Das textile Trennungs-Trauma

Grundsätzlich bin ich ja recht zufrieden mit mir und meinen Fähigkeiten. Es gibt aber auch Dinge, bei denen ich ganz selbstkritisch einräumen muss, dass ich sie gar nicht gut kann. Und damit meine ich gar nicht so abgehobene Dinge wie Spitzen klöppeln oder das perfekte Abend-Make-up auflegen, und auch keine sportlichen Höchstleistungen. Nein, mir geht es eher um so profane Dinge wie „Ordnung halten“ und, sicherlich eng damit verbunden, „was wegschmeißen“. Das kann ich gar nicht gut. Besonders schwer fällt mir das bei Kleidung.

Zu meinem Unglück habe ich einen großen Kleiderschrank – einen sehr großen. Tief, mit vier breiten Schiebetüren. Als ich den kaufte – er war fest in meine neue Wohnung eingebaut – dachte ich, das Ding wird nie voll. Also stellte ich noch meine Wäschebehälter und die Koffer hinein und fand das alles sehr ordentlich und übersichtlich so. Jetzt, fast fünf Jahre später, sieht das mit der Übersicht irgendwie anders aus – die Kiste ist voll. Bis unter’n Deckel, sozusagen. Und doch habe ich oft nichts anzuziehen. Sollte da etwa der Überblick fehlen?

Aus diesem Grund beginne ich vor etlichen Tagen damit, die Schätze in meinem Schrank zu sichten. Da sind allerhand seltsame Sachen drin. Und ich frage mich, ab wann eine Klamotte zu abgetragen ist, um sie auch nur auf der Couch zu tragen. Da ist die komische Jacke von dem Twinset, das ich damals in München gekauft habe. Das muss in etwa 15 Jahre her sein. Der Pulli dazu ist schon lange weg, und die Jacke schlabbert und geht immer auf. Knopflöcher können nämlich auch ausleiern. Also auf den Haufen „weg“. Da war die übrigens schon mal, diese Jacke, aber nachdem ich sie zum Abschmutzen nochmal angezogen hatte, wanderte sie auf wundersame Weise doch wieder in den Schrank. Komisch, wie sowas immer passiert.

Den grün-beigen Strickpulli hatte ich auch schon lange nicht mehr an – wieso eigentlich? Passt, sitzt gut und sieht gut aus. Kratzt aber wie Sau. Ja, das ist ein Nachteil – ein echter Nachteil. Ob den noch jemand haben will? Der ist doch noch gut. Und Arbeit habe ich mir mit dem auch gemacht, damals, in München. Also irgendwann vor 2003. Weg!

Nach und nach arbeite ich mich durch die Stapel. Einer heißt „weg“ und bleibt ziemlich klein, daneben liegt „nur noch zuhause“ und dann das, was ganz normal wieder einsortiert werden soll. Dabei finde ich unglaubliche Dinge – unter anderem ein schwarzes Sommershirt, das ich noch niemals gesehen habe. Wer hat das wohl gekauft und in meinen Schrank gestopft, und dann auch noch in meiner Größe? Seltsam!

Immerhin passt alles, was ich auf jeden Fall weitertragen will, nach dem ersten Durchsortieren gut wieder in den Schrank. Ich muss keine Gewalt mehr anwenden, wenn ich die Türen schließen will. Und es fallen keine drei Teile mehr hinterher, wenn ich ein Teil rausnehmen will – das ist ja schon mal was. Und durch den kleinen „Weg!“-Stapel ist ein Fach freigeworden für „Nur noch zuhause!“. Doof nur, dass das da nicht alles reinpasst. Das ist schon viel, was ich noch behalten möchte, obwohl man sich damit nicht mehr auf der Straße sehen lassen kann. Und brauche ich wirklich 20 Teile für zuhause? Mit einigem würde ich wohl nicht mal mehr zur Mülltonne gehen wollen. Unter Schmerzen lege ich noch ein paar Sachen auf den „Weg!“-Stapel. Hach, ist das schwierig! Hat doch alles mal Geld gekostet …

Im Moment trage ich eines der Shirts, die ich zum Wegschmeißen vorgesehen habe. Es ist so kurz, dass es gerade noch auf den Hosenbund geht – bauchfrei würde ich ja nicht mal meinem Spiegel zumuten wollen, geschweige denn meinen Mitmenschen. Das kommt morgen in den Sack, der in meinem Flur hängt, und eine große Ladung nasse, färbende Teeblätter kippe ich oben drauf. Sonst komme ich noch auf die Idee, das olle Ding da wieder rauszuholen.

 

Nachtrag: Ich glaube ja, dass mir diese Sammelleidenschaft genetisch vererbt wurde. Mein Vater trennte sich auch nur unter Protest von Kleidung, er trug seine Hemden mit Dackelohrkragen bis man sie ihm wegnahm und hatte noch einen Mantel aus seiner Junggesellenzeit in Düsseldorf („der Ulster“). Warf ich früher ein Paar durchgelatschte Schuhe weg, tauchte mein Vater denen in die Mülltonne hinterher und rettete zumindest die Schnürsenkel, um mit denen nochmal Tomatenpflanzen hochzubinden. Dieses Verhalten ist mir also angeboten – ich kann gar nichts dafür!

16 Kommentare zu “Das textile Trennungs-Trauma

    • Dann ist es jetzt aber endgülzig im Hemden-Himmel – gut gemacht. Ich habe heute ein Shirt aus der Wäschetonne geangelt, dass da nicht rein sollte – es sollte in den Müllsack. wie sich das nun wieder in die Wäsche geschlichen hat – ominös!

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  1. Hehe – sowas kenne ich auch. Vorbild ist dabei wohl auch mein Vater, der zu meiner 1. Hochzeit tatsächlich in den Untiefen seiner Schränke nach seinem Konfirmationsanzug suchte …………. und ihn auch tatsächlich fand! Ich verbot ihm, mit dem Ding zur Hochzeit zu erscheinen, denn aus unerfindlichen Gründen passte zumindest die Jacke sogar noch, die Hose war zum Glück viel zu kurz. Die gerettete Jacke wurde allerdings wiederbelebt und sehr zum Ärger meiner Mutter, die sich dafür schämte, bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten angezogen. Ich bin sicher, sie existiert heute noch. Ebenso die Jogginghose meines Vaters, die ich schon in meiner Kinderzeit gehasst habe. Er trägt sie immer noch, mittlerweile von ihm selber mit Nadel und Faden immer wieder bearbeitet – augenroll.
    In meinem Schrank tummeln sich auch etliche Dinge, die eigentlich weg könnten – ist ein Projekt fürs Frühjahr, da ich unseren begehbaren Schrank ein bisschen umbauen möchte. Mein Mann ist ein noch größerer Horter – grmpf. Ich sollte beizeiten blaue Müllsäcke auf den Einkaufszettel setzen, damit ich gerüstet bin für den großen Tag – ööööööhm Tage, wo endlich Befreiung einkehrt.

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  2. ich leide unter demselben gen-defekt – und mach auch jedesmal bevor ich schuhe wirklich wegschmeisse noch die schnürsenkel vorsichtshalber raus – und von jacken und westen noch die knöpfe/knebel/schnallen *seufz …
    da ich derzeit aber über eine neue kleideraufbewahrungslösung nachdenke hab ich vielleicht im frühjahr dann doch etwas platz in meinem schrank und etwas aussortiert (wenn auch dann wohl unmengen an knöpfen und schnallen und knebeln und aufnähern und schnürsenkeln ………………………… *gröhl)
    grüssle aus meiner persönlichen sammel-welt !

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