Kohlfahrt

Das Gute zuerst: Ich habe meine Gallen-OP wider Erwarten überlebt und bin inzwischen wieder zuhause, wo ich etwas müde auf dem Sofa herumlungere. Alles gut soweit. Schlecht ist heute lediglich, dass die diesjährige Kohlfahrt, die ich sonst einmal im Jahr mit meinen lieben Freunden in der Nähe von Oldenburg mache, dieses Mal ohne mich stattfinden musste. Nämlich heute.

Kohlfahrt – 2014 leider ohne mich

Der eine oder andere Nicht-Eingeweihte wird sich vermutlich fragen, was eine Kohlfahrt eigentlich ist. Nun, da muss ich etwas weiter ausholen: Denn eine Kohlfahrt ist eine traditionelle Veranstaltung, also eine Art Kulturgut. Wobei sensible Feingeister diese Art von Kultur wohl eher als Unkultur abqualifizieren würden. Dabei ist es eigentlich ganz harmlos.

Bollerwagen

Bollerwagen mit Leichtlaufrädern, gebaut und verliehen von Günter. Man beachte die praktischen Halterungen für die Schnapsleiste sowie die Deko-Grünkohlstrünke.

Im Grunde ist eine Kohlfahrt nichts weiter als ein längerer Spaziergang mit Freunden, Kollegen oder Clubmitgliedern mit dem Ziel, in einer zuvor gebuchten Lokalität Hausmannskost zu sich zu nehmen. Dieser Ausflug findet im Winter statt, denn gegessen wird Grünkohl, und der muss Frost gehabt haben, hat also in den Wintermonaten Saison. Man trifft sich am frühen Nachmittag, so dass vor Einbrechen der Dunkelheit ausreichend Zeit für die Wanderung und weitere körperliche Ertüchtigung bleibt. Gelaufen wird zumeist etwas abseits der Hauptstraßen, einfach weil es schöner ist und man dann mehr Gelegenheit für Sport, Spiel und angemessene Pausen hat. Und weil man in Norddeutschland ist, gibt es an geistigen Getränken, soviel wie eben reingeht. Traditionell wird an jeder Ecke oder Kurve ein Schnäpschen getrunken, das kann aber durchaus flexibel gehandhabt werden. Hauptsache, ein jeder hat daran gedacht, sich ein Band mit einem Gläschen dran um den Hals zu hängen. In der Regel klappt das, und für den Fall der Fälle hat ein umsichtiges Kohlkönigspaar immer ein paar Ersatzgläschen dabei. Was ein Königspaar ist, erläutere ich später noch, denn das ist gar nicht unwichtig. Und wenn jemand aus irgendeinem Grund keinen Alkohol möchte, ist das auch okay, man darf auch Alkoholfreies ins Gläschen gießen.

Nun aber genug der Theorie. In der Praxis treffe ich mich einmal im Jahr mit wirklich guten, langjährigen Freunden zur Kohlfahrt. Wir betreiben das schon seit der Schulzeit, also rund ein Viertel Jahrhundert – der Gedanke ist beinahe ein bisschen erschreckend. Natürlich kamen und kommen immer wieder neue Teilnehmer hinzu, was prima ist. Gäste sind herzlich willkommen und so konnte ich zum Beispiel auch schon meine Karnevalsweiber in die Geheimnisse der Kohlfahrt einweihen. Ihnen machte es Spaß und sie schlugen sich wacker, auch wenn sie es „komplett sinnfrei“ fanden.

Wir treffen uns zumeist irgendwo richtig in der Pampa. Der mitgebrachte Bollerwagen wird beladen: Jede Menge Schnapsbuddeln, Kasten Bier, Schnapsleiste, Spielutensilien (wechselnd, aber Boßelkugeln sind immer dabei), Proviant für den kleinen Hunger zwischendurch, Küchenrolle für die Dreckspätze … Es werden ein paar Schnäpse zum Warmwerden gekippt und dann geht es los.

Kohlessen 2014 - Bild übermittelt von Fidi

Kohlessen 2014 – Bild übermittelt von Fidi

Das Ziel der Tour weiß in der Regel nur das Kohlkönigspaar. Diese beiden Würdenträger werden jeweils am Ende einer Kohlfahrt durch mehr oder minder alberne Spielchen ermittelt und bekommen die Aufgabe, die Kohlfahrt des nächsten Jahres zu organisieren. Dies ordentlich zu machen ist natürlich eine Frage der Ehre, so dass unsere Kohlpartien in der Regel gut organisiert und immer sehr schön sind. Böse Zungen behaupten zwar, dass die Spiele, mit denen das neue Königspaar bestimmt wird, allesamt nutzlos und die Sieger schon im voraus festgelegt seien, aber das ist bislang unbewiesen. Und Spiele nach ungewissen Regeln sind allemal besser als die Inthronisierungsmethoden, die noch einige Jahrzehnte zuvor in Mode waren: Zu Zeiten als meine Eltern auf Kohlfahrt gingen, wurden die Kandidaten vor und nach dem Essen öffentlich gewogen und wer am meisten gegessen hatte, bekam das Amt.

Unterwegs wird gespielt: Begonnen wird bei uns zumeist mit Boßeln, wobei wir die Regeln stark abändern. Wir können das nämlich eigentlich nicht so richtig, und deshalb bilden wir nur zwei Mannschaften, kullern die Bälle jeder einmal, gucken welches Team am weitesten ist und die Sieger dürfen einen trinken. Damit keiner traurig ist, die Verlierer natürlich auch. Die Boßelei geht jedes Mal mit viel Geschrei ab, aber das muss so sein, das ist bei Boßelvereinen nicht anders. Der bedeutungsschwangere Satz: „Hier musst du beikommen“ sagt so viel wie: „Rolle die Kugel bitte mindestens bis hier und schmeiß‘ sie nicht wieder vor den nächsten Baum, und auch nicht in den Graben.“ Das mit dem Graben passiert trotzdem dauernd, aber dafür hat man einen Grabenbeauftragten, der die Kugel mit einem Kraber wieder rausangelt und dem nächsten Spieler das schlammbedeckte Utensil anreicht.

Wenn man genug geboßelt hat, kann man etwas zügiger laufen, oder aber mit anderen Spielen beginnen. Üblich ist das Besenwerfen (man schleudert dabei einen Strauchbesen ohne Stiel), das Teebeutelweitwerfen (wobei der Beutel am Zipfel in den Mund genommen wird) oder das Gummistiefelweitwerfen. Auch Geschicklichkeitsspiele sind beliebt, gerade weil die Geschicklichkeit mit fortschreitender Wanderstrecken nachlässt. Kinderspiele wie Eierlaufen oder Sackhüpfen gewinnen deutlich an Reiz, wenn man einen sitzen hat, und nüchtern würde ich wohl auch nicht mit einer Salatgurke zwischen den Knien um eine leere Schnapsflasche hoppeln.

Künstliche Ecke, erfunden von Ute. Foto geklaut auf unserem Kohlfahrtsblog.

Künstliche Ecke, erfunden von Ute. Foto geklaut auf unserem Kohlfahrtsblog.

Wichtig sind auf einer Kohlfahrt natürlich die Pausen. Wir halten uns recht gut daran, an jeder Ecke einen zu trinken, es sei denn, wir starten in einer Wohnsiedlung – dann lassen wir mal eine Ecke aus. Problematisch sind die langen Strecken, die sich schnurgerade in eine Richtung ziehen. Früher haben wir improvisiert und Bäume oder Gattertore zu Ecken erklärt. Inzwischen sind wir da professioneller und tragen eine mobile Ecke mit uns herum – man muss sich zu helfen wissen. Um dieses Utensil wurden wir schon verschiedentlich beneidet, von anderen Kohlfahrern, die wir unterwegs getroffen hatten und die nicht so gut ausgerüstet waren. An guten Wochenenden trifft man auf einige andere Gruppen, die ebenfalls auf Kohlpartie sind – jede auf ihre Art. Manchmal kommt es zu netten Gesprächen, man stößt miteinander an oder tauscht Schnäpse. Auf diese Weise wurden wir endlich den Jägermeister los, den wir schon jahrelang mit uns rumschleppten und den keiner trinken wollte: Wir bekamen Ouzo dafür, der wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal durchlitten hatten.

Und damit wir unterwegs nicht vor Entkräftung umfallen, planen wir immer eine größere Pause ein: An irgendeiner Stelle steht ein Auto mit einem wohlmeinenden Familienmitglied und einem umfangreichen Pausensnack. Heiße Getränke, dazu was Herzhaftes: Mettbrötchen, Schmalzstullen, Käsehappen. Es lässt sich beobachten, dass inzwischen deutlich mehr Tee als Glühwein getrunken wird – wir werden anscheinend nicht jünger und doch ein ganz bisschen vernünftiger.

Am Ende eines langen Weges - Reste 2014.

Am Ende eines langen Weges – Reste 2014.

Das letzte Stück des Weges wird fast immer ziemlich flott zurückgelegt: Es ist zu dunkel zum Spielen, alle sind ein bisschen durchgefroren, die Damen müssen auf’s Klo. Außerdem sind wir immer zu spät dran. Trotzdem werden oft vor dem Lokal noch einige Schlückchen getrunken, damit nichts umkommt. Und dann geht es hinein in die Wärme, den Suppenduft, manchmal auch den Lärm. Denn bei vielen Kohlfahrtsgruppen sind so genannte Gemeinschaftskohlfahrten beliebt, bei denen nach dem Essen getanzt wird. Wir vermeiden das, denn da wir uns nur so selten sehen, wollen wir uns in Ruhe unterhalten und mieten deshalb immer einen Clubraum. Hier wird dann also gegessen: Suppe, Grünkohl, Kartoffeln, reichlich fettreiche Fleischwaren und Nachtisch. Getrunken wird natürlich auch, von vielen inzwischen sogar Wasser. Nach dem Essen gibt es den Wechsel der Regentschaft und die Inthronisierung, der in der Regel ein letzter Schnaps folgt. Und dann ist es irgendwann vorbei – die Kohlfahrt eines Jahres ist geschafft und man hat rund zwölf Monate Zeit, sich auf die nächste zu freuen.

Heute war ich nun also nicht dabei. Ich wurde mit Neuigkeiten und Fotos versorgt – What’s App macht’s möglich. Im nächsten Jahr bin ich wieder fit und will dabei sein, und ich fange heute schon an, mich darauf zu freuen.

 

14 Kommentare zu “Kohlfahrt

    • Bier und Kirsche klingt aber schon nach Sodbrennen 🙂

      Kleetscheeten kenne ich auch, aber spielt man das nicht eigentlich auf der Weide? Wir boßeln ja auf der Straße – auf Nebenstrecken, wohlgemerkt. Nicht, dass bei unseren dilettantischen Versuchen jemand zu Schaden kommt …

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  1. Meike, Du hast ja schon sehr gut und ausführlich beschrieben, was eine Kohlfahrt ist und was da so passiert. Als Ergänzung möchte ich in Teilen einen Bericht des damals organisierenden Kohlkönigs an die „Daheimgebliebenen“ aus einem der Vorjahre wiedergeben:

    „Hallo Leute,

    für euch, die ihr nicht an der Kohlfahrt teilnehmen konntet, hier ein kurzer Bericht. Ganz kurz könnte ich schreiben: es war NASS. Von außen und von innen.

    Mit dem Wetter hatten wir nämlich in diesem Jahr echt kein Glück. Es hat am Samstag fast durchgängig geregnet, geweht und war schweinekalt. Um das zu kompensieren, haben wir uns ganz schön einen hinter die Binde gekippt. Das kann man einfach nicht anders sagen.

    Als ich am Freitag die „geistigen Getränke“ eingekauft habe, war ich bezgl. der Mengen unsicher. Ich habe daher beschlossen, pro Person eine Flasche zu kaufen. Plus eine Flasche Reserve (also eine insgesamt, nicht pro Person). Und dann lachte mich da noch als Spezialität der alte Hullmann-Korn an. Im Fass gereift und so. Also hab ich den als Gimmick für die Zwsichenstation auch noch mitgenommen. Ach ja, die Kiste Bier nicht zu vergessen. Frühlingsbock. Sollte ja knallen … äh schmecken War das etwa zu ambitioniert? Haben mich da meine 25 Jahre Kohlfahrt-Erfahrungen im Stich gelassen? Habe ich uns zu viel zugemutet? Vielleicht …

    Ein wenig geärgert hatte ich mich im Vorfeld schon, dass ich die Kohlfahrer auf 14 Uhr zum Treffpunkt bestellt hatte. Für 18 Uhr hatten wir uns im Lokal angemeldet. 4 Stunden durch den Regen laufen, echt klasse Aussicht. Na ja, gelaufen sind wir dann eigentlich gar nicht so viel, hätte es eine Abkürzung gegeben, hätten wir die auch nehmen können und wir wären immer noch zu spät angekommen. Wir werden jedes Jahr langsamer, oder? Ich lass das jetzt mal dahin gestellt, ob es am Wetter oder am Alter liegt. Oder am Bollerwagen, der mit den ganzen Getränken ja auch nicht leicht zu ziehen war.

    Die Zwischenstation mussten wir jedenfalls vorziehen. Nicht zeitlich, sondern räumlich. Zum Glück war mein Schwesterherz flexibel und ist uns dann ein gutes Stück entgegen gekommen. Und zum Glück war ich da noch in der Lage mein Handy zu benutzen, ums sie zu uns zu lotsen. Auch wenn sie nur geradeaus fahren musste. Nach der Zwischenstation wäre das nämlich schon etwas schwieriger geworden. Ich erwähnte ja schon den alten Hullmann.

    Weiter ging es dann erstmal im Schweinsgalopp, ohne die eigentlich geplanten Spiele. Jedenfalls bei dem einen Teil der Gesellschaft. Der andere Teil hatte da etwas Schwierigkeiten hinterher zu kommen. Die Reste vom alten Hullmann wollten noch getrunken werden. Und dann haben die uns auch noch den Bollerwagen da gelassen. Naja, wir haben uns an der übernächsten Ecke dann doch wiedergefunden und uns gemeinsam an den Endspurt gemacht. Der wurde an der nächsten Ecke dann aber gleich schon wieder unterBROCHEN. Ihr versteht. Ich nenne keine Namen. …

    OK, mit vertretbarer Verspätung sind wir dann auch im Lokal angekommen und konnten endlich unseren Elektrolyt-Haushalt regulieren (unter Einnahme von ganz viel Fett im Essen).

    Ach ja, vielleicht erinnert ihr euch an unsere Neuzugänge im letzten Jahr? … hatte jedenfalls Freundschaft mit besagtem Hullmann geschlossen und meinte wohl, für Grünkohl sei in dieser Beziehung kein Platz mehr. Den musste dann seine Frau essen. Bezahlt ist bezahlt.

    Also das Fazit: kurzfristige Absagen vor der Kohlfahrt, sch.. Wetter, eine Übergebene und ein übrig gebliebener Nachtisch. Es war eine schöne Kohltour. Schade, dass ihr nicht dabei sein konntet.

    Viele Grüße … “

    OK, diese Kohlfahrt war nicht unbedingt der Durchschnitt. Ausreisser nach oben oder unten gibts es aber immer mal wieder … 😉

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  2. Moin Meikhe, moin Michhael,

    sehr schöne Beschreibungen, ich werde sie Leuten ans Herz legen, die mit dem oldenburgisch-ostfriesischen Brauchtum (noch) nicht vertraut sind.

    Lobend erwähnen möchte ich auch, dass Du, Meikhe, den Erbauer, Verleiher und – wie ich ergänzen möchte – Schmücker des Bollerwagens so gelungen anonymisiert hast!

    Mit Freude zurückblickende, aber auch vorausschauende Grüße,

    Harrhy

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