Covid und das große Müde …

Zwei Monate Blogpause – das gab es seit 2013 noch nie bei mir! Aber wie es eben so geht: Manchmal geht einfach nix.

Da fuhr ich doch Anfang Oktober frohgemut in den Urlaub an die Ostsee. Das Wetter war prächtig, meine Laune war es auch.

Leere Strandkörbe im Herbstlicht

Unterwegs nach Niendorf

Ich hatte ein hübsches kleines Hotel direkt am Timmendorfer Strand gebucht, hüpfte jeden Morgen früh aus dem Bett, frühstückte ausgiebig im fast leeren Frückstücksraum und stiefelte dann los. Es war noch so warm, dass man den ganzen Tag draußen sein konnte – angenehm zu Zeiten einer noch immer herummarodierenden Pandemie. Durch die viele Bewegung – ich ging auch jeden Abend noch schwimmen – fühlte ich mich fit und jung, gerade so, als sei ich höchstens 49.

Blick auf die Ostsee. Im Vordergrund allerhand Grünzeug.

Irgendwo auf der Promenade

So verging meine Woche viel zu schnell. Schon am Freitag war ich etwas wehmütig, so dachte ich zumindest, und konnte mich nicht mehr so recht motivieren. Das Schwimmen habe ich geschwänzt. Am Samstag fand ich meinen Koffer zu schwer und im Zug begann ich zu husten. Zuhause machte ich einen Covid-Test und der zeigte sofort – nach 30 Sekunden – einen dicken roten Strich. Fehlte nur noch, dass er geklingelt hätte. Hallo Corona, mein Name ist Meike.

Wie zu erwarten, war ich die beiden Wochen danach ziemlich im Eimer, auch wenn es alles in allem sicherlich ein milder Verlauf war. Aber diese Müdigkeit! Ich glaube, ich habe in meinem Erwachsenenleben noch nie so viel geschlafen.

20221010_125804

Eule im Vogelpark Niendorf. Ich habe bessere Fotos gemacht dort, aber dieses erscheint mir hier passend.

Inzwischen habe ich mich einigermaßen berappelt, aber zum Schreiben fehlte mir bislang jegliche Lust und Inspiration. Also habe ich Pause gemacht und mich mal wieder an die Verarbeitung meiner Wollberge gemacht. Socken, Tücher, dit und dat – all das wanderte letzte Woche in einem großen Karton an das Charity-Projekt, bei dem ich mitmache. Auch diese kleinen Gesellen hier, die den heutigen Post versöhnlich abschließen sollen:

gestrickte Schnecken und Trompetenschnüffler

Ich würde so gern mal wieder …

Eine Aufwärmübung aus dem Schreibworkshop: Was würden wir gerne mal wieder tun, was fehlt uns derzeit? Wie immer habe ich das genommen, was mir als allererstes in den Sinn kam – waren ja auch nur 12 Minuten Zeit! Und das war es:

20150501_120946

Flohmarktsschätze

Ich würde so gerne mal wieder über einen Flohmarkt laufen. Flohmärkte sind das, was mir in Sachen Freizeitgestaltung zu Corona-Zeiten am meisten fehlt. Nicht, dass ich dringend etwas bräuchte, ganz im Gegenteil. Ich habe eher zu viel als zu wenig. Und ich kaufe auch zumeist gar nichts, wenn ich über so einen Markt laufe. Es geht mir mehr ums Gucken und Staunen, manchmal auch Lachen. Oft mache ich Fotos, wenn ich etwas besonders Schönes oder Lustiges sehe, und küre dann anhand dieser Bilder auf meinem Blog das „Objekt des Tages“. Wenn ich nicht allein, sondern mit einer Freundin unterwegs bin, ist es zumeist noch schöner, denn wir machen uns im bunten Gewusel gegenseitig auf Dinge aufmerksam. Natürlich bleiben wir auch mal am Bratwürstchenstand hängen. Unvergessen ist auch der Flohmarktbesuch mit einem Freund, bei dem wir gerade mal eine Reihe Stände schafften, dann ein Bier tranken, oder vielleicht waren es auch zwei oder fünf, und währenddessen von einer Dame und ihren beiden sturzbetrunkenen Begleitern über den Anbau von Tomatenpflanzen aufgeklärt wurden. Als wir den Getränkestand verließen, räumten die letzten Händler gerade ihre Schätze zusammen. Obwohl die Zeit so verblüffend schnell herumging, war es ein schöner, ausgefüllter Tag. Es geht mir nämlich gar nicht so sehr um das Kaufen und Verkaufen auf dem Flohmarkt, wenngleich das natürlich schön ist, sondern mehr um das Drumherum.

Das Drumherum ist es auch, was mir bei der Schnäppchenjagd im Internet fehlt. Wenn man etwas bei ebay kauft oder verkauft, fällt das ja leider flach. Kürzlich habe ich ein paar Dinge dort verkauft und ja, es kam Geld rein und ich hatte einen wirklich netten E-Mailverkehr mit einem Klaus aus Nordrhein-Westfalen. Aber das ist nicht dasselbe. Mit Klaus hatte ich kein Bier, nicht mal eine Brezel, und zusammen gelacht haben wir auch nicht. Ich würde gerne einmal wieder mit fremden Leuten auf einem Flohmarkt lachen. Das fehlt mir.

Kampf dem Lotterleben 2

Vor einigen Monaten schrieb ich den Beitrag „Kampf dem Lotterleben“, in dem ich all meine guten Vorsätze für die Zeit der Pandemiebekämpfung aufgelistet hatte. Sport wollte ich treiben, mich immer ordentlich anziehen und, und, und …

Rund zehn Monate später sieht die Sache schon wieder anders aus. Teile des Beitrages könnte man inzwischen umschreiben in „Chronik eines Verfalls“. Anderes hat ganz gut geklappt.

vegetarischer Brotaufstrich

Selbst gemachter Brotaufstrich – rote Bete-Walnuss und Karotte-Champignon. Auch für so etwas war in diesem Jahr plötzlich Zeit.

Fangen wir positiv an: Zum Beispiel die Sache mit den Kontakten. Ich habe meine persönlichen Treffen sehr weit runtergefahren, bin aber trotzdem nicht vereinsamt. Im Sommer nutzten wir mit einigen Freunden ab und zu die Gelegenheit, uns draußen zu treffen, außerdem ging ich da schwimmen und bekam so ein gewisses Maß an Bewegung.

Viele Dinge haben auch online wunderbar geklappt. Ich war noch nie so fleißig, was Schreibworkshops angeht – nach zögerlichem Anfang wurde da irgendwann richtig viel angeboten. Das strukturierte die Abende oder sogar die ganze Woche, schließlich musste man am Wochenende Hausaufgaben machen. Online-Spieleabende, gemeinsam Distanz-Fernsehen (und per WhatsApp das Gesehene diskutieren) oder einfach nur mal wieder lange telefonieren, all diese Dinge halfen mir, die Zeit nicht nur rumzubringen, sondern sie gut zu verbringen. Neues gelernt habe ich ebenfalls – so filzte ich erst kürzlich ein adipöses Seepferdchen.

Auch das Arbeiten im Homeoffice hat gut funktioniert. Ich fand schnell meinen Rhythmus – früh anfangen, recht lange Mittagspause, gerne mal zusammen mit Kollegen via Skype, und wenn Feierabend war, war Feierabend. Nur das regelmäßige Wegräumen des ganzen Gedönses zum Wochenende hat genau zwei Mal geklappt, ansonsten steht es im Weg herum. Nun ja – da die Wohnung auch sonst unaufgeräumt ist, kommt es darauf auch nicht mehr an.

Seepferdchen

Gefilztes Seepferdchen. Ein echtes Kaltblut-Seepferd – anders lässt sich diese robuste Figur nicht erklären.

Soweit, so gut also. Nun zu den Dingen, die weniger gut gelaufen sind: Sport. Ach, ach. Anfangs nutzte ich mein Ergometer mehrmals täglich, dann immer weniger. Inzwischen hängen meine ganzen Masken daran, und ein kleines Säckchen für die, die gewaschen werden müssen. Natürlich latsche ich ab und zu draußen herum und die Schwimmbäder nutzte ich, bis sie wieder schlossen, aber fitter bin ich ganz bestimmt nicht geworden.

Und auch ganz bestimmt nicht besser angezogen. Heil und sauber, diese Devise gibt es zwar immer noch, aber ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich rumlaufe wie die letzte Trümmerlotte. Noch halte ich dagegen, aber es ist nicht immer leicht. So passierte es mir nach Weihnachten, dass plötzlich keine reine Jogginghose mehr im Schrank war. Alle in der Wäsche oder besser gesagt, feucht auf dem Wäscheständer. Ich tastete alle Modelle ab – vielleicht konnte man eine am Leib trocknen lassen? Doch da ich meinen Arbeitstag nicht mit nassem Hintern verbringen wollte, sah ich von der Möglichkeit ab. Kurzfristig überlegte ich, ob ich einfach die Schlafanzugshose anlassen sollte. Sieht ja keiner im Homeoffice. Dann rief ich mich zur Ordnung und spähte nochmal in den Schrank. Schließlich hatte ich Schlafanzugstage gleich zu Beginn des Corona-Desasters explizit ausgeschlossen. Schweren Herzens beschloss ich, eine Jeans anzuziehen – schließlich wollte ich auch noch einkaufen. So gab es also auch noch einen BH sowie statt der üblichen Wollstrümpfe Socken, mit denen ich in die Schuhe passe. Und ein Shirt, das nicht aussieht, wie schon drei Jahre in der Wüste getragen. Ich muss da wirklich mal aussortieren, denn ich trage jetzt seit fast einem Jahr immer nur die Klamotten, die vorher eigentlich schon reif für den Altkleidersack waren.

Ich ging also gestern ordentlich angezogen einkaufen und brachte auch „vernünftige“ Sachen mit. Also Obst, Gemüse, was Frisches halt. Denn ich ertappte mich in der letzten Zeit auch schon ein paar Mal dabei, dass ich zu faul zum Kochen war und eigentlich gerne eine Dose aufgerissen hätte. Zum Glück habe ich immer nur sehr wenig Fertiggerichte im Vorratsschrank, sodass das im Moment nicht mehr möglich ist – Dosenessen ist alle und wird auch erst mal nicht nachgekauft. Und so kommen wir wieder zu den Sachen zurück, die gut gelaufen sind in der Pandemie: Ich habe ganz viele neue Dinge gekocht und gebacken. Nichts war misslungen, alles lecker und sicher auch leidlich gesund, mal abgesehen von der Schokoladen-Sahnetorte. Die war nur lecker. Und das ist ja auch schon was.

gefüllte Champignons

Gefüllte Champignons im Kartoffelnest – das beste Resteessen des Jahres 2020.

Nachtrag: Ich habe aus der Misere gelernt und heute neue Jogginghosen bestellt. Dafür werfe ich die, die man beim Laufen immer festhalten muss, endgültig weg. Auch das Shirt mit dem hautfarbenen Fleck (= Loch auf dem Bauch) darf endlich gehen – es hat seine Schuldigkeit getan.

Corona und ich

Meike mit grüner MaskeAuch wenn es wahrscheinlich alle nicht mehr hören oder lesen mögen, gibt es auch bei mir noch einen Beitrag zu Corona, genau genommen über Corona und mich. Ich wurde nämlich in der letzten Zeit ein paar Mal gefragt, was der Virus und die verordnete Abschottung mit mir macht. Schließlich lebe ich allein und viele in meiner Lage sind durch Homeoffice und Kontaktsperren einsam und fühlen sich schlecht.

So geht es mir nicht. Ich bin in einer privilegierten Lage, muss mich um keine alten, schwachen Angehörigen sorgen und habe bislang keine Krankheitsfälle im Freundes- und Verwandtenkreis. Auch hüpfen keine energiegeladenen Kinder um mich herum, wenn ich tagsüber hier zuhause am Esstisch sitze und arbeite.

Das Alleinsein macht mir gar nichts aus. Ich scheine für das Eremitentum geboren zu sein und vermisse vordergründig erst mal nichts. Natürlich würde ich gerne einmal wieder meine Freunde sehen, es gelüstet mich nach einem schönen Spieleabend, nach Kino, Flohmarkt, Weinfest und Jägerschnitzel im „Grüne Soße und mehr“. Aber gut, das geht jetzt halt nicht – also mache ich etwas anderes. Wenn ich nicht arbeite, habe ich immer etwas anderes zu tun: lesen, schreiben, internetten oder fernsehen, dabei Strümpfe stricken – die Zeit geht schnell rum, wenn man sich gut zu beschäftigen weiß. Außerdem wird viel mit Freunden oder Verwandten telefoniert. Das ist eine Wiederentdeckung, denn das private Telefonieren hatte ich mir beinahe abgewöhnt. So bin ich also gut beschäftigt und fühle mich auch nicht alleine.

Und doch merke ich, dass sich auch in meinem Kopf etwas verändert, ich ein wenig komisch werde. Zumindest finde ich das jetzt noch komisch, vielleicht ist es in ein paar Monaten ja mein Normalzustand. So beobachte ich derzeit bei mir eine neue Art der Sparsamkeit, so als befürchte ich tief in mir drin einen materiellen Notstand. Das deckt sich vielleicht ein wenig mit diesem Impuls zu hamstern, den viele Leute plötzlich hatten, oder mit der schwindenden Kauflaune, die der Handel beklagt. Auch ich habe mir seit Wochen nichts außer Alltäglichem gekauft und finde, dass ich nichts Neues brauche. Was soll ich mit neuen Sommersachen, wenn ich genauso gut im alten, vom vielen Waschen kuschelweichen Shirt hier alleine im Homeoffice sitzen kann? Soweit ist die Sparsamkeit also noch logisch.

Ich ertappe mich aber auch bei absolut merkwürdigen Gedanken, etwa wenn ich feststelle, dass die Spülmaschine schon wieder voll ist. Dann schleicht sich ein „Nein, die kann doch nicht schon wieder laufen, was das kostet – schon wieder ein Spültab!“ durch mein Gehirn und ich überlege, ob ich vielleicht zwischendurch von Hand spülen sollte. Ja, genau, von Hand spülen – deshalb habe ich mir beim Einzug in diese Wohnung die kleine Spülmaschine gekauft. Bevor ich damit anfange, benutze ich lieber zwei Tage lang den gleichen Teller!

Moment. Halt, stopp! Nein, das tue ich nicht – Order, Order! Ich kaufe einfach neue Spültabs, wenn die alten alle sind.

Ähnliches passierte mir kürzlich beim Wäsche falten. Da kam mir so eine olle Socke mit unmöglicher Passform in die Hände. Das Paar hatte ich schon vor Monaten wegschmeißen wollen, doch immer wieder geriet es in die Wäsche statt in die Tonne. Jetzt hatte ich es eingefangen, doch statt es zu entsorgen, ertappte ich mich dabei, dass ich es mir vor die Nase hielt – könnte man da keine Alltagsmaske draus basteln? Zu diesem Zweck habe ich auch schon ein altes, schiefes T-Shirt sowie ein 90er-Jahre-Nickituch geschlachtet, warum nicht einen schwarzen Strumpf dazu nehmen? Ein Blick in den Spiegel reichte jedoch, um mich zur Ordnung zu rufen. Ich werde mir keine verwaschenen Socken vor das Gesicht schnüren – soweit kommt es noch.

Meike mit gestreifter MaskeIrgendwie scheinen die Notlagen, in die andere durch Corona geraten und über die immer wieder in den Medien berichtet werden, auf mich überzuschwappen. Das ist irrational, denn ich arbeite ganz normal weiter und bekomme nach wie vor mein volles Gehalt. Ich spare sogar Geld dadurch, dass ich nicht dauernd essen gehe und keine Veranstaltungen besuche. Auch ist meine Heimkantine deutlich billiger als die, in der ich sonst esse. Es gibt also keinen Grund für mich, an Putzmitteln zu knausern oder angezogen wie der letzte Mensch durch die Gegend zu laufen.

Andererseits entdecke ich aber auch eine neue Großzügigkeit. Ich spende seit Jahren regelmäßig einen bestimmten Teil meines Einkommens, habe zwei Patenkinder in Laos und bin nicht zurückhaltend, wenn ich finde, dass bestimmte Katastrophen meiner Unterstützung bedürfen. Jetzt aber mache ich mir nicht nur um Menschenleben. sondern auch um die kleinen Kulturangebote in meiner Umgebung Gedanken. Die sind es ja, die mein Leben zu dem machen, was es ist – bunt und heiter. Und so habe ich nicht nur einen ordentlichen Betrag an das rote Kreuz gespendet (den mein Arbeitgeber nochmal verdoppelt), sondern auch an kleinere Einrichtungen hier in Frankfurt. Und ich werde Patentante von zwei Tieren im ehrenamtlich geführten Kobelt-Zoo. Es gibt einfach so viele derzeit, denen diese Krise schwer zu schaffen macht. Ich kann sie nicht alle unterstützen, mache mir aber doch Sorgen, dass es die bunte Welt, in der ich so gerne lebe, nach der Corona-Krise vielleicht erst mal nicht mehr geben wird. Zum Glück weiß ich, dass Gesellschaften sich von Krisen erholen können und oft gestärkt daraus hervorgehen, aber wie schnell wird das gehen? Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange.

50 – und nu?

Das hätte sein sollen – und es wird kommen. Einfach länger darauf freuen …

Nun ist es also passiert: Vorgestern bin ich 50 geworden. Corona sei dank ist dieser Tag natürlich ganz anders abgelaufen, als er geplant war. Eigentlich hatte ich mit meiner lieben Schwester auf Borkum sein wollen, mit Sektfrühstück, Erdbeerkuchen im Sonnenschein und abends einem Fischgericht und Meerblick. Nun ja, zumindest den Erdbeerkuchen hatte ich, leidlich Sonnenschein auch und vom Balkon aus habe ich immerhin Blick auf den Frankfurter Stadtwald. Und aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben – soweit also erst mal alles gut.

Was mich aber nach wie vor in tiefe Verwirrung stürzt, ist diese beeindruckende Zahl 50. In Buchstaben: Fümpfzich. Unglaublich. 50, das waren doch die Leute, mit denen meine Eltern Karten spielten und kegeln gingen. Das waren die, die abends zu Besuch kamen, die Herren mit gutem Hemd und Schlips, die Damen mit Glanzbluse und Perlenkette über dem wogenden Dekolltee. Später, als sie alle noch älter waren, wurden sie lässiger, da trugen sie auch zu Feierlichkeiten schon mal ein Polohemd, aber mit 50 waren sie noch höchst seriös. Bin ich auch so?

Natürlich hat sich im Laufe der Jahrzehnte viel verändert, ich lebe ganz anders, als meine Eltern es taten. Wenn sie Besuch bekamen, kam das gute Geschirr auf den mit einer weißen Tischdecke bedeckten Tisch, meine Mutter hat stundenlang gekocht und geriet in Stress, wenn die Gäste zu früh kamen und sie nicht fertig war. Ich selber besitze gar keine Tischdecke, weil ich die nicht leiden mag, und „gutes Geschirr“ habe ich auch nicht. Wenn mehr als vier Gäste kommen, wird gestückelt, weil ich nur fünf Essteller habe, aber da es bei meinen Gästen größtenteils nicht anders aussieht, stört sich da keiner dran. Oft kochen wir gemeinsam und fischen das Gekochte der Einfachheit halber einfach aus dem Topf statt aus Schüsseln. Ob das überall so ist? Oder wird das nur in meiner ganz speziellen Blase so gehandhabt? Ich weiß es nicht, aber eigentlich ist es auch egal, denn für mich ist es richtig so.

Dekoration zum 50. Geburtstag

Mit 50 kamen die Leute mir früher unglaublich alt vor. Ich erinnere mich daran, wie die Mutter einer Spielkameradin 40 wurde: Schon sie war eine umständliche alte Frau. „Aus den besten Jahren ist sie raus“, beschrieb ich als Grundschülerin die neue Lehrerin. So lange, wie sie noch unterrichtet hat, kann die damals erst Anfang 40 gewesen sein, dieses uralte Hutzelweiblein. Das lag sicher an der besonderen Wahrnehmung eines Kindes. Ich glaube aber auch, dass in den 70er Jahren noch viele Dinge so anders waren, dass die Leute einfach früher alterten. Die äußere Erscheinung wurde viel mehr als heute von Tradition und Rollenbild bestimmt. Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass meine Mutter immer darauf beharrte, keine Jeans tragen zu können. Sie meinte, sie sei zu dick dazu, außerdem sei sie für Jeans zu alt. Als sie das verkündete, war sie noch keine 40 und kleidete sich bevorzugt in Faltenröcke, so richtig brutale Dinger aus dickem, dunklem Stoff. Je älter sie wurde, desto jugendlicher kleidete sie sich. Ähnlich war es bei meinem Vater, der mit 50 älter aussah als mit 70, was sicher auch daran lag, dass er jahrelang sehr viel gearbeitet hat und man das seinen müden Augen irgendwann ansah.

Bei der Arbeit merke ich natürlich auch, dass ich älter werde: Immer öfter gehöre ich bei irgendwelchen Meetings zu den Älteren und in meiner Abteilung bin ich sogar die Älteste. Unsere Praktikantinnen könnten inzwischen locker meine Töchter sein und ich ertappe mich immer öfter bei Gedanken, für die ich vor zwanzig Jahren die älteren Kollegen mit verächtlichen Blicken gestraft habe, wenn sie es denn gewagt haben, derartiges auszusprechen. Etwa sowas wie: „Das haben wir doch schon drei Mal gehabt, das hieß nur anders“ oder „Das hat vor zehn Jahren schon nicht geklappt, das wird heute nicht anders sein“. Ich versuche ja immer, so etwas für mich zu behalten, denn zum einen will ich nicht immer als Piesepampel dastehen, zum anderen weiß ich ja, dass die Zeiten sich ändern und dass etwas, was vor 10 Jahren nicht und nur holprig funktioniert hat, inzwischen durchaus besser laufen kann. Wie schnell sich Dinge entwickeln, sehen wir ja derzeit: Wer hätte denn vor drei Jahren damit gerechnet, dass Großteile der Bevölkerung plötzlich im Homeoffice arbeiten, und dass das zumindest technisch auch weitgehen gut funktioniert? Ich nicht, das gebe ich zu.

Es gibt also durchaus noch Dinge zu lernen mit 50, und ich habe auch noch allerhand vor. Ich muss noch die ganzen Romane schreiben, die ich im Kopf habe, will häkeln lernen und irgendwann ein Haustier haben. Ich habe noch nicht alles gesehen, was mir interessant erscheint und denke, dass ich bestimmt noch das eine oder andere Talent in mir habe, das noch entdeckt werden muss.

Und ich musste gestern schon feststellen, dass ich mich zumindest auf einem Gebiet mit 50 nicht anders verhalte als mit 49 oder 29: Noch immer prokrastiniere ich alles, was mit Haushaltsarbeit zu tun hat. Mir ist nämlich beim Kochen meines Geburtstagsessens eine fast volle Glasflasche mit Pflanzenöl auf den Küchenfliesen zerscheppert. Natürlich habe ich die größte Schweinerei sofort weggemacht, es sollte ja nicht alles unter die Einbauküche laufen. Aber richtig sauber war die Küche danach nicht. Das Putzen wurde also auf den nächsten Tag verschoben, stürzte mich am Morgen in meine ganz persönliche Ölkrise und wurde aufgeschoben bis zum späten Nachmittag. Inzwischen ist es erledigt, es half ja nichts. Aber die richtig gute Hausfrau, die meine Eltern gerne aus mir gemacht hätten, die wird nicht mehr aus mir. Und das ist gut so.

Kampf dem Lotterleben!

Ranunkel vom Wochenmarkt – man muss es sich schön machen!

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Beitrag wirklich schreiben sollte – denn ich weiß, dass viele vom Thema „Corona“ inzwischen übersättigt sind und einfach mal was anderes lesen möchten. Aber es gibt etwas, das mich im Moment schwer beschäftigt, und daran möchte ich euch teilhaben lassen: Die Isolation in der Wohnung als Single. Ich arbeite seit dieser Woche im Homeoffice und habe alle Freizeitaktivitäten außer Haus, alle Workshops etc. eingestellt.

Eigentlich trifft diese Abschottung durchaus meine Neigungen. Ich bin eine, die es braucht, immer mal wieder ein paar Tage alleine zu sein. Ich genieße es, an Wochenenden ohne Termine am Freitag meine Tür zu schließen in dem Wissen, dass ich nicht mehr raus muss bis Montag – wenn ich das so möchte. Und kürzlich war ich krank, insgesamt drei Wochen – da gehörte es für mich dazu, im Schlafanzug oder oller Jogginghose mit Labbershirt herumzustapfen und mit meinem Gesamtauftritt den Paketboten zu erschrecken. Auch wenn ich mal einen einzelnen Tag Homeoffice mache, laufe ich so rum – sieht ja keiner.

Genau dieses „sieht ja keiner“ ist aber im Moment die Herausforderung. Ich fürchte ein wenig, dass ich in der Zeit des Zuhausebleibens völlig verkomme – zu einer wunderlichen, körperlich runtergewirtschafteten Trulla mit eckigen Augen vom Fernsehen und ungepflegtem Äußeren. Das geht so nicht!

Was also tun? Nun, zunächst mal braucht es etwas Struktur. Und Kontakte. Wasser und Seife natürlich, aber auch einigermaßen ordentliche Klamotten. Gesunde Ernährung und Bewegung. Und andere Freizeitbeschäftigungen als nur die Glotze. Folgendes habe ich mir vorgenommen:

  • Ich besitze ein Trimmrad, dass in Zeiten, wenn mir mein Knie wehtut, eifrig benutzt wird, zu anderen Zeiten aber zum Kleiderständer degradiert wird. Ich habe mir heroisch beschlossen, mir meine Mahlzeiten künftig zu verdienen und vorher immer ein bisschen zu strampeln. Muss ja nicht lange sein – jeder „Kilometer“ hilft. Schließlich fehlt mir derzeit die Grundbewegung, die ich sonst schon allein dadurch bekomme, dass ich kein Auto besitze und oft zu Fuß unterwegs bin.
  • Keine Schlafanzugstage. Bequem ja, aber so, dass man ohne Bedenken die Tür öffnen kann, sollte es klingeln.
  • Regelmäßige Arbeitszeiten. Die letzte Woche habe ich zwischen halb acht und acht angefangen zu arbeiten, das passt gut. Allerdings muss man auch auf regelmäßige Pausen achten und sich zwischendurch mal vom Stuhl erheben. Im Büro läuft man ja auch mal rum, zum Klo, der Kaffeemaschine oder dem nächsten Meetingraum. Unser Gebäude ist über 100 Meter lang, da kommen schon ein paar Schritte zusammen. Oder man geht zu einem Kollegen rüber, um bei dem auf den Bildschirm zu gucken, steht dann da ein bisschen und beredet was.
  • In der letzten Woche haben einige Kolleginnen und ich angefangen, per Skype gemeinsam Mittagspause zu machen. Jede saß für sich vor der Kamera, wir haben uns angeguckt, gegessen und geschwatzt – gerade so, wie wir es sonst in der Kantine auch tun würden. Das ist gut, lockert es doch den Arbeitstag auf. Mich bringt es außerdem dazu, nicht ganz so sehr wie eine Trümmerlotte aussehen zu wollen und ein bisschen mehr aufzuräumen – schließlich gucken die mir in die Wohnung!
  • Und ja, die Wohnung, das ist auch so ein Thema. Ich bin ja ein furchtbar unordentlicher Mensch – oft starte ich Aufräum-Panikaktionen, wenn Besuch angekündigt ist. Nur … im Moment kommt kein Besuch, und ich bin den ganzen Tag zuhause und mülle vor mich hin. Das muss ich mir für die nächsten Wochen abgewöhnen, denn sonst wird beides ungemütlich: der Arbeitstag und die Freizeit. (Der Kollege, der als Letzter bei uns im Büro war und alle Telefone umgestellt hat, erzählte mir, dass er bei mir etwas aufgeräumt habe. Ich mache das sonst immer vor dem Urlaub und hatte das dieses Mal völlig vergessen – ist ja kein Urlaub. Das war mir schon ein bisschen peinlich. Danke, Sebastian, du Guter!)
  • Noch ein Thema: Arbeitszeit und Freizeit. Ich arbeite derzeit im Wohnzimmer am Esstisch. Das geht gut, ich sitze bequem, habe ausreichend Platz und Licht. Aber zumindest zum Wochenende muss ich den ganzen Arbeitskram wegräumen – sonst guckt mich das das Wochenende über immer an. Gestern habe ich also alles weggepackt und ins Regal verräumt.
  • Und in der Freizeit? Was mache ich da? Mir ist in den letzten Tagen aufgefallen, dass ich keine Lust habe, mich da auch noch an den Esstisch zu setzen und am PC zu werkeln – auch nicht privat. Immer nur fernsehen kommt auch nicht in Frage – das ist toll, wenn man krank ist, aber wenn man gesund ist, wird man davon auf die Dauer rammdösig. Also werde ich wohl mehr lesen, stricken oder Hörbücher hören. Und mal wieder was Größeres schreiben – wie immer bei Entwürfen erst mal im Notizbuch.
  • Und ich will etwas Neues probieren. Ich wollt schon immer mal häkeln lernen, oder ein altes Hobby auffrischen und eine Figur bauen. Ich habe so viel Bastelkram zuhause, damit sollte sich doch die Zeit füllen lassen. Was ich mit dem gebastelten Kram dann später tue, werden wir sehen …
  • Und natürlich will ich mit meinen Lieben in Kontakt bleiben. Wir haben inzwischen so viele Möglichkeiten neben dem Telefon – seien es die kleinen, hingeworfenen Kommentare per Social Media oder WhatsApp oder längere Skype-Sessions mit Kamera. Noch vor wenigen Jahren hätte das alles ganz anders ausgesehen.

Mir ist übrigens klar, dass ich zu denen gehöre, die sehr weich fallen in dieser Krise: Ich habe keinen Beruf, in dem ich mich unmittelbar der Ansteckungsgefahr aussetze, muss mich nicht von Klopapiersüchtigen beschimpfen lassen. Ich muss als Mitarbeiterin in der Lebensmittelindustrie erst mal keine Angst haben um meinen Arbeitsplatz, kann von zuhause arbeiten. Ich habe zwar keinen Garten, aber eine geräumige Wohnung mit komfortabler Ausstattung. Ich muss während der Arbeit keine kleinen Kinder bespaßen und muss mich nicht um alte Eltern ängstigen, die vielleicht zu versorgen wären. Diese paar Wochen Hausarrest, so surreal die Situation auch erst mal ist, sollte gut zu überstehen sein.

Und ihr, die ihr das jetzt gelesen habt: Passt auf euch auf und bleibt zuhause, soweit es geht.