Schachnovelle

Gerade habe ich festgestellt, dass „Welttag des Buches“ ist – das ist mir dieses Jahr völlig durch die Lappen gegangen. Nun bin ich ja auch keine Freundin großer Zeremonien, möchte aber die Gelegenheit nutzen, euch eines meiner Lieblingsbücher vorzustellen:

Die Schachnovelle, von Stefan Zweig

Schachnovelle Steefan Zweig

Schachnovelle von Stefan Zweig, meine zerlesene Ausgabe von 1990

Irgendwie habe ich jetzt beim Schreiben des Titels schon das leise Stöhnen einiger Leser gehört: Puuuh, Schulliteratur! Ein Klassiker, pfui Teufel! So was taugt doch immer nur zum Schiffchen falten. Hey, Leute, kommt, lasst euch darauf ein!

Ja, es stimmt, die „Schachnovelle“ des 1881 geborenen und 1942 verstorbenen Stefan Zweig ist klassische Schulliteratur. Ich hatte allerdings das Glück, dieses Buch ganz allein für mich entdecken zu können – ohne, dass ich auf irgendetwas achten sollte, das mich nicht interessierte, oder langweilige Inhaltsangaben verfassen musste. Meine liebe Tante Rita lieh mir das Buch irgendwann in den späten 80er Jahren. Und ich, die lesebegeisterte Teenagerin, las das kleine Büchlein in einem Rutsch und fing, als es zu Ende war, gleich wieder von vorne an. Es gab so viel zu entdecken auf diesen paar Seiten! Inzwischen habe ich das Buch noch öfter gelesen, alle paar Jahre muss es mal wieder sein.

Darum geht es: Die Schachnovelle beinhaltet im Grunde zwei Erzählungen, die geschickt ineinander verwoben sind. Die Rahmenhandlung, erzählt von einem Ich-Erzähler, der lediglich die Rolle des Reporters inne hat, spielt auf einem Kreuzfahrtschiff. Hier trifft sich eine bunte Gesellschaft und rein zufällig ist auch der amtierende Schachweltmeister an Bord. Dieser ist ein bäuerlicher junger Mann mit eher begrenzten Fähigkeiten, was alles außerhalb des Schachspiels angeht. Er erklärt sich bereit, gegen Honorar zur Unterhaltung beizutragen und eine Partie gegen die anderen Gäste zu spielen. Diese Partie ist eine einseitige Sache, der Meister schickt sich an, die Herausforderer kurz und knapp abzufertigen. An dieser Stelle kommt Dr. B. ins Spiel, der die Gruppe der Spieler nach langem Zögern unterstützt.

Dr. B. erweist sich als herausragender Schachspieler. Allerdings ist es für ihn kein Spiel: Er reagiert stark auf das Spiel, fiebert auf ungesunde Weise mit und erweist sich als geistig geschädigt. Seine Geschichte beinhaltet den zweiten Strang der Novelle, denn Dr. B. wurde durch die Gestapo lange Zeit in Einzelhaft ohne Kontakt zur Außenwelt gehalten. Einzige Ablenkung und Beschäftigung war ein gestohlenes Schachbuch, das er auswendig lernte und immer wieder repetierte. Diese Zeit in der Haft hat ihn mental versehrt und ihm wurde abgeraten, jemals wieder Schach zu spielen.

Was ist das Besondere? Die „Schachnovelle“ ist unglaublich spannend geschrieben. Das ist umso erstaunlicher, als das eigentlich nichts passiert – keine Action, keine Toten, nichts, was sonst das typische Beiwerk zu einem spannenden Buch ist. Die beiden Hauptfiguren – der tumbe, arrogante Schachweltmeister und der freundliche, aber angeschlagene Dr. B. – könnten gegensätzlicher nicht sein. Dabei geraten beide Charaktere durchaus glaubwürdig: Derartige Inselbegabungen wie bei dem Schachweltmeister Czentovic sind bekannt und selbstherrliche Promis gibt es zuhauf. Und auch die Not und das Verhalten des Dr. B. sind einleuchtend. Die Handlungsstränge finden ganz natürlich zueinander. Hinzu kommt die hohe sprachliche Qualität des Buches – ein Markenzeichen Stefan Zweigs, der besonders für seine niveauvollen Novellen und kurzen Erzählungen bekannt ist.

Was gibt es noch? Vor einigen Jahren (es wird 2011 gewesen sein) sah ich die „Schachnovelle“ als Theaterstück im Fritz-Remond-Theater in Frankfurt. Ich war im Vorfeld ein wenig skeptisch, denn wie wollte man diesen Stoff auf einer Bühne darstellen? Ich konnte es mir nicht so recht vorstellen, ließ es auf mich zukommen und wurde überaus positiv überrascht: Die Inszenierung mit Siemen Rühaak in der Rolle des Dr. B. war genau so packend wie das Buch. Ein toller Abend, der mir gezeigt hat, dass modernes Theater wirklich ansprechend sein kann – leider ist das nicht immer der Fall. Und hätte mir ein Theatermensch meine geliebte Schachnovelle verhunzt, hätte ich ihm das wohl ganz schön übel genommen.

2 Kommentare zu “Schachnovelle

Hinterlasse einen Kommentar