„Sie immer gut, doch nie zu gütig – die Wölfe werden sonst leicht übermütig.“, so scheint es im Original zu heißen. Zu diesem Spruch findet man nicht mehr im Netz, als dass es sich um ein deutsches Sprichwort handelt. Mir gefällt er gut, auch wenn mir 1980 noch nicht so ganz klar war, was er für eine Bedeutung hat und was die Stimmung irgendwelcher Wölfe mit meiner Güte zu tun haben sollte.
Irgendwann wurde mir klar, dass es ähnliche Sprichwörter gibt, die das Gleiche ausdrücken sollen und die mir vielleicht verständlicher gewesen wären: „Gibt man jemanden den kleinen Finger, nimmt der gleich die ganze Hand“. Allerdings ist dieses ebenfalls deutsche Sprichwort noch negativer von der Grundstimmung her, denn es fehlt die Aufforderung, grundsätzlich erst mal gut zu sein. Beiden gemein ist die Warnung, auf sich aufzupassen und nicht vor lauter Freundlichkeit über den Tisch gezogen zu werden.
Auch wenn ich es eigentlich schade finde: Die Botschaft des Spruches ist für mich zutiefst klug. Denn so oft bekommt man mit, dass jemand ausgenommen, seine Gutmütigkeit ausgenutzt wird, und so oft steht der, der eigentlich helfen wollte, am Ende als der Dumme da. Das sind Erfahrungen des täglichen Lebens: Wenn man bei der Arbeit aus Nettigkeit mal eine Auskunft gibt und dann, wenn man nicht aufpasst, plötzlich das ganze Projekt auf dem Tisch hat. Wenn man wo aushilft und plötzlich zum Dauerverantwortlichen werden soll. Ich denke auch an die Bekannte, die übergangsweise für ein paar Tage ihr Gästezimmer anbot und diesen „Gast“ monatelang nicht wieder los wurde.
Immer wieder sind wir gezwungen, uns abzugrenzen, lautstark „Nein!“ zu sagen – auch, wenn wir uns damit unbeliebt machen. Es ist gut, wenn man das früh genug gelernt hat, denn ansonsten kann es schwierig werden. Und deshalb bin ich zufrieden mit diesem Zweizeiler in meinem Poesiealbum, auch wenn ich damals mit den übermütigen Wölfen nichts anfangen konnte. Die Wölfe in meinem heutigen Leben halte ich notgedrungen in Schach – es hilft ja nichts!