Der letzte Kick

„Alles so langweilig hier!“ Das sollen die letzten Worte von Winston Churchill gewesen sein. Für unseren Schreibworkshop war es der Aufhänger für eine kleine Kurzgeschichte, für die rund 20 Minuten Zeit waren. Bei mir entstand eine

Krimi-Miniatur: Der letzte Kick

Gunther war immer auf der Suche gewesen: nach dem Abenteuer, der Herausforderung, dem ultimativen letzten Kick. Susanne hatte es ihm nie recht machen können mit ihrer ruhigen Art und ihrer Sehnsucht nach einem ganz normalen Familienleben. Und das, obwohl sie ihm gegenüber lange tolerant gewesen war: Sie hatte sich mit einer kleinen Mietwohnung begnügt, sich und die Kinder in Second-Hand-Klamotten gekleidet und auf Urlaubsreisen verzichtet. Ihren guten Verdienst hatte sie Gunther genauso überlassen wie die Erbschaft, die sie von ein paar Jahren gemacht hatte. Er hatte das Geld genommen ohne „Danke“ zu sagen, hatte sich immer schnellere Motocrossräder gekauft, Tauchen gelernt und eine Expedition durch die Mongolei gemacht.

Das alles hatte Susanne hingenommen, schließlich liebte sie ihren Mann. Aber das ständige Gemecker, das Gunther sich in den letzten Jahren angewöhnt hatte, zermürbte sie. Er fand alles an ihr und ihrem gemeinsamen Leben öde: Die Wohnung war ihm zu spießig, die Kinder fand er durchschnittlich und Susanne … naja. Er nörgelte so lange, bis sie ihn bat, auszuziehen.

„Spinnst du?“, fragte er. „Wo soll ich denn hin?“

Auch heute war wieder so ein Tag, an dem Gunther nicht zufriedenzustellen war. Susanne war beim Frisör gewesen, das Ergebnis überzeugte ihren Mann nicht.

„Dafür hast du Geld ausgegeben? Du siehst aus wie meine Oma!“

Unruhig tigerte er durch die Wohnung, nahm schließlich seine Schlüssel vom  Haken. „Ich gehe zu Tim, hier halte ich es nicht aus! Alles ist so langweilig.“ Während er die vier Stockwerke hinunter lief, versendete Susanne eine vorbereitete SMS. Nur wenige Augenblicke später hörte man von unten ein lautes Hupen und erschreckte Rufe. Sie nahm sich einen Moment Zeit und atmete tief durch, bevor sie aus dem Fenster sah, um sich zu vergewissern, dass der Lastwagen ihren Mann auch wirklich richtig erwischt hatte. Zwar rannte Gunther immer aus dem Haus und dann ohne zu gucken über die Straße, aber sie hätte ja Pech haben können. Doch der Fahrer nickte beruhigend zu ihr hinauf.

Der Lkw stand mitten auf der Straße. Der Notarzt kam, konnte aber nichts mehr ausrichten. Susanne gab sich gefasst, ihre neue Frisur passte gut zu einer trauernden Witwe. Bald würde sie mit den Kindern in den Urlaub fahren. Ihren fünfstelligen Lottogewinn würde Gunther nicht verprassen.

 

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