Späte Gerechtigkeit

Der alte Klamottenladen hat geschlossen. Endlich, denkt Tanja, als sie die Straße ihres Heimatortes entlangläuft. In diesem Geschäft hat es schon seit mindestens 10 Jahren nichts Modernes mehr gegeben, es hat sie immer gewundert, wie dieser Saftladen überleben konnte.

Sie lässt ihren Blick über die heruntergekommene Fassade des Hauses schweifen, bemerkt das verblichene alte Schild und die dreckigen Fenster. Armselig sieht das aus, schmuddelig und aus der Zeit gefallen.

Wäre es ein anderes Geschäft, würde es Tanja vielleicht ein wenig leid darum tun. Eigentlich mag sie kleine Läden und sie läuft auch nicht jeder Mode hinterher. Auch hängt sie an ihrem alten Dorf und möchte eigentlich keinen Leerstand direkt hier am Marktplatz. Doch dieses alte Textilgeschäft mochte sie noch nie. Auch nicht, als es noch gut lief und das erste Haus am Platze war. Denn der Inhaber war schon immer unglaublich arrogant gewesen. Er hatte geglaubt, dass dieser kleine Dorfladen ihn über den Rest der Einheimischen erhob und ihn zum Patriarchen des Dorfes machte.

„Ich weiß nicht, ob wir hier etwas für Sie haben“, hatte er zu Tanjas Mutter gesagt, die mit ihr an der Hand den Laden betreten hatte. „Wir haben hier eher hochwertige Ware.“ Und die Mutter hatte diese Unverschämtheit hingenommen, geschluckt und den Laden wieder verlassen. Denn Teures konnten sie sich selten leisten, sie gehörten zu den kleinen Leuten. Das hatte Tanjas Mutter ihr damals erklärt, und die hatte ihre Jugend damit verbracht, diesen Laden zu hassen und dem Inhaber nachts Müll in den Garten zu schmeißen. Das hatte er sich redlich verdient, genau wie den langsamen Niedergang seines Geschäftes in den letzten Jahren.

Tanja wirft einen letzten Blick auf das „zu vermieten“-Schild in der Tür und lächelte. Sie ist zufrieden.