Mal wieder eine Aufgabe aus dem Schreibworkshop, für mich war es eine echte Herausforderung. Es ging um ein Gedankenspiel: Du schenkst dich jemandem. Wie kann das aussehen? Oooohhhhgottogott, was soll man da bloß schreiben? Erst mal einen Brief …

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Mein lieber Neffe,
anliegend erhältst du meinen Leichnam zur Aufbewahrung und weiteren Verwendung. Ich habe meine sterblichen Überreste nach der Kremierung in die Schweiz schicken und dort zu einem Diamanten pressen lassen. Selbstverständlich wurde die Asche vor der Verarbeitung sorgfältig gesiebt, sodass das fertige Stück lupenrein sein und keinerlei Einschlüsse enthalten sollte. Eine klare Sache also.
Entsprechend meiner Körpermaße dürfte der Diamant ein ziemlicher Brocken geworden sein. Ich habe um einen geradlinigen Schliff mit scharfen Kanten gebeten, das erschien mir passend. Jetzt funkle ich also endlich in dem Maße, wie ich es mir immer gewünscht habe. Bunt im Licht, hell und leuchtend. Gerne wüsste ich, so rein aus Neugier, wie viel Karat aus mir geworden sind, aber das werde ich wohl nicht mehr erfahren. Du kannst den Stein ja mal in die Sonne halten und mir ein paar Lichtsignale nach oben schicken. Nicht, dass ich daran glaube würde, dort auf einer Wolke zu sitzen und mit den Beinen zu baumeln, aber man weiß ja nie.
Einen Hinweis habe ich aber noch für dich: im spießigen Deutschland ist es bislang verboten, die sterblichen Überreste seiner lieben Verwandten als Schmuckstück mit sich herumzutragen. Behalte es also bitte für dich, dass es deine Tante ist, die du als Halsschmuck oder Schlüsselanhänger trägst. Rede also einfach von Modeschmuck, Strass oder Glas. Solltest du mich zu einem Ring verarbeiten lassen, um ihn deiner Freundin oder deinem Freund zu schenken, solltest du ebenfalls besser den Mund halten, denn wer will schon die Schwiegertante mit im Schlafzimmer haben?
Und nun mach es mal gut, mein lieber Neffe. Ich wünsche dir nur das Beste, und vergiss bitte nie: Ich bin immer bei dir, was auch geschieht.