soweit: Die Majestäten hatten geladen und das Volk war gekommen. Schon im Oktober hatten die hochwohlgeborene Königin Monika die Zweite sowie König Kai-Uwe zum Vierten zur jährlichen Kohlfahrt aufgerufen, anzutreten am 14. Tage des Monats Februar anno 20XX, und zwar pünktlich zum zweiten Glockenschlage an der Kirche zu Niederdingensdorf.

Und so trafen sie sich, in warmer Kleidung und mit festen Schuhen, versammelten sich um den wie immer gut gefüllten Bollerwagen und begrüßten stürmisch jeden Neuankömmling. Als auch Hanno und Silke, traditionell die Letzten, endlich eingetroffen waren, hatten die anderen schon zwei Schnäpse intus und waren bester Laune. Zum Anwärmen noch schnell einmal anstoßen, im Gläschen Korn oder was Buntes, und los ging der Marsch durch die norddeutsche Tiefebene.

Hier machten wir im Jahr 2016 Rast. Ob diese Ecke schon immer so heißt oder ob der Name der sympathischen Figur aus Büttenwader entlehnt ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, Brakelmann aka Jan Fedder hat diese Widmung verdient.

Hanno zog gemeinsam mit Arnd den Wagen. Dabei wurde geplaudert: Beruf, Kinder, Haus, und was machte die neue Gartenhütte? Dahinter Silke, Monika und Ulf, die sich darüber unterhielten, was für ein Gedöns es doch inzwischen war, wenn die Kinder auf das Gymnasium gehen sollten. Das war doch früher alles einfacher, fanden sie, als sie damals zur Schule gingen. Dieses Damals war inzwischen über 30 Jahre her.

Da, eine Ecke! An Ecken wurde pflichtgemäß und traditionell angehalten und einer getrunken. Vielleicht auch zwei, schließlich war es noch früh am Tag, wie Andi erklärte, der einschenkte. Und dann bildeten sie Mannschaften, denn es sollte geboßelt werden. Die Roten sollten gegen die Blauen spielen – erste Kampfansagen flogen über den Feldweg hin und her.

Keiner von ihnen war des Boßelns wirklich mächtig. Sie rollten die schweren Kugeln einfach nach Gutdünken durch die Gegend und machten die mangelnden Fähigkeiten durch viel Geschrei wett. Am Ende einer jeden Runde bekamen die Gewinner einen Schnaps. Die Verlierer natürlich auch, schließlich sollte keiner traurig sein.

Weiter ging es, Strecke schaffen. Schließlich sollte man spätestens um sieben am Lokal sein, um Grünkohl mit Kassler und Pinkel zu essen. Das Königspaar wurde schon etwas nervös, heute waren die Untertanen wirklich langsam unterwegs. Da nützte es auch nichts, dass eine längere gerade Strecke vor ihnen lag, denn für derartige Notsituationen hatte Christoph ihnen schon vor Jahren eine künstliche Ecke gebaut. Die konnte man überall aufstellen und den Eckenschnaps einfordern. Das taten sie ausgiebig.

Ein weiteres Spiel stand an: Teebeutelweitwurf. Dabei tat sich wie immer der lange Simon hervor, denn der Beutel musste mit dem Mund geworfen werden und dabei ist jemand, der zwei Meter vier groß ist, einfach im Vorteil. Ein Sonderschnaps ging jedoch an Hanno, der es fertiggebracht hatte, seinen Beutel über die Schulter nach hinten zu werfen und so seine Mannschaft um den schon sicher geglaubten Sieg brachte.

Grünkohlteller – hier in der Frankfurter Kantinen-Version. Naja – geht so. Besser als nix.

Auch das wenig später durchgeführte Besenwerfen verlor Hannos Team deutlich, was vor allem daran lag, dass Monika den langen Simon, den besten Werfer der Blauen, mit dem Besen ins Gemächt traf. Sie holte ihn durch einen unkoordinierten Rückstoß mit dem Wurfgerät tatsächlich von den Füßen. Simon wurde mit Hilfe von rotem Genever wiederbelebt und die Blauen kurzerhand zum Sieger dieser Runde erklärt.

Es wurde allmählich dunkel, die Gruppe lief endlich etwas schneller. Das war immer so, irgendwann rannte die Gruppe beinahe, gerade so wie Pferde, die den Stall witterten. Schließlich wurde es auch kalt und der Gedanke an warme Suppe lockte. Doch ein Spiel gab es noch, die Gurkenstaffel, die war doch immer so lustig! Im Licht einer Straßenlaterne hoppelten sie also um zwei leere Kornbuddeln, der Bankdirektor fiel dabei über die Zahnärztin in eine Pfütze und Marion platzte während der Übergabe des Gemüses an Bernd die Hose. Was für eine Gaudi!

Weiterlaufen, weiterlaufen – fast konnten sie das Essen schon riechen. Doch dann klingelte Silkes Handy. Es war Hanno. Der war nach der Gurkenstaffel mal kurz im Gebüsch gewesen und dann versehentlich hinter einer falschen Kohlfahrtsgruppe hergelaufen – immer dem Blinklicht am Bollerwagen hinterher. Nun stand er dort, mit 17 Leuten, die er nicht kannte, die ihn aber kameradschaftlich aufgenommen und mit Schnaps versorgt hatten. Man schickte also eine Delegation los, ausgerüstet mit einer Taschenlampe und zwei Flaschen Hochprozentigem, um Freundschaft zu schließen, den Verschollenen auszulösen und heimzuholen. Der Rest der Gruppe trank derweil Reste aus Flaschen und sprach über die ernsten Dinge des Lebens.

Viertel vor sieben trafen sie endlich im Lokal ein: müde, kalt, schmutzig und zufrieden begannen die, die noch essen konnten, mit der Suppe. Die anderen schliefen oder bevölkerten die Sanitäranlagen. Kohl und Nachtisch wurden ebenfalls verputzt, es wurde noch ein wenig geredet und die meisten tranken Wasser. Dann wurde gemäß der geheimen Riten ein neues Kohlkönigspaar gekrönt. Morgen würde den meisten von ihnen schlecht sein und sie würden sich einig sein: Schön war’s, wie immer.

Die Insignien der Macht – hier: die der Kohlkönigin

Kohlfahrt 2018 – so schön kann Winter sein

Es war mal wieder Kohlfahrtszeit – gestern wanderten wir los. Es war eisig kalt, aber trotzdem unglaublich schön. Denn gegen Kälte kann man sich anziehen.

Und das taten wir auch: Tatsächlich trat keiner den Weg ohne Mütze an, und von Anfang an wurde eifrig verglichen, was man sich alles angezogen hatte, um warm zu bleiben. Mütze, Schal und Handschuhe natürlich, warme, winddichte Jacken und lange Unterbuxen, von denen mindestens eine sogar zwei trug.

Wir liefen los in Tungeln, direkt an der Hunte. Hier konnte man wirklich schön laufen, allerdings sorgte der Weg auf dem Deich dafür, dass wir so richtig viel Wind abbekamen. Trotz Mütze vermeldete mein linkes Ohr irgendwann Kältealarm, so dass die Kaputze noch oben drüber kam. Erst, als wir den Deich verließen, wurden wir nicht mehr so stark verblasen.

Hunte bei Tungeln

Doch die leicht erhobene Position oben auf dem Deich hatte auch etwas Gutes: Der Blick war wirklich sehr schön. Das lag natürlich auch daran, dass keinerlei Häuser oder Straßen dort im Weg sind. Es gibt dort einfach viel „Gegend“. Geboßelt haben wir allerdings dieses Mal nicht: Die Kugeln wären doch gar zu leicht in der Hunte verschwunden, zumal wir den Kraber zum Herausangeln der Sportgeräte vergessen hatten.

Hunte bei Tungeln

Statt dessen wurde auf einer kugelabsturzsicheren Brücke gekegelt und es gab eine neue, abgefahrene Schnapsleiste mit blinkenden Bechern. Auch unsere mobile Ecke, die es uns ermöglicht, auf völlig gerader Strecke eine der sonst traditionell nur an Ecken oder Kuven stattfindende Schnapspause einzulegen, fehlte nicht. So modern waren wir wahrscheinlich noch nie unterwegs.

Trotzdem wirkte unser Bollerwagen, wenngleich üppig bestückt wie immer, fast bescheiden gegen einige der Profigefährte mit Musik und Zapfanlage, die uns dieses Mal begegneten. Denn es waren unzählige Kohlfahrtsgruppen unterwegs an diesem eisigen Wochenende und die Ausstattung war sehr unterschiedlich.

Profi-Bollerwagen, Kohlfahrt

Bei uns wird der Schnappes nach wie vor von Hand eingeschenkt, was dieses Mal bei dem Wind gar nicht so einfach war: Manchmal machte der Schnaps sich selbständig und schlackerte statt ins Glas über die Klamotten des durstigen Kohlfahrers. Selbst die Schnapsausgießer verweigerten bei der Kälte teilweise den Dienst und fielen einfach von der Flasche, was allgemein für Heiterkeit sorgte – wie gut, dass unsere Leute nicht pingelig sind. Auch Musik brauchen wir für unsere Touren nicht, denn wir machen schon so genug Krach.

Kohlfahrt, Bollerwagen

Wir hatten eine tolle Zeit und nutzten die letzten Sonnenstrahlen noch aus, bevor wir an unserem Lokal ankamen. Auch das war gut ausgesucht. Ich sprach wieder sehr der heißen Suppe zu, die konnte man nach viereinhalb Stunden draußen wirklich gut gebrauchen.

Und ich genoss es, noch einige Zeit mit meinen alten Freunden zusammenzusitzen. Diese jährliche Kohlpartie ist immer eines der Highlights meines Jahres – und ich freue mich schon jetzt auf das nächste Mal.

Danke, lieber Wettergott!

Es war mal wieder soweit: Die jährliche Kohlfahrt stand an. Natürlich wie immer in der norddeutschen Tiefebene, und wie immer in dieser eigentlich ungeeigneten, unwirtlichen Jahreszeit.

Die Insignien der Macht – aller Ruhm dem Königspaar

Wie im letzten Jahr schon berichtet, trug ich dieses Mal schwer an der Königinnenwürde. Man hatte mir die Insignien der Macht verliehen, ebenso wie meinem König Martin, und nun mussten wir liefern. Eigentlich ist sowas ja auch gar nicht so schwierig: Ein Kohlkönigspaar hat die Aufgabe, für die Organisation der Tour zu sorgen. Für alle die, die noch niemals einer Kohlregierung angehörten, schreibe ich hier mal auf, was alles dazu gehört (schließlich hat Meikes bunte Welt ja auch einen Bildungsauftrag!):

  • Termin finden
  • Teilnehmer anschreiben und einladen
  • Geld eintreiben
  • Lokal aussuchen und buchen
  • Treffpunkt ausgucken
  • Strecke vom Treffpunkt zum Lokal ausgucken
  • Wenn gewünscht, Pausenstand organisieren (damit keiner unterwegs verhungert)
  • Bollerwagen ausleihen (ist bei uns einfach, den bringt Harry mit)
  • Boßelkugeln ausleihen (wie oben, bringt Michael mit)
  • Einkauf organisieren:
    • Alkoholbedarf kalkulieren
    • Futter für Pausenstand kalkulieren
    • Sonstiges Gedöns auf die Einkaufsliste setzen: Knabberkram, Küchenrolle, Pappbecher …
    • alles einkaufen und ranschleppen (hat dieses Jahr der gute Martin gemacht!)
  • weitere Spiele überlegen
  • Überlegungen für die nachfolgende Legislaturperiode treffen: Wer könnte oder sollte das Amt übernehmen?
  • Initiationsriten festlegen

Royales Boßelengagement

Und dann, wenn es soweit ist, natürlich die Meute anführen, dafür sorgen, dass alle immer zu trinken haben und keiner verloren geht. Zum Glück helfen bei diesen Aufgaben immer alle mit.

Eines aber wird gerne mal vergessen, und dabei ist das fast das Wichtigste: Die Organisation des passenden Wetters. Wir sind nicht anspruchsvoll, gerne darf es winterlich sein, aber es sollte zumindest nicht schütten. In diesem Jahr ließ es sich schwierig an: Als ich am Freitag mit der ewigen Antje in Oldenburg ankam und mit ihr ein wenig shoppen ging, pinkelte es – mal wieder. Oldenburg im Regen ist der tristeste Ort der Welt – grau ist gar kein Ausdruck. Doch unsere Verbindungen zu einer höheren Macht erwiesen sich als krisenfest, am Samstag bekamen wir das:

Fast war es ein wenig zu warm, doch ich will nicht klagen. Wir hatten es nicht nur trocken, sondern so sonnig, dass von den gartenverrückten Norddeutschen schon die ersten im Vorgarten herumwühlten – unter anderem eine Dame von 86 Jahren, die so lange mit unseren Jungs herumflirtete, bis sie ihr Schnäpschen bekam. Bei so viel Fleiß ist es ihr zu wünschen, dass noch weitere Kohlfahrer vorbeigekommen sein mögen.

Das Wetter hielt, die Stimmung auch, und so kann ich wieder nur sagen: „Schön war’s!“ Die royale Macht ging auf Anja und Nils über, wo sie sicherlich in guten Händen ist und ich freue mich schon auf’s nächste Jahr.

Abendstimmung

Spiel, Schnaps, Spaß, Schlamm

Schlammbäder oder auch Schlammpackungen sollen ja durchaus heilende Wirkungen haben, und auch als Peeling soll Matsche sich schon bewährt haben. Trotzdem laufe ich lieber auf trockenem Grund. Deshalb hatte ich keine Hemmungen, auf der diesjährigen Kohlfahrt den für die Strecke verantwortlichen Kohlkönig tüchtig zu mobben. Hatte er doch eine viel zu lange Strecke ausgesucht – wir mussten richtig marschieren, anstatt wie sonst müßig herumzubummeln – und uns zum Abschluss auch noch rund einen Kilometer Survivaltraining beschert: gefühlt knietiefer Matsch, und das natürlich im Dunklen. Grund genug, ihn kräftig auszuschimpfen.

Die unendlichen Weiten Nordwestdeutschlands

Trotz oder vielleicht gerade aufgrund dieser Widrigkeiten war die diesjährige Kohlfahrt besonders schön. Volle 22 liebe Leute kamen zusammen, es gab genug Getränke und unterwegs leckere Hackepeterstullen. Wieder einmal wurde mir bewusst, was für ein Glück ich habe, dass ich so viele gute alte Freunde habe. Kaum vorstellbar, wie es den vielen Leuten geht, die in diesen Tagen zu uns kommen und die nichts und niemanden mehr haben. Mein Leben dagegen ist reich und ich fühle mich zugehörig – das wird mir zu solchen Gelegenheiten immer wieder sehr bewusst.

Wieder einmal waren wir kindlich albern und zu allem Blödsinn bereit. Es wurde geboßelt – aber nur kurz, denn wir hatten nicht viel Zeit. Da ich schlecht wie selten boßelte, war das vielleicht sogar ganz gut. Ich bin in diesem seltsamen Sport nie gut, aber dieses Mal musste ich fast aufpassen, dass ich mit der Kugel nicht meine eigene Mannschaft umkegle. Wahrscheinlich hatte ich noch nicht genügend Zielwasser gehabt.

Straßenboßeln – der sonderbare Heimatsport

Weitere Spiele verkniffen wir uns dieses Mal: wir mussten Strecke schaffen. Schließlich lauerte am Ende noch der Matschedamm. Der führte bei einigen zur Verwirrung und beinahe hätten wir einige unserer Schäfchen unterwegs verloren. Man traut seinen Augen kaum, wenn man beim Durchzählen feststellt, dass da, wo eigentlich 21 stehen und Schnaps trinken sollten, plötzlich nur noch 14 stehen – und wenn das auch trotz mehrmaligem Zählen nicht mehr werden. Ein eiligst losgeschickter Suchtrupp, bestehend aus Sandra und Nils, trieb jedoch alle verlorenen Schafe ans rettende Ufer und führte sie sicher dem Grünkohl entgegen.

These Boots are made for walking – und irgendwann putze ich sie auch

Überhaupt, der Grünkohl – das ist ja so eine Sache: Bei uns gibt es immer ein Menü, bestehend aus Hochzeitssuppe, Grünkohl mit Beiwerk und Nachtisch. Früher haben Suppe und Nachtisch mich überhaupt nicht interessiert, das verstopfte nur meinen Magen. Inzwischen bin ich ein echter Suppenkasper geworden und könnte auf alles andere verzichten – ich ginge auch auf Suppentour. Seltsam, wie sich der Geschmack ändert. Die Suppe war in der Gaststätte Salzendeich übrigens exzellent, so dass ich fast satt war, als der Kohl kam.

Zu erwähnen ist noch, dass ich in diesem Jahr Kohlkönigin wurde, gemeinsam mit dem netten König Martin. Wir beiden haben die große Ehre, das nächste Mal die Tour zu organisieren. Da Martin aus Hamburg kommt, werde ich die Strecke vorbereiten müssen – da muss ich mir wohl richtig Mühe geben. Nicht zu kurz darf sie sein und nicht zu lang, und auf jeden Fall trocken muss sie sein. Sonst zahlt mir der letztjährige Kohlkönig gewiss die Matsch-Mobberei heim, und das möchte ich ganz bestimmt nicht.

Die Insignien der Macht – aller Ruhm dem Königspaar

Bollerwagen reloaded

Für Hergen (den Bollerwagenterminator) und all die anderen

Nächstes Wochenende ist es soweit: die Kohlfahrt 2016 startet. Ich weiß inzwischen, dass die meisten meiner alten Freunde dabei sein können und auch die ewige Antje aus Frankfurt wagt den Schritt in die norddeutsche Tiefebene, um sich an diesem Kulturgut zu versuchen.

Und in der Tat ist eine Kohl-tour auch Kul-tur. Nicht nur wegen der traditionellen Spiele, mit denen wir uns dort vergnügen, nicht wegen des gutbürgerlichen Essens oder dem ritualisierten Trinken von geistigen Getränken. Sondern auch wegen dem traditionellen Erbe, das wir inzwischen pflegen: unsere ureigenen Riten und Gebräuche. Die alten Geschichten, die wieder und wieder erzählt und aufgerührt werden. Das „Wisst ihr noch“, das manchem inzwischen zu den Ohren rauskommt, aber doch dazugehört wie die Boßelkugeln und das Gläschen am Band.

Da geht es um die Geschichte von dem Bollerwagen, der sich trotz ausgeprägtem Flachland selbstständig machte und in einen Graben rollte. Der war zum Glück zugefroren, sonst hätten wir unsere Habe aus tiefstem Matsch bergen müssen. Die abgebrochene Deichsel war zu reparieren, doch dem Unglücksvogel, der den Wagen dort hineingesteuert hat, wird diese Tatsache Jahr für Jahr wieder auf’s Brot geschmiert. Es geht auch um den verlorenen Kohlfahrer, der in der Dämmerung hinter einem Gebüsch verschwunden war, nach der Verrichtunng des Geschäfts einer falschen Kohlfahrt hinterherrannte und seinen Irrtum erst bei der nächsten Schnapspause bemerkte – weil er nämlich niemanden der Leute kannte, mit denen er dort trinken wollte. Gut, dass es inzwischen Handys gibt: Die erleichtern in so einem Falle die Familienzusammenführung ungemein.

Es geht in den Geschichten auch um Leute aus der Vergangenheit, die uns auf unser Kohlfahrt begegneten, ein paar Mal dabei waren und wieder verschwanden. „Erinnerst du dich an…“, und dann die Frage, wer den oder die nochmal mitgebracht hatte – ein weites Feld. Immerhin gehen wir seit über 25 Jahren miteinander los, da hat sich in unseren Leben viel getan. Menschen kamen und gingen, doch der harte Kern blieb erhalten. Und darüber freue ich mich, weil ich wirklich jeden aus diesem harten Kern furchtbar gut leiden kann.

Ich freue mich auf Samstag!

Kohlfahrt, Besenwerfen

Meike auf Kohlfahrt beim Besenwerfen. Diesen Actionfoto entstand irgendwann Anfang der 90er Jahre

Sinn und Unsinn der Sinnfreiheit

Boßel, Kraber, Klootsucher

Herausgefischt: Ein Boßel, unser bevorzugtes Sportgerät

Ich habe nachgedacht – manchmal mache ich so was. Es war die diesjährige Kohlfahrt, die mich ins Grübeln brachte. Nicht etwa, weil sie mir nicht gefallen hätte oder weil irgendetwas nicht richtig gewesen wären. Nein, im Gegenteil, es war alles perfekt: Das Wetter war schön, die Stimmung ausgezeichnet. Die Tour war prima organisiert, der Schnaps hat gereicht, das Lokal war gut. Ein sehr erfahrenes Kohlkönigspaar hat alles richtig gemacht. Und selbst ich als jemand, die immer oft auf die Uhr guckt, vergaß die Zeit und sah zum ersten Mal nach über zwei Stunden nach, wie spät es war. Ein größeres Kompliment kann man einer Veranstaltung kaum machen. Was also brachte mich derartig zum Nachdenken? Nun, es ist einfach die Frage, was uns dazu treibt, Jahr für Jahr einen solchen Unsinn zu machen.

„Das ist komplett sinnfrei“, sagte vor einigen Jahren Silvia D., die damals erstmals mit uns auf Kohlfahrt war. „Es ist sinnfrei, aber wenn man aufhört, nach dem Sinn zu suchen, macht es Spaß.“ Silvia ist eine der Freundinnen, mit denen ich auch schon auf einer Prunksitzung war – das fanden die sinnvoll. Meine Karnevalsweiber finden einen Sinn im Männerballett, nicht aber in einer Kohlfahrt. Sollte mir das zu denken geben?

Auch ich fragte mich heute, warum wir das tun: Was bring uns dazu, im kalten Winter durch die ländlichsten Ecken der norddeutschen Tiefebene zu latschen und dabei einen voll beladenen Bollerwagen hinter uns herzuschleppen? Besonders, wenn es regnet, ist eine Kohlpartie eine kalte Angelegenheit. Die meisten von uns haben ein Auto, man könnte die Strecke auch deutlich komfortabler bewältigen.

Manch einer mag behaupten, dass es der Alkohol ist, der uns auf das platte Land zieht, doch auch den Schnaps könnte man in irgendeinem Wohnzimmer bequemer trinken. Dann könnte man dabei sitzen, und wäre hinterher nicht so bekleckert. Wir sitzen nicht auf unserer Kohlfahrt, wir wandern und sind dabei sportlich, oder das, was wir dafür halten. Und da wird es richtig interessant: Warum kämpfen Leute, die im täglichen Leben ganz normale, unauffällige Menschen sind, unter vollem Körpereinsatz und lautem Gejohle um deutlich weniger als die goldene Ananas? Warum rutschen Lehrer, die ihren Schülern ein Vorbild sein sollten, fast im Schlamm aus bei dem Versuch, eine Kugel möglichst weit über einen Feldweg zu rollen? Wieso stopfen sich Menschen, die in Steuerbüros oder Ämtern arbeiten, Teebeutel in den Mund, um diese durch ruckartige Bewegungen des Oberkörpers möglichst weit zu werfen? Nicht vergessen darf man dabei die eingehenden Diskussionen um die richtige Wurftechnik und darüber, ob ein nasser Beutel besser fliegt als ein trockener (nebenbei bemerkt: Gerade bei Gegenwind hat ein nasser Teebeutel deutlich bessere Flugeigenschaften als ein trockener). Wie kommen Programmierer oder Juristen auf die Idee, irgendwelches Wurfgerät – seien es Gummistiefel, Besen, Toilettenbürsten oder sonstige Utensilien mit möglichst schlechten Flugeigenschaften – in die idyllische Landschaft zu schleudern? Und was bringt einen bibliophilen Physiker dazu, mit einer kleinen Gurke zwischen den Knien um einen Restauranttisch zu hoppeln und dabei vor lauter Eifer lang hinzuschlagen? All das kann doch keine Vernunftgründe haben. Aber warum macht man so was sonst?

Die meisten meiner Kohlfahrtsbegleiter kenne ich seit sehr vielen Jahren, einige treffe ich inzwischen leider nur noch selten. Doch auch neue Mitglieder sind bei uns willkommen und wachsen schnell in unsere ganz speziellen Kohlfahrtsgewohnheiten hinein. Die Gruppe ist sympathisch, ich fühle mich wohl, wenn ich mit dieser bunten Horde über Land ziehe. Trotzdem könnte man das Gemeinschaftsgefühl natürlich auch haben, ohne sich komplett zum Affen zu machen: Man könnte sich zum Grillen treffen, pflichtgemäß Bier und Korn zu sich nehmen und sich der gepflegten Unterhaltung hingeben. Oder man könnten Silvester miteinander verbringen, Raclette essen, ein paar Stunden kniffeln und nach dem Feuerwerk wieder gehen, ohne eine matschige Hose und eine klebrige Jacke zu bekommen. Dann müsste man auch nicht draußen pieseln und bräuchte nicht immer Angst zu haben, dass man den geliehenen Bollerwagen versehentlich in den Graben fährt. Es gibt in der Tat viele Gründe, keine Kohlfahrt zu machen.

All diese Gründe berücksichtigen jedoch nicht den Spaß, den man hat, wenn man jegliche Zurückhaltung fahren lässt und sich einen Nachmittag im Kreis guter Freunde völlig ungehemmt dem Blödsinn hingibt. Der setzt Glückshormone frei, und das ist gesund. Es macht Spaß, einem anderen mit dem Kraber die schlammbedeckte Boßelkugel hinzuhalten und zu sagen: „Du bist dran.“ Es macht Spaß, beim Spielen zu gewinnen, wenn die Siegermannschaft zur Belohnung einen Schnaps bekommt und die Verlierer generös dazu einlädt. Genauso schön ist es, beim Spielen zu verlieren, wenn man dann zur Strafe einen trinken muss und weiß, dass die Gewinner aus Solidarität einen mittrinken. Und es macht Spaß, um die Kohlkönigswürde zu kämpfen, auch wenn die Regeln dabei zumeist undurchschaubar sind und die „Gewinner“ von vorneherein feststehen – weil es nämlich irgendwie doch gerecht zugeht und jeder mal drankommen soll.

Genau dieser sinnlose Spaß ist es, der mir in meinem erwachsenen Alltag manchmal fehlt und den ich einfach zwischendurch mal brauche. Ich nehme an, dass es auch meinen Freunden so geht. Und auch die beiden Polizisten, die uns auf einem schmalen Feldweg im Streifenwagen entgegenfuhren, wussten offensichtlich, um was es bei einer Kohlfahrt geht: Sie blieben stehen, machten die blaue Festbeleuchtung an und schalteten den Lautsprecher ein – extra für uns. „Atemlos“ plärrte es über die Felder, alle freuten sich, winkten und hatten einfach nur Spaß.

Zwischen Oldenburg und Wesermarsch 2 – hinter dem Deich

Unsere diesjährige Kohlfahrt begann am äußeren Zipfel von Oldenburg, direkt am Huntedeich. Wir trafen uns an einer Wiese mit einigen Ziegen und einem leicht bissigen Esel, dem es Freude machte, meine Jacke zu bespeicheln. Ich nahm ihm das nicht übel – zu gut war meine Laune an diesem wunderbaren Tag.

Hinter dem Deich bei Bornhorst

Wir liefen los in Richtung des Bornhorster Sees, oder besser gesagt, der Bornhorster Seen, die in einem erstaunlichen Blau zwischen den Bäumen hervorsahen. In diesen Seen war ich früher manchmal schwimmen, jetzt badet hier im Sommer mein Neffe.

Bornhorster See

Diese knorrige Kiefer ist viel größer als die Büsche und Bäume drum herum. Auf mich machte dieser Baum einen altehrwürdigen Eindruck. Im Vordergrund: ein Schattenselfie der Kohlfahrtsgesellschaft.

Die Gegend rund um Bornhorst ist sehr wasserreich, was zu schönen Moorbbildern führt. In diesem Jahr war es seit Weihnachten besonders feucht.

Tümpel im Moor

Dieser Baum, der sich tapfer in einem Moortümpel emporreckt, gefiel mir einschließlich seines Spiegelbildes sehr.

Bei wirklich schönem Wetter waren wir lange draußen, es war längst dunkel, als wir das Lokal erreichten.Die Dämmerung war kurz, aber schön.

Alles in allem war es eine sehr schöne Tour in ansprechender Landschaft. Die Farben waren im Winterlicht so schön, dass es fast schon kitschig war. Hat Spaß gemacht 🙂

Kohlfahrt

Das Gute zuerst: Ich habe meine Gallen-OP wider Erwarten überlebt und bin inzwischen wieder zuhause, wo ich etwas müde auf dem Sofa herumlungere. Alles gut soweit. Schlecht ist heute lediglich, dass die diesjährige Kohlfahrt, die ich sonst einmal im Jahr mit meinen lieben Freunden in der Nähe von Oldenburg mache, dieses Mal ohne mich stattfinden musste. Nämlich heute.

Kohlfahrt – 2014 leider ohne mich

Der eine oder andere Nicht-Eingeweihte wird sich vermutlich fragen, was eine Kohlfahrt eigentlich ist. Nun, da muss ich etwas weiter ausholen: Denn eine Kohlfahrt ist eine traditionelle Veranstaltung, also eine Art Kulturgut. Wobei sensible Feingeister diese Art von Kultur wohl eher als Unkultur abqualifizieren würden. Dabei ist es eigentlich ganz harmlos.

Bollerwagen

Bollerwagen mit Leichtlaufrädern, gebaut und verliehen von Günter. Man beachte die praktischen Halterungen für die Schnapsleiste sowie die Deko-Grünkohlstrünke.

Im Grunde ist eine Kohlfahrt nichts weiter als ein längerer Spaziergang mit Freunden, Kollegen oder Clubmitgliedern mit dem Ziel, in einer zuvor gebuchten Lokalität Hausmannskost zu sich zu nehmen. Dieser Ausflug findet im Winter statt, denn gegessen wird Grünkohl, und der muss Frost gehabt haben, hat also in den Wintermonaten Saison. Man trifft sich am frühen Nachmittag, so dass vor Einbrechen der Dunkelheit ausreichend Zeit für die Wanderung und weitere körperliche Ertüchtigung bleibt. Gelaufen wird zumeist etwas abseits der Hauptstraßen, einfach weil es schöner ist und man dann mehr Gelegenheit für Sport, Spiel und angemessene Pausen hat. Und weil man in Norddeutschland ist, gibt es an geistigen Getränken, soviel wie eben reingeht. Traditionell wird an jeder Ecke oder Kurve ein Schnäpschen getrunken, das kann aber durchaus flexibel gehandhabt werden. Hauptsache, ein jeder hat daran gedacht, sich ein Band mit einem Gläschen dran um den Hals zu hängen. In der Regel klappt das, und für den Fall der Fälle hat ein umsichtiges Kohlkönigspaar immer ein paar Ersatzgläschen dabei. Was ein Königspaar ist, erläutere ich später noch, denn das ist gar nicht unwichtig. Und wenn jemand aus irgendeinem Grund keinen Alkohol möchte, ist das auch okay, man darf auch Alkoholfreies ins Gläschen gießen.

Nun aber genug der Theorie. In der Praxis treffe ich mich einmal im Jahr mit wirklich guten, langjährigen Freunden zur Kohlfahrt. Wir betreiben das schon seit der Schulzeit, also rund ein Viertel Jahrhundert – der Gedanke ist beinahe ein bisschen erschreckend. Natürlich kamen und kommen immer wieder neue Teilnehmer hinzu, was prima ist. Gäste sind herzlich willkommen und so konnte ich zum Beispiel auch schon meine Karnevalsweiber in die Geheimnisse der Kohlfahrt einweihen. Ihnen machte es Spaß und sie schlugen sich wacker, auch wenn sie es „komplett sinnfrei“ fanden.

Wir treffen uns zumeist irgendwo richtig in der Pampa. Der mitgebrachte Bollerwagen wird beladen: Jede Menge Schnapsbuddeln, Kasten Bier, Schnapsleiste, Spielutensilien (wechselnd, aber Boßelkugeln sind immer dabei), Proviant für den kleinen Hunger zwischendurch, Küchenrolle für die Dreckspätze … Es werden ein paar Schnäpse zum Warmwerden gekippt und dann geht es los.

Kohlessen 2014 - Bild übermittelt von Fidi

Kohlessen 2014 – Bild übermittelt von Fidi

Das Ziel der Tour weiß in der Regel nur das Kohlkönigspaar. Diese beiden Würdenträger werden jeweils am Ende einer Kohlfahrt durch mehr oder minder alberne Spielchen ermittelt und bekommen die Aufgabe, die Kohlfahrt des nächsten Jahres zu organisieren. Dies ordentlich zu machen ist natürlich eine Frage der Ehre, so dass unsere Kohlpartien in der Regel gut organisiert und immer sehr schön sind. Böse Zungen behaupten zwar, dass die Spiele, mit denen das neue Königspaar bestimmt wird, allesamt nutzlos und die Sieger schon im voraus festgelegt seien, aber das ist bislang unbewiesen. Und Spiele nach ungewissen Regeln sind allemal besser als die Inthronisierungsmethoden, die noch einige Jahrzehnte zuvor in Mode waren: Zu Zeiten als meine Eltern auf Kohlfahrt gingen, wurden die Kandidaten vor und nach dem Essen öffentlich gewogen und wer am meisten gegessen hatte, bekam das Amt.

Unterwegs wird gespielt: Begonnen wird bei uns zumeist mit Boßeln, wobei wir die Regeln stark abändern. Wir können das nämlich eigentlich nicht so richtig, und deshalb bilden wir nur zwei Mannschaften, kullern die Bälle jeder einmal, gucken welches Team am weitesten ist und die Sieger dürfen einen trinken. Damit keiner traurig ist, die Verlierer natürlich auch. Die Boßelei geht jedes Mal mit viel Geschrei ab, aber das muss so sein, das ist bei Boßelvereinen nicht anders. Der bedeutungsschwangere Satz: „Hier musst du beikommen“ sagt so viel wie: „Rolle die Kugel bitte mindestens bis hier und schmeiß‘ sie nicht wieder vor den nächsten Baum, und auch nicht in den Graben.“ Das mit dem Graben passiert trotzdem dauernd, aber dafür hat man einen Grabenbeauftragten, der die Kugel mit einem Kraber wieder rausangelt und dem nächsten Spieler das schlammbedeckte Utensil anreicht.

Wenn man genug geboßelt hat, kann man etwas zügiger laufen, oder aber mit anderen Spielen beginnen. Üblich ist das Besenwerfen (man schleudert dabei einen Strauchbesen ohne Stiel), das Teebeutelweitwerfen (wobei der Beutel am Zipfel in den Mund genommen wird) oder das Gummistiefelweitwerfen. Auch Geschicklichkeitsspiele sind beliebt, gerade weil die Geschicklichkeit mit fortschreitender Wanderstrecken nachlässt. Kinderspiele wie Eierlaufen oder Sackhüpfen gewinnen deutlich an Reiz, wenn man einen sitzen hat, und nüchtern würde ich wohl auch nicht mit einer Salatgurke zwischen den Knien um eine leere Schnapsflasche hoppeln.

Künstliche Ecke, erfunden von Ute. Foto geklaut auf unserem Kohlfahrtsblog.

Künstliche Ecke, erfunden von Ute. Foto geklaut auf unserem Kohlfahrtsblog.

Wichtig sind auf einer Kohlfahrt natürlich die Pausen. Wir halten uns recht gut daran, an jeder Ecke einen zu trinken, es sei denn, wir starten in einer Wohnsiedlung – dann lassen wir mal eine Ecke aus. Problematisch sind die langen Strecken, die sich schnurgerade in eine Richtung ziehen. Früher haben wir improvisiert und Bäume oder Gattertore zu Ecken erklärt. Inzwischen sind wir da professioneller und tragen eine mobile Ecke mit uns herum – man muss sich zu helfen wissen. Um dieses Utensil wurden wir schon verschiedentlich beneidet, von anderen Kohlfahrern, die wir unterwegs getroffen hatten und die nicht so gut ausgerüstet waren. An guten Wochenenden trifft man auf einige andere Gruppen, die ebenfalls auf Kohlpartie sind – jede auf ihre Art. Manchmal kommt es zu netten Gesprächen, man stößt miteinander an oder tauscht Schnäpse. Auf diese Weise wurden wir endlich den Jägermeister los, den wir schon jahrelang mit uns rumschleppten und den keiner trinken wollte: Wir bekamen Ouzo dafür, der wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal durchlitten hatten.

Und damit wir unterwegs nicht vor Entkräftung umfallen, planen wir immer eine größere Pause ein: An irgendeiner Stelle steht ein Auto mit einem wohlmeinenden Familienmitglied und einem umfangreichen Pausensnack. Heiße Getränke, dazu was Herzhaftes: Mettbrötchen, Schmalzstullen, Käsehappen. Es lässt sich beobachten, dass inzwischen deutlich mehr Tee als Glühwein getrunken wird – wir werden anscheinend nicht jünger und doch ein ganz bisschen vernünftiger.

Am Ende eines langen Weges - Reste 2014.

Am Ende eines langen Weges – Reste 2014.

Das letzte Stück des Weges wird fast immer ziemlich flott zurückgelegt: Es ist zu dunkel zum Spielen, alle sind ein bisschen durchgefroren, die Damen müssen auf’s Klo. Außerdem sind wir immer zu spät dran. Trotzdem werden oft vor dem Lokal noch einige Schlückchen getrunken, damit nichts umkommt. Und dann geht es hinein in die Wärme, den Suppenduft, manchmal auch den Lärm. Denn bei vielen Kohlfahrtsgruppen sind so genannte Gemeinschaftskohlfahrten beliebt, bei denen nach dem Essen getanzt wird. Wir vermeiden das, denn da wir uns nur so selten sehen, wollen wir uns in Ruhe unterhalten und mieten deshalb immer einen Clubraum. Hier wird dann also gegessen: Suppe, Grünkohl, Kartoffeln, reichlich fettreiche Fleischwaren und Nachtisch. Getrunken wird natürlich auch, von vielen inzwischen sogar Wasser. Nach dem Essen gibt es den Wechsel der Regentschaft und die Inthronisierung, der in der Regel ein letzter Schnaps folgt. Und dann ist es irgendwann vorbei – die Kohlfahrt eines Jahres ist geschafft und man hat rund zwölf Monate Zeit, sich auf die nächste zu freuen.

Heute war ich nun also nicht dabei. Ich wurde mit Neuigkeiten und Fotos versorgt – What’s App macht’s möglich. Im nächsten Jahr bin ich wieder fit und will dabei sein, und ich fange heute schon an, mich darauf zu freuen.