Manchmal sieht man sich ja wirklich verstohlen um und sucht die versteckte Kamera. So erging es meiner Freundin Kerstin und mir kürzlich, als wir gemütlich kaffeesieren waren: Wir saßen auf der Fressgass, in einer der teuersten Lokalitäten am Platze, denn dort gibt es grandiosen Kuchen und man gönnt sich ja sonst nichts. Es war friedlich dort, ruhig und beschaulich – bis die beiden Damen kamen. „Damen“, so nenne ich sie mal, aus Höflichkeit und weil es mich nichts kostet, aber wäre ich nicht so wohlerzogen, würde ich sie wohl Tussen nennen, Schrullen oder vielleicht noch Schnepfen.
Beide wirkten sie irgendwie aufgeplustert, obwohl sie so taten, als seien sie hochvornehm. Das Getöse, mit dem sie direkt neben uns Platz nahmen, hätte gut in ein Bierzelt gepasst, direkt neben die Blaskapelle, und ihre Gespräche schienen geradewegs der Gala entsprungen, natürlich mit ihnen in der Hauptrolle. Der Kellner wurde behandelt wie die lästigste Nebensache der Welt, aber man musste ja mit ihm reden, schließlich sollte er Torte und Sekt bringen. Was er auch tat.
Die Sektgläser waren gut gefüllt, sicherlich kamen die Damen nicht zu kurz. Und doch meinte die Lautere der beiden, ihr Glas in die Höhe halten und mit einem Auge hineinspähen zu müssen – zu tief ins Glas zu schauen bekam so eine ganz neue Bedeutung. Der Kellner war besorgt und fragte nach: „Ist alles in Ordnung?“ Die Dame verneinte. Nein, nicht alles in Ordnung, ganz und gar nicht. Denn sie frage sich, ob das „genügend“ sei in ihrem Glas. Bei zu wenig gefüllten Gläsern sei sie empfindlich, verkündete sie. Der Kellner wirkte verblüfft, war doch eher zu viel als zu wenig im Glas. „Ja, vielleicht“, stimmte Madame zu, „aber sie da“, sie wies lässig mit einem Finger auf die Freundin, „hat mehr. Gießen Sie hier doch auch noch einmal nach!“ Der Kellner war Profi und bewahrte die Contenance. Gut hätte ich ja gefunden, wenn er aus dem volleren Glas einfach einen Schluck abgetrunken hätte, aber er kam tatsächlich mit der Flasche, richtete beide Gläser nebeneinander aus, nahm Maß und goss in eines noch eine Fingerhutmenge nach. „Ist es recht so?“ Es war recht – na so ein Glück!
Die Damen aßen und tranken – natürlich mit abgespreiztem kleinen Fingerchen – und unterhielten ihr Umfeld mit hochintellektuellen Gesprächen. Richtig hoch her ging es, als die zu wenig Gefüllte eine Nachricht auf ihr Smartphone bekam – offensichtlich von einem Sponsor. Sie kreischte aufgeregt und ruderte mit den Armen. Der ebenfalls aufgeregten Freundin erklärte sie, er (der Sponsor) habe seine Abrechnung bekommen, und jetzt dürfe sie sich eine Handtasche mehr kaufen. Großes Hallo und viel Gelächter. Und ich dachte, wie gut, dass ich mich selber für oder gegen den Handtaschenkauf entscheiden darf, auch wenn ich sie selber bezahlen muss. Aber jedem Tierchen sein Plaisierchen.
Die Damen brachen auf, schließlich hatten sie nun neue Pläne, sie brauchten dringend eine Handtasche. Sie rumpelten also von der Terrasse, nicht ohne vorher pflichtschuldigst ihre Zeche zu zahlen und sich beim Kellner lautstark über die unmöglichen, wirklich viel zu hohen Preise zu beklagen. Ist ja klar, der legt die ja auch fest. Und das, so fand ich, war dann wirklich der Gipfel des schlechten Benehmens.
Uff. Offenbar gibt es eine kleine Gruppe von Leuten, die glauben, ihre selbsterfundene Bedeutung für die Menschheit rechtfertige, sich allen anderen gegenüber schlecht zu benehmen. Schließlich ist man ja allein auf der Welt – oder wenigstens wichtiger als alle anderen vor Ort.
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Stimmt. Gut gefiel mir aber die Reaktion der anderen Gäste: Die haben alle so blöd geguckt wie wir. Offensichtlich ist ein derartiges Verhalten kein Normalfall und wird auch nicht bewundert.
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Das finde ich aber wirklich sehr nett, dass Du die Damen weder Tussen, Schrullen noch Schnepfen nennst 🙂
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Nicht wahr – wohlerzogen!
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